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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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unsere Paks sind nicht wie in England die Vertreter der standesmäßigen
Beschäftigung mit den Interessen des Staats, nicht die Spitzen einer regie¬
renden Classe; ihr Grundstamm ist aus dem sehr kleinen Kreise von Personen
gewählt, deren Besitz und Erbrecht, zum Theil auch Familienrecht, als scho¬
nend übrig gelassene Ausnahme von dem gemeinen Recht Deutschlands dasteht.
Und dieser Widerspruch ist nicht gemildert durch die Ernennung solcher, die
durch Amt und Lebensberuf aus eine allgemeinere Anschauung des Staats-
lebens hingewiesen waren, sondern es entsteht die Besorgniß, daß er gesteigert
ist durch ein gestaltetes Wahlrecht, welches die Gewählten grade als die Ver¬
treter gesellschaftlicher Ansprüche erscheinen läßt. Statt einer harmonischen
Einheit kann also leicht zur Erscheinung kommen eine dem Beamtenstaat, der
Amtögcntrv und dem gemeinen Landesrecht principiell entgegenstrebende Or¬
ganisation. Statt zu einer Verschmelzung mit dem Staatsorganismus zu
kommen, consolidirt sich dieser Gegensatz, wie in jeder Körperschaft, die grund¬
sätzlich aus einer gesellschaftlichen Gruppe gebildet ist, und befestigt sich durch
die Gemeinschaft des Wirkens von Jahr zu Jahr.

Was einem Unterhaus seine Kraft, Bedeutung und seine Vereinbarkeit
mit einer einheitlichen Staatsordnung gibt, ist das korporative Leben und die
Rechtseinheit der Wahlkörper, aus denen es hervorgeht. Wir hatten solche
Wahlkörper zum Theil in den städtischen Korporationen, wie sie seit 1808
zusammengewachsen waren, und manchen gesellschaftlichen Gegensatz schon
verschmolzen und versöhnt hatten. Wir haben sie wieder aufgelöst, am Rhein
Stadt und Land wiederum auseinandergerissen. Die mit dem Corporations-
wesen unvereinbarer Momente, Aufsichts- und Bestätigungsrecht, sind sogar
erweitert und principiell.durchgeführt. Selbst ritterschaftliche Creditinstitute
unterliegen einer solchen. In der Kreisverfassung sind Ritter, Bürger und
Bauern einander in Antagonie gegenübergestellt. Selbst die letzte noch übrige
Einheit, der Kreisverband, ist sür die Wahlen zerstückelt, zusammengesetzt, durch¬
einandergeworfen worden. Die Grundlagen unserer Verfassung beruhen auf
einer Verschiebung unsers geschichtlichen Organismus. Zerschneidet man näm¬
lich die alten Gebiete unserer ehemaligen Landstände nach den modernen Ver¬
waltungsbezirken in kleinere Kreise, so sügt man Elemente zu Kreisständen
zusammen, die so niemals zusammengehörten, bringt sie in ein unnatürliches
Verhältniß, schließt massenhaft die städtische Intelligenz aus, und gibt der
Ritterschaft ein Uebergewicht über die isolirten Städte, welches ihr niemals
zugekommen ist. Schiebt man Formen, Namen, Zahlen, die einer älteren
Rechts- und Gesellschaftsordnung angehören, in eine neue Rechts- und Gesell¬
schaftsordnung hinein, so entsteht nicht ein historisches Recht, sondern etwas
Neues, welches weder historisch noch Recht ist. Die ganze Parteibildung ist
hier flugsandartig, und die noch vorhandenen festeren Körper werden durch das


unsere Paks sind nicht wie in England die Vertreter der standesmäßigen
Beschäftigung mit den Interessen des Staats, nicht die Spitzen einer regie¬
renden Classe; ihr Grundstamm ist aus dem sehr kleinen Kreise von Personen
gewählt, deren Besitz und Erbrecht, zum Theil auch Familienrecht, als scho¬
nend übrig gelassene Ausnahme von dem gemeinen Recht Deutschlands dasteht.
Und dieser Widerspruch ist nicht gemildert durch die Ernennung solcher, die
durch Amt und Lebensberuf aus eine allgemeinere Anschauung des Staats-
lebens hingewiesen waren, sondern es entsteht die Besorgniß, daß er gesteigert
ist durch ein gestaltetes Wahlrecht, welches die Gewählten grade als die Ver¬
treter gesellschaftlicher Ansprüche erscheinen läßt. Statt einer harmonischen
Einheit kann also leicht zur Erscheinung kommen eine dem Beamtenstaat, der
Amtögcntrv und dem gemeinen Landesrecht principiell entgegenstrebende Or¬
ganisation. Statt zu einer Verschmelzung mit dem Staatsorganismus zu
kommen, consolidirt sich dieser Gegensatz, wie in jeder Körperschaft, die grund¬
sätzlich aus einer gesellschaftlichen Gruppe gebildet ist, und befestigt sich durch
die Gemeinschaft des Wirkens von Jahr zu Jahr.

Was einem Unterhaus seine Kraft, Bedeutung und seine Vereinbarkeit
mit einer einheitlichen Staatsordnung gibt, ist das korporative Leben und die
Rechtseinheit der Wahlkörper, aus denen es hervorgeht. Wir hatten solche
Wahlkörper zum Theil in den städtischen Korporationen, wie sie seit 1808
zusammengewachsen waren, und manchen gesellschaftlichen Gegensatz schon
verschmolzen und versöhnt hatten. Wir haben sie wieder aufgelöst, am Rhein
Stadt und Land wiederum auseinandergerissen. Die mit dem Corporations-
wesen unvereinbarer Momente, Aufsichts- und Bestätigungsrecht, sind sogar
erweitert und principiell.durchgeführt. Selbst ritterschaftliche Creditinstitute
unterliegen einer solchen. In der Kreisverfassung sind Ritter, Bürger und
Bauern einander in Antagonie gegenübergestellt. Selbst die letzte noch übrige
Einheit, der Kreisverband, ist sür die Wahlen zerstückelt, zusammengesetzt, durch¬
einandergeworfen worden. Die Grundlagen unserer Verfassung beruhen auf
einer Verschiebung unsers geschichtlichen Organismus. Zerschneidet man näm¬
lich die alten Gebiete unserer ehemaligen Landstände nach den modernen Ver¬
waltungsbezirken in kleinere Kreise, so sügt man Elemente zu Kreisständen
zusammen, die so niemals zusammengehörten, bringt sie in ein unnatürliches
Verhältniß, schließt massenhaft die städtische Intelligenz aus, und gibt der
Ritterschaft ein Uebergewicht über die isolirten Städte, welches ihr niemals
zugekommen ist. Schiebt man Formen, Namen, Zahlen, die einer älteren
Rechts- und Gesellschaftsordnung angehören, in eine neue Rechts- und Gesell¬
schaftsordnung hinein, so entsteht nicht ein historisches Recht, sondern etwas
Neues, welches weder historisch noch Recht ist. Die ganze Parteibildung ist
hier flugsandartig, und die noch vorhandenen festeren Körper werden durch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/260>, abgerufen am 28.07.2024.