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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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sammtvcrfassung von an die Provinzialstände gefordert und gegen die
Octroyirung der Verfassung Protest erhoben. Sie blieben natürlich in der
Minorität, ihr Führer wurde seines Amtes entsetzt, auf eine verfassungsmäßige
Anklage des Ministers v. Scheel antwortete das Gericht, bei dem sie ange¬
bracht worden, mit einer Jncompetenzerklärung, die, weil der Gerichtshof
vorher von allen unabhängigen Mitgliedern gesäubert worden war, so wenig
.wie die Erfolglosigkeit aller vorherigen Versuche, das Recht der Herzogthümer
zu wahren, Wunder nehmen konnte. Die Beschwerden der schleswigschen
Stände in Betreff der Ausrottung des Deutschen in Kirche und Schule fanden
in Kopenhagen taube Ohren, die Anträge wegen gesetzwidriger Einführung
der Gesammtverfassung wurden mit spöttischen Antworten abgefertigt, als die
Stände sich weigerten, den vom Reichsrath decretirten Zuschuß zu den Aus¬
gaben der Gesammtmonarchie zu bewilligen, weil nicht nachgewiesen worden,
daß auch Dänemark seinen Zuschußantheil gezahlt, wurde am i>. März dieses
JahreS "wegen Verfassungsbruchs" die Reparation befohlen.

Wir haben recapitulirt, weil es zu allen Zeiten Leute mit kurzem Ge¬
dächtnisse gegeben hat. Auch von den deutschen Großmächten schien sich dies
sagen zu lassen. Sie haben diese Meinung widerlegt, wenigstens bis zu einem
gewissen Grade. Preußen und Oestreich haben es ausgesprochen, die Klagen
der Herzogthümer seien begründet, die dänischen Versprechungen beim Friedens¬
schluß nicht gehalten, die höchsten Interessen schutzlos gefährdet. Sie erinnerten
an die ihnen als Gliedern des deutschen Bundes obliegenden Pflichten und
drohten mit einer Klage beim Bundestage.

Ihre Forderungen beschränkten sich auf Nachstehendes:
1) Infolge der getroffenen Vereinbarung soll die Verfassung vom

2. October 18SS den Schleswig-holsteinischen berathenden Provinzialständen,
so wie der lauenburgischen Ritter- und Landschaft zur Begutachtung nach"
träglich vorgelegt werden. 2) Die Verwaltung und Veräußerung der Domänen
ist an die Vertretung der einzelnen Landestheile zurückzugeben. 3) Die ver¬
schiedenen Landestheile sollen im Reichsrath gleiche Repräsentation haben.
4) Die Bestimmung in der Verfassung vom 2. October, der zufolge der König
vor dem Antritt der Regierung die Verfassung zu beschwören hat, ist aufzu¬
heben. 3) Eine Regulirung der Grenze zwischen Schleswig und Holstein ist
vorzunehmen.

Diese Anforderungen sind vollständig begründet. Man vermißt in ihnen
nur die Erwähnung Schleswigs. Die Verfassungszustande des dänischen Ge-
sammtstaatS sind nicht blos in der Form illegal, sie verletzen auch materiell
die Landrechte. Sie zerreißen die uralte Verbindung Schleswigs mit Holstein,
sie haben jede Gleichberechtigung zerstört, indem sie Dänemark außer der Majo¬
rität im Reichsrath auch in seinem Reichstag Befugnisse geben, die nicht im


sammtvcrfassung von an die Provinzialstände gefordert und gegen die
Octroyirung der Verfassung Protest erhoben. Sie blieben natürlich in der
Minorität, ihr Führer wurde seines Amtes entsetzt, auf eine verfassungsmäßige
Anklage des Ministers v. Scheel antwortete das Gericht, bei dem sie ange¬
bracht worden, mit einer Jncompetenzerklärung, die, weil der Gerichtshof
vorher von allen unabhängigen Mitgliedern gesäubert worden war, so wenig
.wie die Erfolglosigkeit aller vorherigen Versuche, das Recht der Herzogthümer
zu wahren, Wunder nehmen konnte. Die Beschwerden der schleswigschen
Stände in Betreff der Ausrottung des Deutschen in Kirche und Schule fanden
in Kopenhagen taube Ohren, die Anträge wegen gesetzwidriger Einführung
der Gesammtverfassung wurden mit spöttischen Antworten abgefertigt, als die
Stände sich weigerten, den vom Reichsrath decretirten Zuschuß zu den Aus¬
gaben der Gesammtmonarchie zu bewilligen, weil nicht nachgewiesen worden,
daß auch Dänemark seinen Zuschußantheil gezahlt, wurde am i>. März dieses
JahreS „wegen Verfassungsbruchs" die Reparation befohlen.

Wir haben recapitulirt, weil es zu allen Zeiten Leute mit kurzem Ge¬
dächtnisse gegeben hat. Auch von den deutschen Großmächten schien sich dies
sagen zu lassen. Sie haben diese Meinung widerlegt, wenigstens bis zu einem
gewissen Grade. Preußen und Oestreich haben es ausgesprochen, die Klagen
der Herzogthümer seien begründet, die dänischen Versprechungen beim Friedens¬
schluß nicht gehalten, die höchsten Interessen schutzlos gefährdet. Sie erinnerten
an die ihnen als Gliedern des deutschen Bundes obliegenden Pflichten und
drohten mit einer Klage beim Bundestage.

Ihre Forderungen beschränkten sich auf Nachstehendes:
1) Infolge der getroffenen Vereinbarung soll die Verfassung vom

2. October 18SS den Schleswig-holsteinischen berathenden Provinzialständen,
so wie der lauenburgischen Ritter- und Landschaft zur Begutachtung nach"
träglich vorgelegt werden. 2) Die Verwaltung und Veräußerung der Domänen
ist an die Vertretung der einzelnen Landestheile zurückzugeben. 3) Die ver¬
schiedenen Landestheile sollen im Reichsrath gleiche Repräsentation haben.
4) Die Bestimmung in der Verfassung vom 2. October, der zufolge der König
vor dem Antritt der Regierung die Verfassung zu beschwören hat, ist aufzu¬
heben. 3) Eine Regulirung der Grenze zwischen Schleswig und Holstein ist
vorzunehmen.

Diese Anforderungen sind vollständig begründet. Man vermißt in ihnen
nur die Erwähnung Schleswigs. Die Verfassungszustande des dänischen Ge-
sammtstaatS sind nicht blos in der Form illegal, sie verletzen auch materiell
die Landrechte. Sie zerreißen die uralte Verbindung Schleswigs mit Holstein,
sie haben jede Gleichberechtigung zerstört, indem sie Dänemark außer der Majo¬
rität im Reichsrath auch in seinem Reichstag Befugnisse geben, die nicht im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/310>, abgerufen am 01.09.2024.