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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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glauben, daß das durchaus praktische Problem einer deutschen Bundesver¬
fassung -- welches man freilich Hütte auflösen sollen, ehe man leichsinniger-
weise entschied, daß eine Bundesverfassung stattfinden sollte, ohne zu wissen,
ob sie auch in irgend einer Form möglich sei -- durch ein gewisses mystisches
Lehr- und Glaubensrecht, womit ich nicht einmal eine deutliche Vorstellung
verbinden kann, aufs Reine gebracht werden wird, nachdem ich vorher belehrt
worden bin, daß es weder durch Souveränetät, noch durch Föderalismus, noch
durch ein Oberhaupt, noch durch eine Konstitution auflösbar ist. Herr Krug
beweist mir in einem Aufsatze: "Wer soll Haupt des deutschen Bundes sein?"
mit lächerlicher Gravität, daß Preußen es nicht sein soll (und an negativen
Resultaten sind überhaupt die Staatsanzeigen nicht arm); aber wer es sein
soll, und ob überhaupt einer, bleibt so unentschieden als zuvor; und noch
muß unir dem Himmel danken, daß er nur nicht weiter ging. -- Provinzial-
und Municipalbehörden sind jetzt die großen Panaceen aller politischen Aerzte.
Wo sie von Alters her bestehen, wie in England, mag man ihnen in Gottes
Namen alles das zuschreiben, waS man bisher der Organisation der obern
Staatsgewalten zuschrieb, obgleich (in parontkösi) Montesquieu und Delvlme
wol auch etwas davon wußten, und solche Stümper nicht waren, als man
sie heute schildert .... Municipalverfassungen, da wo sie nicht sind, zu
machen, ist denn das leichter, ist denn das nach Ihren und Ihrer heutigen
Freunde Grundsätzen correcter, als Constitutionen zu machen? Das alles geht
über meine Fassungskraft. Ich bin zu alt, zu steif, zu stumpf für diese Sprünge.
Ich will diejenigen nicht tadeln, die beweglicher, rüstiger und kühner sind.
Nur für mich gibt es auf diesen Feldern keinen Platz mehr."

Diese Zwistigkeiten mußten um so heftiger werden, da auch die Religion
hineingemischt wurde. Am 1. März 1817 klagt Müller darüber, daß Gentz
sich Gott immer mehr entfremde. Er sucht ihn zu belehren und schließt mit
folgender erbaulichen Betrachtung: "Herr! wenn das', was wir Schwächlinge
in der majestätischen Gegenwart einer zweitausendjährigen Kirche, die sich
wenigstens nie und nirgend widersprochen hat, glauben -- nicht^ wahr ist;
wenn der Ausschuß von allen Zeiten, die gemeine sinnliche Zweifele! Recht
behält und es sich endlich ergibt, daß es mit dem Maul nach diesem Leben
seine Richtigkeit hat: -- was haben wir dann verloren? -- Wenn eS aber
wahr ist? Wie dann? --Liebster Gentz!" Darauf antwortet Gentz, Is. März:
,,ES ist wahr, daß eS eine Zeit gab, wo ich den Ideen und Gefühlen, denen
Sie in mir die Oberhand wünschten, näher war, als heute. Soll ich Ihnen
über diese Zeit die volle Wahrheit sagen? Hier ist sie. Ich bin froh, daß ich
auf halbem Wege stehen blieb. Es fehlte mir damals, wie jetzt, an der Grund-
und Urbebingung jeder wahren Vereinigung mit Ihrer Lehre, an der Fähig¬
keit, zu glauben, wogegen meine Vernunft sich auflehnt. Ich bestrebt? mich


glauben, daß das durchaus praktische Problem einer deutschen Bundesver¬
fassung — welches man freilich Hütte auflösen sollen, ehe man leichsinniger-
weise entschied, daß eine Bundesverfassung stattfinden sollte, ohne zu wissen,
ob sie auch in irgend einer Form möglich sei — durch ein gewisses mystisches
Lehr- und Glaubensrecht, womit ich nicht einmal eine deutliche Vorstellung
verbinden kann, aufs Reine gebracht werden wird, nachdem ich vorher belehrt
worden bin, daß es weder durch Souveränetät, noch durch Föderalismus, noch
durch ein Oberhaupt, noch durch eine Konstitution auflösbar ist. Herr Krug
beweist mir in einem Aufsatze: „Wer soll Haupt des deutschen Bundes sein?"
mit lächerlicher Gravität, daß Preußen es nicht sein soll (und an negativen
Resultaten sind überhaupt die Staatsanzeigen nicht arm); aber wer es sein
soll, und ob überhaupt einer, bleibt so unentschieden als zuvor; und noch
muß unir dem Himmel danken, daß er nur nicht weiter ging. — Provinzial-
und Municipalbehörden sind jetzt die großen Panaceen aller politischen Aerzte.
Wo sie von Alters her bestehen, wie in England, mag man ihnen in Gottes
Namen alles das zuschreiben, waS man bisher der Organisation der obern
Staatsgewalten zuschrieb, obgleich (in parontkösi) Montesquieu und Delvlme
wol auch etwas davon wußten, und solche Stümper nicht waren, als man
sie heute schildert .... Municipalverfassungen, da wo sie nicht sind, zu
machen, ist denn das leichter, ist denn das nach Ihren und Ihrer heutigen
Freunde Grundsätzen correcter, als Constitutionen zu machen? Das alles geht
über meine Fassungskraft. Ich bin zu alt, zu steif, zu stumpf für diese Sprünge.
Ich will diejenigen nicht tadeln, die beweglicher, rüstiger und kühner sind.
Nur für mich gibt es auf diesen Feldern keinen Platz mehr."

Diese Zwistigkeiten mußten um so heftiger werden, da auch die Religion
hineingemischt wurde. Am 1. März 1817 klagt Müller darüber, daß Gentz
sich Gott immer mehr entfremde. Er sucht ihn zu belehren und schließt mit
folgender erbaulichen Betrachtung: „Herr! wenn das', was wir Schwächlinge
in der majestätischen Gegenwart einer zweitausendjährigen Kirche, die sich
wenigstens nie und nirgend widersprochen hat, glauben — nicht^ wahr ist;
wenn der Ausschuß von allen Zeiten, die gemeine sinnliche Zweifele! Recht
behält und es sich endlich ergibt, daß es mit dem Maul nach diesem Leben
seine Richtigkeit hat: — was haben wir dann verloren? — Wenn eS aber
wahr ist? Wie dann? —Liebster Gentz!" Darauf antwortet Gentz, Is. März:
,,ES ist wahr, daß eS eine Zeit gab, wo ich den Ideen und Gefühlen, denen
Sie in mir die Oberhand wünschten, näher war, als heute. Soll ich Ihnen
über diese Zeit die volle Wahrheit sagen? Hier ist sie. Ich bin froh, daß ich
auf halbem Wege stehen blieb. Es fehlte mir damals, wie jetzt, an der Grund-
und Urbebingung jeder wahren Vereinigung mit Ihrer Lehre, an der Fähig¬
keit, zu glauben, wogegen meine Vernunft sich auflehnt. Ich bestrebt? mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/300>, abgerufen am 28.07.2024.