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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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einen Soldatenhaufen verwandelt. Schon im Beginne deS Is. Jahrhunderts
bilden die Bernerknaben ein uniformirtes, marschfähiges und zu Staatszwecke"
verwendbares Corps. Dies beweist Justinger, Bern. Chronik S. 283: "Uf
Sant Ulrichs Abend des Jares ritten der Kürg Sigismund gen
Bern. Da hatt der Kürg meh denn 800 Pferd und der Graf von Saffoy
meh denn 600. Da ging man ihm entgegen mit dem Crütz und mit einer
ganzen Prozeß, mit dem Hellenen und mit allen Orden. Da waren geordnet
, bi fünfhundert junge Knaben unter zwölf Jaren, denen hat man bereite deS
Riebs Pamer, und das trug ein micheler Knabe, und die andern Knaben hatt
jeglicher des Riebs Pamer uf hinein Houpt in einem Tscheppelin gemolet.
Die empsiengent am ersten den Kürg und knüwetent nider. Das gefiel dem
Kürg gar wol und sprach zu den Fürsten, die mit ihm rittent: da wachset
uns ein nüwe Welt!"

Zürich, in der Schweizergeschichte so oft der politische Widerpart des mäch¬
tigen Bern, verhielt sich auch als Erzieher und Bildner seiner Jugend viel¬
fach anders, behandelte daher auch die Volkszustände und ältern Ueblichkeiten
in einem mehr schonenden, gelinde ändernden Geiste. Hier beließ man ähn¬
lichen Waffenübungen der Jugend die ursprüngliche Seite des Scherzes, selbst
wo derselbe hart an eine possenhafte Fröhlichkeit, gleich allem Volksscherze, an-^
streifte. Daß die Stadtknaben den wiedikoner Dorfknaben wegen zweier Fast-
nachtSbutzen jährlich eine Schlacht zu liefern hatten, ist bereits "order er¬
wähnt. Dies war das FasnachtSfest. Beim Frühlingsfeste, jenem noch ge¬
feierten Sechseläuten am ersten Märzmontag, der auf die Tag- und Nacht¬
gleiche folgt, erercirte an den städtischen Schanzen die reifere Jugend im
Feuer, schoß aus Gewehr und Kanönchen; indeß sich die Kinder einen bemal¬
ten Strohmann mit Pulver füllten und ihn in die Luft fahren ließen. Das
dritte militärisch begangene Jugendfest war dann zur Zeit der Schulferien in
den Hundstagen, das Knaben- oder Zielschießet. Während die kleineren
Knaben das Ningelstechen abhielten, wobei man kleine Silbermünzen gewann,
hatten die Schulknaben ihren Waffentag und schössen, wie sie es heute noch
zu thun haben, nach der Scheibe. Aber auch hier fehlte der Platznarr nicht-
Mit der Peitsche züchtigte er jeden, welcher den Rüben die Schwänze abschoß,
nämlich einen Fehlschuß ins weite Feld hinaus that. Und so lange hielt l>et
den züricher Jugendfesten diese sachgemäße Paarung von Waffenernst und Kin¬
derscherz nach', daß der letzte Platznarr daselbst erst kurz vor 179i gestorben ist.

Ein weiteres Beispiel diene dazu, zu zeigen, daß dieselbe Sitte allent¬
halben auch in den mit der Schweiz näher zusammenhängenden Landstrichen,
gegolten hat. Als Neuenburg im I. 1637 den in sein Fürstenthum zurück¬
kehrenden Heinrich U. von Longueville an der Grenze militärisch empfing,
betrachtete der Fürst erstaunt die Menge des aufgebotenen Kriegsvolkes, denn


einen Soldatenhaufen verwandelt. Schon im Beginne deS Is. Jahrhunderts
bilden die Bernerknaben ein uniformirtes, marschfähiges und zu Staatszwecke»
verwendbares Corps. Dies beweist Justinger, Bern. Chronik S. 283: „Uf
Sant Ulrichs Abend des Jares ritten der Kürg Sigismund gen
Bern. Da hatt der Kürg meh denn 800 Pferd und der Graf von Saffoy
meh denn 600. Da ging man ihm entgegen mit dem Crütz und mit einer
ganzen Prozeß, mit dem Hellenen und mit allen Orden. Da waren geordnet
, bi fünfhundert junge Knaben unter zwölf Jaren, denen hat man bereite deS
Riebs Pamer, und das trug ein micheler Knabe, und die andern Knaben hatt
jeglicher des Riebs Pamer uf hinein Houpt in einem Tscheppelin gemolet.
Die empsiengent am ersten den Kürg und knüwetent nider. Das gefiel dem
Kürg gar wol und sprach zu den Fürsten, die mit ihm rittent: da wachset
uns ein nüwe Welt!"

Zürich, in der Schweizergeschichte so oft der politische Widerpart des mäch¬
tigen Bern, verhielt sich auch als Erzieher und Bildner seiner Jugend viel¬
fach anders, behandelte daher auch die Volkszustände und ältern Ueblichkeiten
in einem mehr schonenden, gelinde ändernden Geiste. Hier beließ man ähn¬
lichen Waffenübungen der Jugend die ursprüngliche Seite des Scherzes, selbst
wo derselbe hart an eine possenhafte Fröhlichkeit, gleich allem Volksscherze, an-^
streifte. Daß die Stadtknaben den wiedikoner Dorfknaben wegen zweier Fast-
nachtSbutzen jährlich eine Schlacht zu liefern hatten, ist bereits »order er¬
wähnt. Dies war das FasnachtSfest. Beim Frühlingsfeste, jenem noch ge¬
feierten Sechseläuten am ersten Märzmontag, der auf die Tag- und Nacht¬
gleiche folgt, erercirte an den städtischen Schanzen die reifere Jugend im
Feuer, schoß aus Gewehr und Kanönchen; indeß sich die Kinder einen bemal¬
ten Strohmann mit Pulver füllten und ihn in die Luft fahren ließen. Das
dritte militärisch begangene Jugendfest war dann zur Zeit der Schulferien in
den Hundstagen, das Knaben- oder Zielschießet. Während die kleineren
Knaben das Ningelstechen abhielten, wobei man kleine Silbermünzen gewann,
hatten die Schulknaben ihren Waffentag und schössen, wie sie es heute noch
zu thun haben, nach der Scheibe. Aber auch hier fehlte der Platznarr nicht-
Mit der Peitsche züchtigte er jeden, welcher den Rüben die Schwänze abschoß,
nämlich einen Fehlschuß ins weite Feld hinaus that. Und so lange hielt l>et
den züricher Jugendfesten diese sachgemäße Paarung von Waffenernst und Kin¬
derscherz nach', daß der letzte Platznarr daselbst erst kurz vor 179i gestorben ist.

Ein weiteres Beispiel diene dazu, zu zeigen, daß dieselbe Sitte allent¬
halben auch in den mit der Schweiz näher zusammenhängenden Landstrichen,
gegolten hat. Als Neuenburg im I. 1637 den in sein Fürstenthum zurück¬
kehrenden Heinrich U. von Longueville an der Grenze militärisch empfing,
betrachtete der Fürst erstaunt die Menge des aufgebotenen Kriegsvolkes, denn


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[0276] einen Soldatenhaufen verwandelt. Schon im Beginne deS Is. Jahrhunderts bilden die Bernerknaben ein uniformirtes, marschfähiges und zu Staatszwecke» verwendbares Corps. Dies beweist Justinger, Bern. Chronik S. 283: „Uf Sant Ulrichs Abend des Jares ritten der Kürg Sigismund gen Bern. Da hatt der Kürg meh denn 800 Pferd und der Graf von Saffoy meh denn 600. Da ging man ihm entgegen mit dem Crütz und mit einer ganzen Prozeß, mit dem Hellenen und mit allen Orden. Da waren geordnet , bi fünfhundert junge Knaben unter zwölf Jaren, denen hat man bereite deS Riebs Pamer, und das trug ein micheler Knabe, und die andern Knaben hatt jeglicher des Riebs Pamer uf hinein Houpt in einem Tscheppelin gemolet. Die empsiengent am ersten den Kürg und knüwetent nider. Das gefiel dem Kürg gar wol und sprach zu den Fürsten, die mit ihm rittent: da wachset uns ein nüwe Welt!" Zürich, in der Schweizergeschichte so oft der politische Widerpart des mäch¬ tigen Bern, verhielt sich auch als Erzieher und Bildner seiner Jugend viel¬ fach anders, behandelte daher auch die Volkszustände und ältern Ueblichkeiten in einem mehr schonenden, gelinde ändernden Geiste. Hier beließ man ähn¬ lichen Waffenübungen der Jugend die ursprüngliche Seite des Scherzes, selbst wo derselbe hart an eine possenhafte Fröhlichkeit, gleich allem Volksscherze, an-^ streifte. Daß die Stadtknaben den wiedikoner Dorfknaben wegen zweier Fast- nachtSbutzen jährlich eine Schlacht zu liefern hatten, ist bereits »order er¬ wähnt. Dies war das FasnachtSfest. Beim Frühlingsfeste, jenem noch ge¬ feierten Sechseläuten am ersten Märzmontag, der auf die Tag- und Nacht¬ gleiche folgt, erercirte an den städtischen Schanzen die reifere Jugend im Feuer, schoß aus Gewehr und Kanönchen; indeß sich die Kinder einen bemal¬ ten Strohmann mit Pulver füllten und ihn in die Luft fahren ließen. Das dritte militärisch begangene Jugendfest war dann zur Zeit der Schulferien in den Hundstagen, das Knaben- oder Zielschießet. Während die kleineren Knaben das Ningelstechen abhielten, wobei man kleine Silbermünzen gewann, hatten die Schulknaben ihren Waffentag und schössen, wie sie es heute noch zu thun haben, nach der Scheibe. Aber auch hier fehlte der Platznarr nicht- Mit der Peitsche züchtigte er jeden, welcher den Rüben die Schwänze abschoß, nämlich einen Fehlschuß ins weite Feld hinaus that. Und so lange hielt l>et den züricher Jugendfesten diese sachgemäße Paarung von Waffenernst und Kin¬ derscherz nach', daß der letzte Platznarr daselbst erst kurz vor 179i gestorben ist. Ein weiteres Beispiel diene dazu, zu zeigen, daß dieselbe Sitte allent¬ halben auch in den mit der Schweiz näher zusammenhängenden Landstrichen, gegolten hat. Als Neuenburg im I. 1637 den in sein Fürstenthum zurück¬ kehrenden Heinrich U. von Longueville an der Grenze militärisch empfing, betrachtete der Fürst erstaunt die Menge des aufgebotenen Kriegsvolkes, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/276>, abgerufen am 28.07.2024.