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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Zusammenfassen ster dem Anschein nach getrenntesten Gegenstände ist mein
Kopf zu schwach. Ihnen ist es ein Spiel, Burke, Plato, Schelling, Novalis
(von dem ich nicht geglaubt hätte, ihn als den Lichtverbreiter über die Ge¬
schichte von England je gerechnet zu sehen), den Apoll von Belvedere, die
Planeten, Gott, und den Gegensatz -- in einem einzigen Moment so mit¬
einander zu amalgamiren, daß einem solchen, wie ich bin, der Kopf schwindelt.
Sie sind ein Dichter, mein lieber Freund; nur die Imagination ist eS, die
mir in Ihnen dies ganze seltsame Spiel erklärt."

Aus diesen lustigen Höhen der Speculation wurde Müller plötzlich in
das praktische Leben geworfen. Von 48-13 an war er als kaiserlicher Landes-
commissar und tiroler Schützenmajor bei dem Aufstand in Tirol und als
Regierungsratl) und erster Referent bei der Organisation dieses Landes
thätig, bis er im April 1815 dem Feldhoflager des Kaisers Franz nach Paris
folgte, von wo aus er stehende Berichte nach Wien für den östreichischen Be¬
obachter schickte. Gentz ist von diesen Berichten im höchsten Grade befriedigt.
Wir ersehen daraus nur so viel, daß noch damals an den maßgebenden Stellen
der Entschluß sehr schwankend war. Merkwürdig ist namentlich die folgende
Stelle aus einem Briefe Müllers an Gentz (14. Juli -1815): "Die Kaiserin
Marie Louise hätte alle Stimmen für sich vereinigt, die Bourbonisten in
Frankreich hätten geschwiegen, und es ist keinem Zweifel unterworfen, baß die
ganze öffentliche Meinung von Frankreich, der ganze Nerv seiner kräftigsten
Parteien für den Augenblick zur Disposition von Oestreich gestanden hätte.
Man erschöpft sich noch heute in Phantasten, wie dieses Arrangement zu
machen gewesen wäre; viele haben sich mit dem Gedanken einer Regentschaft
des Erzherzogs Karl herumgetragen; von einem Ende des Reichs zum andern
hätte ein Wort des Kaisers alle Gemüther, elektrisiren können. Sollte man
aber bei einer außerdem so tief complicirten Frage eine andere Entscheidung
als die des politischen Gewissens geben? Ist es besser, den Lockungen des
Augenblicks und einer momentanen Präpotenz, die sich dem Hause Oestreich
wirklich aufzudringen schien, nachgeben, oder ganz schlicht und einfach das
göttliche Recht der Throne als die einzige untrügliche Basis aller politischen
Institutionen behaupten?... . Problematisch ist mir der künstliche Charakter
Ihres gegenwärtigen politischen Systems und Ihre anscheinende Gleichgiltigkeit
dagegen, ob der Grundgedanke Ihres ganzen politischen Lebens triumphire
oder nicht. Kam es denn auf etwas anders als. darauf an, daß ^das Princip
der Revolution gestürzt wurde, und daß die Herrschaft der politischen Phan¬
tome, Schatten, Larven ein Ende nahm? Hierüber haben Sie sich zu recht¬
fertigen und zu erläutern bei dem, der diese "allerfürtrefflichsten Grundsätze"
nur durch Sie, durch das Beispiel Ihres Lebens kennen lernte, und nun nicht
zugeben wird, daß gewöhnliche Gleichgewichtsrücksichten den Augenblick ver-


Zusammenfassen ster dem Anschein nach getrenntesten Gegenstände ist mein
Kopf zu schwach. Ihnen ist es ein Spiel, Burke, Plato, Schelling, Novalis
(von dem ich nicht geglaubt hätte, ihn als den Lichtverbreiter über die Ge¬
schichte von England je gerechnet zu sehen), den Apoll von Belvedere, die
Planeten, Gott, und den Gegensatz — in einem einzigen Moment so mit¬
einander zu amalgamiren, daß einem solchen, wie ich bin, der Kopf schwindelt.
Sie sind ein Dichter, mein lieber Freund; nur die Imagination ist eS, die
mir in Ihnen dies ganze seltsame Spiel erklärt."

Aus diesen lustigen Höhen der Speculation wurde Müller plötzlich in
das praktische Leben geworfen. Von 48-13 an war er als kaiserlicher Landes-
commissar und tiroler Schützenmajor bei dem Aufstand in Tirol und als
Regierungsratl) und erster Referent bei der Organisation dieses Landes
thätig, bis er im April 1815 dem Feldhoflager des Kaisers Franz nach Paris
folgte, von wo aus er stehende Berichte nach Wien für den östreichischen Be¬
obachter schickte. Gentz ist von diesen Berichten im höchsten Grade befriedigt.
Wir ersehen daraus nur so viel, daß noch damals an den maßgebenden Stellen
der Entschluß sehr schwankend war. Merkwürdig ist namentlich die folgende
Stelle aus einem Briefe Müllers an Gentz (14. Juli -1815): „Die Kaiserin
Marie Louise hätte alle Stimmen für sich vereinigt, die Bourbonisten in
Frankreich hätten geschwiegen, und es ist keinem Zweifel unterworfen, baß die
ganze öffentliche Meinung von Frankreich, der ganze Nerv seiner kräftigsten
Parteien für den Augenblick zur Disposition von Oestreich gestanden hätte.
Man erschöpft sich noch heute in Phantasten, wie dieses Arrangement zu
machen gewesen wäre; viele haben sich mit dem Gedanken einer Regentschaft
des Erzherzogs Karl herumgetragen; von einem Ende des Reichs zum andern
hätte ein Wort des Kaisers alle Gemüther, elektrisiren können. Sollte man
aber bei einer außerdem so tief complicirten Frage eine andere Entscheidung
als die des politischen Gewissens geben? Ist es besser, den Lockungen des
Augenblicks und einer momentanen Präpotenz, die sich dem Hause Oestreich
wirklich aufzudringen schien, nachgeben, oder ganz schlicht und einfach das
göttliche Recht der Throne als die einzige untrügliche Basis aller politischen
Institutionen behaupten?... . Problematisch ist mir der künstliche Charakter
Ihres gegenwärtigen politischen Systems und Ihre anscheinende Gleichgiltigkeit
dagegen, ob der Grundgedanke Ihres ganzen politischen Lebens triumphire
oder nicht. Kam es denn auf etwas anders als. darauf an, daß ^das Princip
der Revolution gestürzt wurde, und daß die Herrschaft der politischen Phan¬
tome, Schatten, Larven ein Ende nahm? Hierüber haben Sie sich zu recht¬
fertigen und zu erläutern bei dem, der diese „allerfürtrefflichsten Grundsätze"
nur durch Sie, durch das Beispiel Ihres Lebens kennen lernte, und nun nicht
zugeben wird, daß gewöhnliche Gleichgewichtsrücksichten den Augenblick ver-


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[0298] Zusammenfassen ster dem Anschein nach getrenntesten Gegenstände ist mein Kopf zu schwach. Ihnen ist es ein Spiel, Burke, Plato, Schelling, Novalis (von dem ich nicht geglaubt hätte, ihn als den Lichtverbreiter über die Ge¬ schichte von England je gerechnet zu sehen), den Apoll von Belvedere, die Planeten, Gott, und den Gegensatz — in einem einzigen Moment so mit¬ einander zu amalgamiren, daß einem solchen, wie ich bin, der Kopf schwindelt. Sie sind ein Dichter, mein lieber Freund; nur die Imagination ist eS, die mir in Ihnen dies ganze seltsame Spiel erklärt." Aus diesen lustigen Höhen der Speculation wurde Müller plötzlich in das praktische Leben geworfen. Von 48-13 an war er als kaiserlicher Landes- commissar und tiroler Schützenmajor bei dem Aufstand in Tirol und als Regierungsratl) und erster Referent bei der Organisation dieses Landes thätig, bis er im April 1815 dem Feldhoflager des Kaisers Franz nach Paris folgte, von wo aus er stehende Berichte nach Wien für den östreichischen Be¬ obachter schickte. Gentz ist von diesen Berichten im höchsten Grade befriedigt. Wir ersehen daraus nur so viel, daß noch damals an den maßgebenden Stellen der Entschluß sehr schwankend war. Merkwürdig ist namentlich die folgende Stelle aus einem Briefe Müllers an Gentz (14. Juli -1815): „Die Kaiserin Marie Louise hätte alle Stimmen für sich vereinigt, die Bourbonisten in Frankreich hätten geschwiegen, und es ist keinem Zweifel unterworfen, baß die ganze öffentliche Meinung von Frankreich, der ganze Nerv seiner kräftigsten Parteien für den Augenblick zur Disposition von Oestreich gestanden hätte. Man erschöpft sich noch heute in Phantasten, wie dieses Arrangement zu machen gewesen wäre; viele haben sich mit dem Gedanken einer Regentschaft des Erzherzogs Karl herumgetragen; von einem Ende des Reichs zum andern hätte ein Wort des Kaisers alle Gemüther, elektrisiren können. Sollte man aber bei einer außerdem so tief complicirten Frage eine andere Entscheidung als die des politischen Gewissens geben? Ist es besser, den Lockungen des Augenblicks und einer momentanen Präpotenz, die sich dem Hause Oestreich wirklich aufzudringen schien, nachgeben, oder ganz schlicht und einfach das göttliche Recht der Throne als die einzige untrügliche Basis aller politischen Institutionen behaupten?... . Problematisch ist mir der künstliche Charakter Ihres gegenwärtigen politischen Systems und Ihre anscheinende Gleichgiltigkeit dagegen, ob der Grundgedanke Ihres ganzen politischen Lebens triumphire oder nicht. Kam es denn auf etwas anders als. darauf an, daß ^das Princip der Revolution gestürzt wurde, und daß die Herrschaft der politischen Phan¬ tome, Schatten, Larven ein Ende nahm? Hierüber haben Sie sich zu recht¬ fertigen und zu erläutern bei dem, der diese „allerfürtrefflichsten Grundsätze" nur durch Sie, durch das Beispiel Ihres Lebens kennen lernte, und nun nicht zugeben wird, daß gewöhnliche Gleichgewichtsrücksichten den Augenblick ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/298>, abgerufen am 28.07.2024.