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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Räthe, durch die den Ministern ebenbürtige Vorbildung und Intelligenz der
Räthe, durch die feste Vertheilung der Decernate und durch die collegialische
Berathung. Es ist der deutsche Rechtsstnn unserer Monarchen, der seit Jahr¬
hunderten die Grundformen der Justiz unwillkürlich in der Centralverwallung
immer wieder entstehen ließ.

Die bevorzugte berufsmäßige Theilnahme am Staat, von den zerfallenden
Korporationen abgelöst, bildet aus ihren tüchtigsten Elementen unter dem Pa¬
tronat des legitimen Königthums eine neue einheitliche, ihrem Beruf gewachsene
Classe, parallel der englischen Gentry: den Offizierstand und das studirte Be-
omtenthum. Durch Friedrich II. ist diese neue deutsche Gentry ehrenvoll und
ebenbürtig in die Geschichte Europas eingeführt; und ebenso dürfen wir die
Stein-Hardenbergsche Periode mit ihren Umgebungen und unsere Heerführer
des Befreiungskrieges den hervorragenden Erscheinungen Englands im letzten
Menschenalter gegenüberstellen. Wir stellen damit eine Gentry einer Gentry
gegenüber , beide mit einem Streben nach Ausschließlichkeit, beide als Ganzes
betrachtet, mit einem unermeßlichen das ganze Staatsleben ausfüllenden Ein¬
fluß; in beiden Ordnungen der Dinge die alten Familien der landsässtgen
Ritterschaft noch immer stark bevorzugt. Jedenfalls hat von allen Classen der
Gesellschaft wol keine weniger Veranlassung, über Zurücksetzung zu klagen,
als die ritterschaftlichen Familien unserer alten Provinzen. Wie in England
verschmilzt der Grundtypus einer solchen Gentry mit allen Rechtsvorstellungen
im Volk bis in die untersten Schichten herab. Bis in die neueste Zeit kennen
wir noch gar keine andere Form der Theilnahme am Staat als diese, und
alle Bestrebungen danach gingen bewußt oder unbewußt in dieser Richtung-
Selbst die städtischen Communen erzeugten immer wieder Beamtenverfassungen,
Beamtentitel und Geschäftsgang.

Die Bildung dieser neuen Gentry erfolgte bei uns ganz ebenso wie im
Mittelalter, nämlich dadurch, daß man die Elemente des neuen Heeres und der
neuen Civilverwaltung da suchte, wo man sie am tüchtigsten fand, also in den
besten Elementen der bisherigen Stände, in den tüchtigsten Individuen der
zerfallenden Korporationen. Da die Ritterschaft eine Zeitlang ihre Betheiligung
verweigerte, so waren im 16. Jahrhundert lange Zeit die meisten Rathsstellen,
fast alle Amtshauptmannschasten, Hos- und Landrichterstellen, die Domherrn-
präbenden, die höheren und höchsten Würden des Johanniterordens nicht in
den Händen von Rittern, sondern sogenannter Bürgerlicher. Erst seit Johann
Georg beginnen die Bevorzugungen des landsässtgen Adels, von da an aber
auch ein ernsteres Bestreben, die Offizier- und hohen Beamtenstellen durch
Vorbildung und Leistungen wirklich auszufüllen.

Die Einseitigkeit dieses Systems besteht in der Auflösung deS öffentlichen
Lebens in eine reine Verwaltungsordnung, in dem Mangel korporativen ,


Räthe, durch die den Ministern ebenbürtige Vorbildung und Intelligenz der
Räthe, durch die feste Vertheilung der Decernate und durch die collegialische
Berathung. Es ist der deutsche Rechtsstnn unserer Monarchen, der seit Jahr¬
hunderten die Grundformen der Justiz unwillkürlich in der Centralverwallung
immer wieder entstehen ließ.

Die bevorzugte berufsmäßige Theilnahme am Staat, von den zerfallenden
Korporationen abgelöst, bildet aus ihren tüchtigsten Elementen unter dem Pa¬
tronat des legitimen Königthums eine neue einheitliche, ihrem Beruf gewachsene
Classe, parallel der englischen Gentry: den Offizierstand und das studirte Be-
omtenthum. Durch Friedrich II. ist diese neue deutsche Gentry ehrenvoll und
ebenbürtig in die Geschichte Europas eingeführt; und ebenso dürfen wir die
Stein-Hardenbergsche Periode mit ihren Umgebungen und unsere Heerführer
des Befreiungskrieges den hervorragenden Erscheinungen Englands im letzten
Menschenalter gegenüberstellen. Wir stellen damit eine Gentry einer Gentry
gegenüber , beide mit einem Streben nach Ausschließlichkeit, beide als Ganzes
betrachtet, mit einem unermeßlichen das ganze Staatsleben ausfüllenden Ein¬
fluß; in beiden Ordnungen der Dinge die alten Familien der landsässtgen
Ritterschaft noch immer stark bevorzugt. Jedenfalls hat von allen Classen der
Gesellschaft wol keine weniger Veranlassung, über Zurücksetzung zu klagen,
als die ritterschaftlichen Familien unserer alten Provinzen. Wie in England
verschmilzt der Grundtypus einer solchen Gentry mit allen Rechtsvorstellungen
im Volk bis in die untersten Schichten herab. Bis in die neueste Zeit kennen
wir noch gar keine andere Form der Theilnahme am Staat als diese, und
alle Bestrebungen danach gingen bewußt oder unbewußt in dieser Richtung-
Selbst die städtischen Communen erzeugten immer wieder Beamtenverfassungen,
Beamtentitel und Geschäftsgang.

Die Bildung dieser neuen Gentry erfolgte bei uns ganz ebenso wie im
Mittelalter, nämlich dadurch, daß man die Elemente des neuen Heeres und der
neuen Civilverwaltung da suchte, wo man sie am tüchtigsten fand, also in den
besten Elementen der bisherigen Stände, in den tüchtigsten Individuen der
zerfallenden Korporationen. Da die Ritterschaft eine Zeitlang ihre Betheiligung
verweigerte, so waren im 16. Jahrhundert lange Zeit die meisten Rathsstellen,
fast alle Amtshauptmannschasten, Hos- und Landrichterstellen, die Domherrn-
präbenden, die höheren und höchsten Würden des Johanniterordens nicht in
den Händen von Rittern, sondern sogenannter Bürgerlicher. Erst seit Johann
Georg beginnen die Bevorzugungen des landsässtgen Adels, von da an aber
auch ein ernsteres Bestreben, die Offizier- und hohen Beamtenstellen durch
Vorbildung und Leistungen wirklich auszufüllen.

Die Einseitigkeit dieses Systems besteht in der Auflösung deS öffentlichen
Lebens in eine reine Verwaltungsordnung, in dem Mangel korporativen ,


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[0256] Räthe, durch die den Ministern ebenbürtige Vorbildung und Intelligenz der Räthe, durch die feste Vertheilung der Decernate und durch die collegialische Berathung. Es ist der deutsche Rechtsstnn unserer Monarchen, der seit Jahr¬ hunderten die Grundformen der Justiz unwillkürlich in der Centralverwallung immer wieder entstehen ließ. Die bevorzugte berufsmäßige Theilnahme am Staat, von den zerfallenden Korporationen abgelöst, bildet aus ihren tüchtigsten Elementen unter dem Pa¬ tronat des legitimen Königthums eine neue einheitliche, ihrem Beruf gewachsene Classe, parallel der englischen Gentry: den Offizierstand und das studirte Be- omtenthum. Durch Friedrich II. ist diese neue deutsche Gentry ehrenvoll und ebenbürtig in die Geschichte Europas eingeführt; und ebenso dürfen wir die Stein-Hardenbergsche Periode mit ihren Umgebungen und unsere Heerführer des Befreiungskrieges den hervorragenden Erscheinungen Englands im letzten Menschenalter gegenüberstellen. Wir stellen damit eine Gentry einer Gentry gegenüber , beide mit einem Streben nach Ausschließlichkeit, beide als Ganzes betrachtet, mit einem unermeßlichen das ganze Staatsleben ausfüllenden Ein¬ fluß; in beiden Ordnungen der Dinge die alten Familien der landsässtgen Ritterschaft noch immer stark bevorzugt. Jedenfalls hat von allen Classen der Gesellschaft wol keine weniger Veranlassung, über Zurücksetzung zu klagen, als die ritterschaftlichen Familien unserer alten Provinzen. Wie in England verschmilzt der Grundtypus einer solchen Gentry mit allen Rechtsvorstellungen im Volk bis in die untersten Schichten herab. Bis in die neueste Zeit kennen wir noch gar keine andere Form der Theilnahme am Staat als diese, und alle Bestrebungen danach gingen bewußt oder unbewußt in dieser Richtung- Selbst die städtischen Communen erzeugten immer wieder Beamtenverfassungen, Beamtentitel und Geschäftsgang. Die Bildung dieser neuen Gentry erfolgte bei uns ganz ebenso wie im Mittelalter, nämlich dadurch, daß man die Elemente des neuen Heeres und der neuen Civilverwaltung da suchte, wo man sie am tüchtigsten fand, also in den besten Elementen der bisherigen Stände, in den tüchtigsten Individuen der zerfallenden Korporationen. Da die Ritterschaft eine Zeitlang ihre Betheiligung verweigerte, so waren im 16. Jahrhundert lange Zeit die meisten Rathsstellen, fast alle Amtshauptmannschasten, Hos- und Landrichterstellen, die Domherrn- präbenden, die höheren und höchsten Würden des Johanniterordens nicht in den Händen von Rittern, sondern sogenannter Bürgerlicher. Erst seit Johann Georg beginnen die Bevorzugungen des landsässtgen Adels, von da an aber auch ein ernsteres Bestreben, die Offizier- und hohen Beamtenstellen durch Vorbildung und Leistungen wirklich auszufüllen. Die Einseitigkeit dieses Systems besteht in der Auflösung deS öffentlichen Lebens in eine reine Verwaltungsordnung, in dem Mangel korporativen ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/256>, abgerufen am 28.07.2024.