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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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da drängte sich auch die Beschreibung, die Schilderung um so mehr hervor,
als die Gedanken ausgingen, und welches Thema war zugänglicher und un¬
erschöpflicher als die Natur? Je mehr die eigentlich rhetorische Schriftstellern
allgemein wurde, der es bei dem, was sie sagte, niemals auf das Was, sondern
allein auf das Wie ankommt: desto häufiger und breiter wurden die Naturschilde¬
rungen, namentlich auch im Roman, der ganz und gar in diese Kategorie gehört;
und diese Mode machten auch die zum Theil rhetorisch gebildeten Kirchenschrift-
fteller mit, ans denen Humboldt im Kosmos einige ganz moderne Beschreibungen
mitgetheilt hat. Da diese Rhetoren niemals "bei der Sache sind", über die
sie schreiben, da man ihnen in jedem Wort den Mangel an innerer Theil"
nähme und die Absicht anfühlt, ihre Kunst glänzen zu lassen, so wird man
verstimmt, und um so mehr, als ihre Schilderungen nicht blos nüchtern und
unanschaulich, sondern auch äußerst affectirt sind. In deutschen Uebersetzungen
gewinnen sie in der Regel, "und nur so ist es erklärbar, daß Goethe den
Schäferroman Daphnis und Chloe hat hochschätzen, daß er sich mit dem ab¬
geschmacktesten und erbärmlichsten aller Schönredner, mit Philostrat, hat dauernd
beschäftigen können.

"Die griechischen Rhetoren der spätern Zeit, sagt Lehrs, sind bisweilen
sehr aufrichtig. Sie, denen aller Glorien höchste die Glorie deS Rhetors ist,
verhehlen nicht, daß reden auch hier der Zweck ist. Sie verfaßten UebungS-
beschreibungen der Natur z. B. LiboniuS (der Freund Julian des Ab¬
trünnigen), des Frühlings, derselbe deS Gartens. In diesen, nachdem alles
aufgezählt worden, zuletzt hervorsprudelnde Quellen und fliegende Vögel, ist der
Schluß: "Und dieses alles war lieblich zu sehn, aber Zuhörern es zu schildern
noch lieblicher." Uebrigens wurde auch damals noch trotz der allgemeinen
Verbildung und Geschmacklosigkeit die Leerheit und Aeußerlichkeit dieser Schil¬
derungen hin und wieder bemerkt, wie z. B. der Kaiser Julian selbst sagt, daß
den unverständigen Rhetoren, denen Gedanken und Erfindung fehlen, singende
Schwäne, rauschende Bäume, thauige Wiesen, duftende Blumen u. s. w.
als Ersatz dienen müssen. -- Lehrs warnt am Schluß vor zu strenger
Verurtheilung dieser Absurditäten. Er erinnert, daß man auf keinem Gebiet
sich über alle Arten von Fehlern leichter täuscht, als auf diesem, schon durch
die bloße Nennung der Naturgegenstände. "Eine Rose und ein Mondschein
erregen immer angenehme Empfindungen, und was vermag nicht eine Palme'."

In der christlichen Welt wie bei den monotheistischen Völkern wurde die
Auffassung der Natur eine völlig andre. Dem Griechen war die Natur
Göttin neben Göttern; für das alttestamentliche und christliche Naturgefühl
war sie dem einen Gotte gegenüber daS Werk, das seinen Schöpfer lobt,
,und erhielt so die Tendenz als Eines, als Ganzes betrachtet zu werden.
Dies Gefühl waltet noch in Klopstocks Oden, wie es schon in Davids Psalmen


da drängte sich auch die Beschreibung, die Schilderung um so mehr hervor,
als die Gedanken ausgingen, und welches Thema war zugänglicher und un¬
erschöpflicher als die Natur? Je mehr die eigentlich rhetorische Schriftstellern
allgemein wurde, der es bei dem, was sie sagte, niemals auf das Was, sondern
allein auf das Wie ankommt: desto häufiger und breiter wurden die Naturschilde¬
rungen, namentlich auch im Roman, der ganz und gar in diese Kategorie gehört;
und diese Mode machten auch die zum Theil rhetorisch gebildeten Kirchenschrift-
fteller mit, ans denen Humboldt im Kosmos einige ganz moderne Beschreibungen
mitgetheilt hat. Da diese Rhetoren niemals „bei der Sache sind", über die
sie schreiben, da man ihnen in jedem Wort den Mangel an innerer Theil»
nähme und die Absicht anfühlt, ihre Kunst glänzen zu lassen, so wird man
verstimmt, und um so mehr, als ihre Schilderungen nicht blos nüchtern und
unanschaulich, sondern auch äußerst affectirt sind. In deutschen Uebersetzungen
gewinnen sie in der Regel, «und nur so ist es erklärbar, daß Goethe den
Schäferroman Daphnis und Chloe hat hochschätzen, daß er sich mit dem ab¬
geschmacktesten und erbärmlichsten aller Schönredner, mit Philostrat, hat dauernd
beschäftigen können.

„Die griechischen Rhetoren der spätern Zeit, sagt Lehrs, sind bisweilen
sehr aufrichtig. Sie, denen aller Glorien höchste die Glorie deS Rhetors ist,
verhehlen nicht, daß reden auch hier der Zweck ist. Sie verfaßten UebungS-
beschreibungen der Natur z. B. LiboniuS (der Freund Julian des Ab¬
trünnigen), des Frühlings, derselbe deS Gartens. In diesen, nachdem alles
aufgezählt worden, zuletzt hervorsprudelnde Quellen und fliegende Vögel, ist der
Schluß: „Und dieses alles war lieblich zu sehn, aber Zuhörern es zu schildern
noch lieblicher." Uebrigens wurde auch damals noch trotz der allgemeinen
Verbildung und Geschmacklosigkeit die Leerheit und Aeußerlichkeit dieser Schil¬
derungen hin und wieder bemerkt, wie z. B. der Kaiser Julian selbst sagt, daß
den unverständigen Rhetoren, denen Gedanken und Erfindung fehlen, singende
Schwäne, rauschende Bäume, thauige Wiesen, duftende Blumen u. s. w.
als Ersatz dienen müssen. — Lehrs warnt am Schluß vor zu strenger
Verurtheilung dieser Absurditäten. Er erinnert, daß man auf keinem Gebiet
sich über alle Arten von Fehlern leichter täuscht, als auf diesem, schon durch
die bloße Nennung der Naturgegenstände. „Eine Rose und ein Mondschein
erregen immer angenehme Empfindungen, und was vermag nicht eine Palme'."

In der christlichen Welt wie bei den monotheistischen Völkern wurde die
Auffassung der Natur eine völlig andre. Dem Griechen war die Natur
Göttin neben Göttern; für das alttestamentliche und christliche Naturgefühl
war sie dem einen Gotte gegenüber daS Werk, das seinen Schöpfer lobt,
,und erhielt so die Tendenz als Eines, als Ganzes betrachtet zu werden.
Dies Gefühl waltet noch in Klopstocks Oden, wie es schon in Davids Psalmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/29>, abgerufen am 28.07.2024.