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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Wäre er blos raisonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element
desselben einmal tief in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und
können. Indem sich aber die Regierungen bequemten, den Protestantismus
als eine erlaubte religiöse Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein
Menschenrecht anzuerkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im
Staat neben der eigentlichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern der¬
selben anzuweisen, war sofort die religiöse, moralische und politische Welt¬
ordnung aufgelöst. Was wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge,
und die natürliche Entwicklung jenes ersten unermeßlichen Frevels. Die ganze
französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind
aus der nämlichen Quelle geflossen. Wenn Einzelne im Volk, Fractionen
des Volks, die Majorität des Volks u. s. f. die Kirche verstoßen durften,
warum sollten sie den Staat nicht umstürzen, der, sobald einmal Vernunst-
autoritälen herrschen können, nicht um ein Haar heiliger ist als die Kirche?
Wenn Luther reformiren d. h. seine Kirche gegen die allgemeine aufstellen
durfte, warum sollten Behr und Hornthal nicht gleiches Recht gegen den
König von Baiern und seine Minister haben? Wer ^ gesagt hat, muß b
sagen. Wenn es keine höhere Autorität mehr gibt, als die Vernunft jedes
Einzelnen, so muß die Revolution der natürliche Zustand der Gesellschaft
werden, und Intervallen von Ruhe und Ordnung können nur Ausnahmen
sein . Das alles drückt allerdings nicht eine eigentliche Umwandlung der
Gesinnung, sondern nur eine Veränderung des politischen Gesichtspunkts aus,
und aus den positiven Vorschlägen Müllers weiß er noch immer nicht, was
er machen soll. "In einem Zeitalter, wo man fast nur noch par prooeäv
Gott statuirt, verlangen Sie -- Glauben an die tiefsten Geheimnisse der
Offenbarung. Unter Menschen, denen jeder Ueberrest privilegirter Classen ein
Greuel ist, wollen Sie einen wohlgeordneten Feudalismus einführen. 3H^
Arzneien verschmähe ich nicht; wenn Sie die Alleinherrschaft der Kirche wieder
herstellen können, will ich gern meine Vernunft so lange kasteien, bis sie auch
das Unbegreiflichste annimmt; und erreiche ich es nicht ganz, so wird Gott
mir vergeben. Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, s^
mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der fal¬
schen Gelehrten, der Studenten, und besonders der Zeitungsschreiber befreit.
Aber wie sollen denn diese wahren Reformen zu Stande kommen?" Aber ""
Allgemeinen kann er doch seine principielle Uebereinstimmung versichern, M"d
Müller nimmt mit der gebührenden Wichtigkeit von der Thatsache Act. "Ihre"
Brief in seiner unvergleichlichen Klarheit betrachte ich nunmehr als die eigene'
liebe Präliminarbasis aller künftigen Verhandlungen; auch zweifle ich,
in diesem Jahrhunderte überhaupt schon ol.el wichtigere Dintp'
geschehen sind, als das Ereigniß dieses Briefes."


Wäre er blos raisonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element
desselben einmal tief in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und
können. Indem sich aber die Regierungen bequemten, den Protestantismus
als eine erlaubte religiöse Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein
Menschenrecht anzuerkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im
Staat neben der eigentlichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern der¬
selben anzuweisen, war sofort die religiöse, moralische und politische Welt¬
ordnung aufgelöst. Was wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge,
und die natürliche Entwicklung jenes ersten unermeßlichen Frevels. Die ganze
französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind
aus der nämlichen Quelle geflossen. Wenn Einzelne im Volk, Fractionen
des Volks, die Majorität des Volks u. s. f. die Kirche verstoßen durften,
warum sollten sie den Staat nicht umstürzen, der, sobald einmal Vernunst-
autoritälen herrschen können, nicht um ein Haar heiliger ist als die Kirche?
Wenn Luther reformiren d. h. seine Kirche gegen die allgemeine aufstellen
durfte, warum sollten Behr und Hornthal nicht gleiches Recht gegen den
König von Baiern und seine Minister haben? Wer ^ gesagt hat, muß b
sagen. Wenn es keine höhere Autorität mehr gibt, als die Vernunft jedes
Einzelnen, so muß die Revolution der natürliche Zustand der Gesellschaft
werden, und Intervallen von Ruhe und Ordnung können nur Ausnahmen
sein . Das alles drückt allerdings nicht eine eigentliche Umwandlung der
Gesinnung, sondern nur eine Veränderung des politischen Gesichtspunkts aus,
und aus den positiven Vorschlägen Müllers weiß er noch immer nicht, was
er machen soll. „In einem Zeitalter, wo man fast nur noch par prooeäv
Gott statuirt, verlangen Sie — Glauben an die tiefsten Geheimnisse der
Offenbarung. Unter Menschen, denen jeder Ueberrest privilegirter Classen ein
Greuel ist, wollen Sie einen wohlgeordneten Feudalismus einführen. 3H^
Arzneien verschmähe ich nicht; wenn Sie die Alleinherrschaft der Kirche wieder
herstellen können, will ich gern meine Vernunft so lange kasteien, bis sie auch
das Unbegreiflichste annimmt; und erreiche ich es nicht ganz, so wird Gott
mir vergeben. Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, s^
mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der fal¬
schen Gelehrten, der Studenten, und besonders der Zeitungsschreiber befreit.
Aber wie sollen denn diese wahren Reformen zu Stande kommen?" Aber »»
Allgemeinen kann er doch seine principielle Uebereinstimmung versichern, M»d
Müller nimmt mit der gebührenden Wichtigkeit von der Thatsache Act. „Ihre"
Brief in seiner unvergleichlichen Klarheit betrachte ich nunmehr als die eigene'
liebe Präliminarbasis aller künftigen Verhandlungen; auch zweifle ich,
in diesem Jahrhunderte überhaupt schon ol.el wichtigere Dintp'
geschehen sind, als das Ereigniß dieses Briefes."


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[0304] Wäre er blos raisonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element desselben einmal tief in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und können. Indem sich aber die Regierungen bequemten, den Protestantismus als eine erlaubte religiöse Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein Menschenrecht anzuerkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im Staat neben der eigentlichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern der¬ selben anzuweisen, war sofort die religiöse, moralische und politische Welt¬ ordnung aufgelöst. Was wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge, und die natürliche Entwicklung jenes ersten unermeßlichen Frevels. Die ganze französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus der nämlichen Quelle geflossen. Wenn Einzelne im Volk, Fractionen des Volks, die Majorität des Volks u. s. f. die Kirche verstoßen durften, warum sollten sie den Staat nicht umstürzen, der, sobald einmal Vernunst- autoritälen herrschen können, nicht um ein Haar heiliger ist als die Kirche? Wenn Luther reformiren d. h. seine Kirche gegen die allgemeine aufstellen durfte, warum sollten Behr und Hornthal nicht gleiches Recht gegen den König von Baiern und seine Minister haben? Wer ^ gesagt hat, muß b sagen. Wenn es keine höhere Autorität mehr gibt, als die Vernunft jedes Einzelnen, so muß die Revolution der natürliche Zustand der Gesellschaft werden, und Intervallen von Ruhe und Ordnung können nur Ausnahmen sein . Das alles drückt allerdings nicht eine eigentliche Umwandlung der Gesinnung, sondern nur eine Veränderung des politischen Gesichtspunkts aus, und aus den positiven Vorschlägen Müllers weiß er noch immer nicht, was er machen soll. „In einem Zeitalter, wo man fast nur noch par prooeäv Gott statuirt, verlangen Sie — Glauben an die tiefsten Geheimnisse der Offenbarung. Unter Menschen, denen jeder Ueberrest privilegirter Classen ein Greuel ist, wollen Sie einen wohlgeordneten Feudalismus einführen. 3H^ Arzneien verschmähe ich nicht; wenn Sie die Alleinherrschaft der Kirche wieder herstellen können, will ich gern meine Vernunft so lange kasteien, bis sie auch das Unbegreiflichste annimmt; und erreiche ich es nicht ganz, so wird Gott mir vergeben. Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, s^ mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der fal¬ schen Gelehrten, der Studenten, und besonders der Zeitungsschreiber befreit. Aber wie sollen denn diese wahren Reformen zu Stande kommen?" Aber »» Allgemeinen kann er doch seine principielle Uebereinstimmung versichern, M»d Müller nimmt mit der gebührenden Wichtigkeit von der Thatsache Act. „Ihre" Brief in seiner unvergleichlichen Klarheit betrachte ich nunmehr als die eigene' liebe Präliminarbasis aller künftigen Verhandlungen; auch zweifle ich, in diesem Jahrhunderte überhaupt schon ol.el wichtigere Dintp' geschehen sind, als das Ereigniß dieses Briefes."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/304>, abgerufen am 09.01.2025.