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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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aufrichtig, diese Fähigkeit in mir zu entwickeln. Daß eS mir nicht gelungen
ist, kann ich mir unmöglich zur Schuld anrechnen lassen. Wem, ich aber da¬
mals meiner innern Neigung Gehör gegeben, wenn ich irgend einen
Schritt gethan hätte, der mich -- sobald jene Fähigkeit abging -- auf
immer mit mir selbst entzweien mußte, was wäre aus mir geworden? Ueber
diese Frage bitte ich Sie nachzudenken. Wenn das, was ich heute bin, Ihnen
auch noch so sehr mißfallen mag, wie würde Ihnen denn mein wahrhaftes und
ehrliches Gemüth in dem Gewände eines Heuchlers gefallen?" "Was den
Zustand nach dem Tode betrifft, so weiß ich nur so viel, daß er so wie Sie
und andere höchst würdige Männer sich ihn etwa denken (ob ich gleich nie
begriffen habe, wie Sie sich ihn eigentlich denken), nicht sein kann. Die üb¬
rigen Fragen beunruhigen mich gar nicht. Die Idee einer positiven Gefahr,
wenn das oder jenes doch zuletzt wahr wäre, geht aus einem so crasser An¬
thropomorphismus hervor, daß sie mich unmöglich schrecken kann. Ich fasse sie
nicht einmal, ^unb damit ich sie nur fassen könnte, müßte abermals jenes Wun¬
der geschehen, dem ich mich nicht widersetzen will, wenn es etwa geschieht, das
ich aber durch kein menschliches Mittel herbeizuführen weiß." In einem wei¬
ten, Brief setzt er ihm mit der schärfsten Logik auseinander, daß auch für den
Fall, daß man seine Vernunft dem Glauben unterwirft, wenn nicht ein Wun¬
der geschieht, wieder nur Gründe der Vernunft den Menschen bestimmen kön¬
nen. "Die Weltgesetze, werden Sie mir sagen, sind Offenbarungen Gottes,
denen die Vernunft sich unterwerfen muß. Ich frage daher: Sind Sie Ihnen
von Gott unmittelbar geoffenbart worden? Antworten Sie: Ja! so erwiedere
ich--ohne es weiter zu bezweifeln, wozu ich durchaus nicht berechtigt bin --
desto besser sür Sie! Mir wurde das Glück nicht zu Theil. Wir stehen folg¬
lich vor der Hand in ganz abgesonderten Classen. Anworten Sie: Nein! --
so ruht Ihre Ueberzeugung von jenen Offenbarungen nur auf dem Glauben
an das, was andern offenbart wurde. Nun dieser Glaube fehlt mir ebenfalls. . ..
So lange Sie nicht im Stande sind, diese Fundamentaldifferenz zwischen uns
üU heben, müssen Sie mir nothwendig verzeihen, daß ich viele Ihrer kraft¬
vollsten Aeußerungen als bloße Machtsprüche betrachte, die ich ost mit Be¬
wunderung, zuweilen mit Unzufriedenheit lese, die aber weder in einem noch
dem andern Fall Gehorsam bei mir erzwingen können, da ich den letzten
Grund derselben für Usurpation halte." "Ob es neben der Vernunft, oder
über der Vernunft noch andere höhere Erkenntnißquellen gibt? -- das ist die
Rrage, an der ich stets scheitere und über welche ich mich nie habe hinaus-
schwingen können. Gegen den falschen Glauben bin ich gerüstet genug; es
^'sie mir aber durchaus an einem sür mich gütigen Merkmal, den wahren
do>n falschen zu unterscheiden; jenseits der Grenzen der Vernunft scheint mir
^es gleich unsicher und schwankend; und wenn ich sehe, daß andere auch da


aufrichtig, diese Fähigkeit in mir zu entwickeln. Daß eS mir nicht gelungen
ist, kann ich mir unmöglich zur Schuld anrechnen lassen. Wem, ich aber da¬
mals meiner innern Neigung Gehör gegeben, wenn ich irgend einen
Schritt gethan hätte, der mich — sobald jene Fähigkeit abging — auf
immer mit mir selbst entzweien mußte, was wäre aus mir geworden? Ueber
diese Frage bitte ich Sie nachzudenken. Wenn das, was ich heute bin, Ihnen
auch noch so sehr mißfallen mag, wie würde Ihnen denn mein wahrhaftes und
ehrliches Gemüth in dem Gewände eines Heuchlers gefallen?" „Was den
Zustand nach dem Tode betrifft, so weiß ich nur so viel, daß er so wie Sie
und andere höchst würdige Männer sich ihn etwa denken (ob ich gleich nie
begriffen habe, wie Sie sich ihn eigentlich denken), nicht sein kann. Die üb¬
rigen Fragen beunruhigen mich gar nicht. Die Idee einer positiven Gefahr,
wenn das oder jenes doch zuletzt wahr wäre, geht aus einem so crasser An¬
thropomorphismus hervor, daß sie mich unmöglich schrecken kann. Ich fasse sie
nicht einmal, ^unb damit ich sie nur fassen könnte, müßte abermals jenes Wun¬
der geschehen, dem ich mich nicht widersetzen will, wenn es etwa geschieht, das
ich aber durch kein menschliches Mittel herbeizuführen weiß." In einem wei¬
ten, Brief setzt er ihm mit der schärfsten Logik auseinander, daß auch für den
Fall, daß man seine Vernunft dem Glauben unterwirft, wenn nicht ein Wun¬
der geschieht, wieder nur Gründe der Vernunft den Menschen bestimmen kön¬
nen. „Die Weltgesetze, werden Sie mir sagen, sind Offenbarungen Gottes,
denen die Vernunft sich unterwerfen muß. Ich frage daher: Sind Sie Ihnen
von Gott unmittelbar geoffenbart worden? Antworten Sie: Ja! so erwiedere
ich—ohne es weiter zu bezweifeln, wozu ich durchaus nicht berechtigt bin —
desto besser sür Sie! Mir wurde das Glück nicht zu Theil. Wir stehen folg¬
lich vor der Hand in ganz abgesonderten Classen. Anworten Sie: Nein! —
so ruht Ihre Ueberzeugung von jenen Offenbarungen nur auf dem Glauben
an das, was andern offenbart wurde. Nun dieser Glaube fehlt mir ebenfalls. . ..
So lange Sie nicht im Stande sind, diese Fundamentaldifferenz zwischen uns
üU heben, müssen Sie mir nothwendig verzeihen, daß ich viele Ihrer kraft¬
vollsten Aeußerungen als bloße Machtsprüche betrachte, die ich ost mit Be¬
wunderung, zuweilen mit Unzufriedenheit lese, die aber weder in einem noch
dem andern Fall Gehorsam bei mir erzwingen können, da ich den letzten
Grund derselben für Usurpation halte." „Ob es neben der Vernunft, oder
über der Vernunft noch andere höhere Erkenntnißquellen gibt? — das ist die
Rrage, an der ich stets scheitere und über welche ich mich nie habe hinaus-
schwingen können. Gegen den falschen Glauben bin ich gerüstet genug; es
^'sie mir aber durchaus an einem sür mich gütigen Merkmal, den wahren
do>n falschen zu unterscheiden; jenseits der Grenzen der Vernunft scheint mir
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/301>, abgerufen am 28.07.2024.