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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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preußischen Heerverfassung in einen unlösbaren Conflict kommen. Dazu
kommen noch andere innere und äußere Schwierigkeiten, die sich seit 1808
sehr bedeutend vermehrt haben. Die katholische Bevölkerung Preußens, sowol
die polnische wie die rheinländische, ist nur halb in das Staatsleben ein¬
gebürgert; sie wird in Collisionsfällen, wie sich das schon bei Gelegenheit der
Union gezeigt hat, stets geneigt sein, ihr Gewicht in die Wagschale Oestreichs
zu werfe". Dasselbe gilt von dem größern Theil der hohen Aristokratie, die
bisher dem preußischen Staatsleben ganz fremd geblieben ist. Diese Elemente,
die man nicht äußerlich unterdrücken kann, allmälig für Preußen zu gewinnen,
scheint uns eine.der wichtigsten Aufgaben der Politik. Nun ist es richtig,
daß für den Augenblick durch die constitutionelle Verfassung ihnen Gelegen¬
heit geboten ist, sich zu consolidiren und den Gegensatz gegen die herrschende
Richtung des Staatslebens schärfer hervortreten zu lassen. Es hat sich im
Landtag neben der kleinen polnischen eine große katholische Fraction gebildet,
die ihre eigenen Interessen an die Spitze stellt und ihre sonstige Parteinahme
von der Unterstützung abhängig macht, die sie für ihre leitenden Zwecke bei
den übrigen Parteien findet. Der Gegensatz der Pairie gegen den Geist deräin
Preußen bestehenden Rechtsgleichheit hat sich zwar nur in einzelnen Fällen
bemerken lassen, aber diese Fälle waren bedenklich genug. Das alles sind
große Uebelstände, aber doch nicht so groß, als es den Anschein hat. Die
katholische Fraction benutzt zwar den parlamentarischen Boden, um dem preu¬
ßischen Staat Concessionen abzudrängen, aber sie lernt damit zunächst diesen
parlamentarischen Boden liebgewinnen und dadurch mittelbar auch den Staat.
Der Führer der katholischen Opposition wendet in den meisten Fällen Argu¬
mente an, die ein Liberaler nicht besser aussprechen könnte. Es mag sein,
wie seine Gegner ihm vorwerfen, daß das lediglich Mittel zum Zweck sind,
denn in andern Ländern führt dieselbe Fraction eine ganz entgegengesetzte
Sprache; aber das Mittel, mit dem man sich unausgesetzt beschäftigt, wird
zuletzt zum Zweck. Die Katholiken machen in dem parlamentarischen Leben
eine sehr gute Schule durch, die sie mehr und mehr in das preußische Staats¬
leben einführen wird. Dasselbe gilt von den Standesherren. Bisher sahen
sie in vornehmer Gleichgiltigkeit dem politischen Treiben zu, vorausgesetzt, daß
es sich außerhalb der Grenzen ihrer Sondervorrechte hielt. Jetzt müssen sie
nothgedrungen davon Notiz nehmen, und zwar nicht blos von den Fragen,
die sie unmittelbar berühren, sondern von allen übrigen. Die Gesetze werden
ihnen vorgelegt, Gesetze der mannigfaltigsten Art, sie müssen die Gründe für
und wider prüfen, sie gewinnen dadurch einen tiefern Blick in die gesellschaft¬
lichen und ökonomischen Zustände aller Volksclassen, und sie werden, sobald
sie nur Interesse daran finden, auch wol versucht werden, unmittelbar einzu¬
greifen. Wenn eine Theilnahme der hohen Aristokratie an .der Provinzial-


preußischen Heerverfassung in einen unlösbaren Conflict kommen. Dazu
kommen noch andere innere und äußere Schwierigkeiten, die sich seit 1808
sehr bedeutend vermehrt haben. Die katholische Bevölkerung Preußens, sowol
die polnische wie die rheinländische, ist nur halb in das Staatsleben ein¬
gebürgert; sie wird in Collisionsfällen, wie sich das schon bei Gelegenheit der
Union gezeigt hat, stets geneigt sein, ihr Gewicht in die Wagschale Oestreichs
zu werfe». Dasselbe gilt von dem größern Theil der hohen Aristokratie, die
bisher dem preußischen Staatsleben ganz fremd geblieben ist. Diese Elemente,
die man nicht äußerlich unterdrücken kann, allmälig für Preußen zu gewinnen,
scheint uns eine.der wichtigsten Aufgaben der Politik. Nun ist es richtig,
daß für den Augenblick durch die constitutionelle Verfassung ihnen Gelegen¬
heit geboten ist, sich zu consolidiren und den Gegensatz gegen die herrschende
Richtung des Staatslebens schärfer hervortreten zu lassen. Es hat sich im
Landtag neben der kleinen polnischen eine große katholische Fraction gebildet,
die ihre eigenen Interessen an die Spitze stellt und ihre sonstige Parteinahme
von der Unterstützung abhängig macht, die sie für ihre leitenden Zwecke bei
den übrigen Parteien findet. Der Gegensatz der Pairie gegen den Geist deräin
Preußen bestehenden Rechtsgleichheit hat sich zwar nur in einzelnen Fällen
bemerken lassen, aber diese Fälle waren bedenklich genug. Das alles sind
große Uebelstände, aber doch nicht so groß, als es den Anschein hat. Die
katholische Fraction benutzt zwar den parlamentarischen Boden, um dem preu¬
ßischen Staat Concessionen abzudrängen, aber sie lernt damit zunächst diesen
parlamentarischen Boden liebgewinnen und dadurch mittelbar auch den Staat.
Der Führer der katholischen Opposition wendet in den meisten Fällen Argu¬
mente an, die ein Liberaler nicht besser aussprechen könnte. Es mag sein,
wie seine Gegner ihm vorwerfen, daß das lediglich Mittel zum Zweck sind,
denn in andern Ländern führt dieselbe Fraction eine ganz entgegengesetzte
Sprache; aber das Mittel, mit dem man sich unausgesetzt beschäftigt, wird
zuletzt zum Zweck. Die Katholiken machen in dem parlamentarischen Leben
eine sehr gute Schule durch, die sie mehr und mehr in das preußische Staats¬
leben einführen wird. Dasselbe gilt von den Standesherren. Bisher sahen
sie in vornehmer Gleichgiltigkeit dem politischen Treiben zu, vorausgesetzt, daß
es sich außerhalb der Grenzen ihrer Sondervorrechte hielt. Jetzt müssen sie
nothgedrungen davon Notiz nehmen, und zwar nicht blos von den Fragen,
die sie unmittelbar berühren, sondern von allen übrigen. Die Gesetze werden
ihnen vorgelegt, Gesetze der mannigfaltigsten Art, sie müssen die Gründe für
und wider prüfen, sie gewinnen dadurch einen tiefern Blick in die gesellschaft¬
lichen und ökonomischen Zustände aller Volksclassen, und sie werden, sobald
sie nur Interesse daran finden, auch wol versucht werden, unmittelbar einzu¬
greifen. Wenn eine Theilnahme der hohen Aristokratie an .der Provinzial-


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[0262] preußischen Heerverfassung in einen unlösbaren Conflict kommen. Dazu kommen noch andere innere und äußere Schwierigkeiten, die sich seit 1808 sehr bedeutend vermehrt haben. Die katholische Bevölkerung Preußens, sowol die polnische wie die rheinländische, ist nur halb in das Staatsleben ein¬ gebürgert; sie wird in Collisionsfällen, wie sich das schon bei Gelegenheit der Union gezeigt hat, stets geneigt sein, ihr Gewicht in die Wagschale Oestreichs zu werfe». Dasselbe gilt von dem größern Theil der hohen Aristokratie, die bisher dem preußischen Staatsleben ganz fremd geblieben ist. Diese Elemente, die man nicht äußerlich unterdrücken kann, allmälig für Preußen zu gewinnen, scheint uns eine.der wichtigsten Aufgaben der Politik. Nun ist es richtig, daß für den Augenblick durch die constitutionelle Verfassung ihnen Gelegen¬ heit geboten ist, sich zu consolidiren und den Gegensatz gegen die herrschende Richtung des Staatslebens schärfer hervortreten zu lassen. Es hat sich im Landtag neben der kleinen polnischen eine große katholische Fraction gebildet, die ihre eigenen Interessen an die Spitze stellt und ihre sonstige Parteinahme von der Unterstützung abhängig macht, die sie für ihre leitenden Zwecke bei den übrigen Parteien findet. Der Gegensatz der Pairie gegen den Geist deräin Preußen bestehenden Rechtsgleichheit hat sich zwar nur in einzelnen Fällen bemerken lassen, aber diese Fälle waren bedenklich genug. Das alles sind große Uebelstände, aber doch nicht so groß, als es den Anschein hat. Die katholische Fraction benutzt zwar den parlamentarischen Boden, um dem preu¬ ßischen Staat Concessionen abzudrängen, aber sie lernt damit zunächst diesen parlamentarischen Boden liebgewinnen und dadurch mittelbar auch den Staat. Der Führer der katholischen Opposition wendet in den meisten Fällen Argu¬ mente an, die ein Liberaler nicht besser aussprechen könnte. Es mag sein, wie seine Gegner ihm vorwerfen, daß das lediglich Mittel zum Zweck sind, denn in andern Ländern führt dieselbe Fraction eine ganz entgegengesetzte Sprache; aber das Mittel, mit dem man sich unausgesetzt beschäftigt, wird zuletzt zum Zweck. Die Katholiken machen in dem parlamentarischen Leben eine sehr gute Schule durch, die sie mehr und mehr in das preußische Staats¬ leben einführen wird. Dasselbe gilt von den Standesherren. Bisher sahen sie in vornehmer Gleichgiltigkeit dem politischen Treiben zu, vorausgesetzt, daß es sich außerhalb der Grenzen ihrer Sondervorrechte hielt. Jetzt müssen sie nothgedrungen davon Notiz nehmen, und zwar nicht blos von den Fragen, die sie unmittelbar berühren, sondern von allen übrigen. Die Gesetze werden ihnen vorgelegt, Gesetze der mannigfaltigsten Art, sie müssen die Gründe für und wider prüfen, sie gewinnen dadurch einen tiefern Blick in die gesellschaft¬ lichen und ökonomischen Zustände aller Volksclassen, und sie werden, sobald sie nur Interesse daran finden, auch wol versucht werden, unmittelbar einzu¬ greifen. Wenn eine Theilnahme der hohen Aristokratie an .der Provinzial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/262>, abgerufen am 28.07.2024.