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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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stille Bewußtsein der Nothwendigkeit wirkte auch bei ihnen so stark, daß es
zu keinem gemeinsamen Widerstand kam, höchstens zu einem kurzen Stillstand
durch den Einfluß dieser Classen bei Hofe.

Die neue Regierungsweise beginnt gewöhnlich mit Ordnung deS Kriegs¬
wesens und zeitweisen Kouvernement personnöl, das aber bald wie in Eng¬
land die Formen einer Administrativjustiz annimmt. DaS Staatsleben ist noch
überall verwachsen mit den Formen und Reminiscenzen einer landesfürstlichen
Domänenverwaltung. In der Regel jedoch waltet dabei ein stärkerer Rechts-
sinn, größere Achtung und Schonung vor bestehenden Rechten, als in den
entsprechenden englischen Bildungen, die einer roheren, gewaltsameren Periode
angehören. Ebendeshalb erfolgen die Gestaltungen langsamer, experimental,
doch so, daß mit typischer Gleichförmigkeit ein Grundgedanke hindurchgeht:
Bildung der Behörden für das öffentliche Recht nach dem Muster
der Gerichte. Also: feste Besetzung, feste Stellung der Beamten, Bildung
größerer Kollegien, Abstufung in drei Instanzen, bedingt durch eine provinzielle
Selbstständigkeit, welche die straffe englische Centralisation ausschloß.

Je kräftiger von Menschenalter zu Menschenalter ein gemeinsames Pri¬
vat- und öffentliches Recht sich über alle Lebensverhältnisse verbreitet, desto
leichter wirv das Gewicht der einer älteren Ordnung der Gesellschaft ange-
hörigen Rechte, die ans Schonung für Personen und Herkommen als "Privi¬
legium" fortbestehen. Die alten großen Beamtenkörper, die nur die Bestim¬
mung gehabt hatten, den Boden sür die Gesetzgebung zu ebnen, hatten sich
überlebt. Um das zum Abbruch reife ungleiche gesellschaftliche Recht zu be¬
seitigen, bedürfte es nochmals eines großartigen Eingreifens des Kouvernement
personal (Publicandum vom -16. December -1808), unter welchem nun endlich
die Gesetze zur Aufhebung der Unterthänigkeit, der Zwangs- und Bannrechte,
der Zünfte, die Gesetzgebung zur Erleichterung des Besitzes, zur Regelung
der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, Gesindeordnung, Gewerbepolizei,
gleichere Vertheilung der Staatslasten und Regelung der Finanzen, so wie
die erste Organisation der Städte zu Korporationen erfolgte. Zu ihrer Aus-
führung mußten die Centralbehörden eine andere Gestalt annehmen, die sie
Erecutivbehörden brauchbar machte. Sie gliedern sich wieder in drei In¬
stanzen: das Staatsministerium, die Regierungen und die Landräthe. Der
Gesammtorganismus ist zwar sehr vereinfacht, aber doch immer noch ein we¬
sentlich gerichtlicher. Der Landrath hat für seine Jurisdiktion eine factische
lebenslängliche Stellung und gewöhnlich sogar die gesellschaftliche Selbststän¬
digkeit englischer Friedensrichter. Die Regierungen stehen durch Collegialität
Und lebenslänglich gesicherte Stellung ihrer Mitglieder den Obergerichten we¬
sentlich gleich. Die Ministerien sind nach Vollendung der Neubildung still¬
schweigend fast wieder zu Collegien geworden durch die feste Stellung ihrer


stille Bewußtsein der Nothwendigkeit wirkte auch bei ihnen so stark, daß es
zu keinem gemeinsamen Widerstand kam, höchstens zu einem kurzen Stillstand
durch den Einfluß dieser Classen bei Hofe.

Die neue Regierungsweise beginnt gewöhnlich mit Ordnung deS Kriegs¬
wesens und zeitweisen Kouvernement personnöl, das aber bald wie in Eng¬
land die Formen einer Administrativjustiz annimmt. DaS Staatsleben ist noch
überall verwachsen mit den Formen und Reminiscenzen einer landesfürstlichen
Domänenverwaltung. In der Regel jedoch waltet dabei ein stärkerer Rechts-
sinn, größere Achtung und Schonung vor bestehenden Rechten, als in den
entsprechenden englischen Bildungen, die einer roheren, gewaltsameren Periode
angehören. Ebendeshalb erfolgen die Gestaltungen langsamer, experimental,
doch so, daß mit typischer Gleichförmigkeit ein Grundgedanke hindurchgeht:
Bildung der Behörden für das öffentliche Recht nach dem Muster
der Gerichte. Also: feste Besetzung, feste Stellung der Beamten, Bildung
größerer Kollegien, Abstufung in drei Instanzen, bedingt durch eine provinzielle
Selbstständigkeit, welche die straffe englische Centralisation ausschloß.

Je kräftiger von Menschenalter zu Menschenalter ein gemeinsames Pri¬
vat- und öffentliches Recht sich über alle Lebensverhältnisse verbreitet, desto
leichter wirv das Gewicht der einer älteren Ordnung der Gesellschaft ange-
hörigen Rechte, die ans Schonung für Personen und Herkommen als „Privi¬
legium" fortbestehen. Die alten großen Beamtenkörper, die nur die Bestim¬
mung gehabt hatten, den Boden sür die Gesetzgebung zu ebnen, hatten sich
überlebt. Um das zum Abbruch reife ungleiche gesellschaftliche Recht zu be¬
seitigen, bedürfte es nochmals eines großartigen Eingreifens des Kouvernement
personal (Publicandum vom -16. December -1808), unter welchem nun endlich
die Gesetze zur Aufhebung der Unterthänigkeit, der Zwangs- und Bannrechte,
der Zünfte, die Gesetzgebung zur Erleichterung des Besitzes, zur Regelung
der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, Gesindeordnung, Gewerbepolizei,
gleichere Vertheilung der Staatslasten und Regelung der Finanzen, so wie
die erste Organisation der Städte zu Korporationen erfolgte. Zu ihrer Aus-
führung mußten die Centralbehörden eine andere Gestalt annehmen, die sie
Erecutivbehörden brauchbar machte. Sie gliedern sich wieder in drei In¬
stanzen: das Staatsministerium, die Regierungen und die Landräthe. Der
Gesammtorganismus ist zwar sehr vereinfacht, aber doch immer noch ein we¬
sentlich gerichtlicher. Der Landrath hat für seine Jurisdiktion eine factische
lebenslängliche Stellung und gewöhnlich sogar die gesellschaftliche Selbststän¬
digkeit englischer Friedensrichter. Die Regierungen stehen durch Collegialität
Und lebenslänglich gesicherte Stellung ihrer Mitglieder den Obergerichten we¬
sentlich gleich. Die Ministerien sind nach Vollendung der Neubildung still¬
schweigend fast wieder zu Collegien geworden durch die feste Stellung ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/255>, abgerufen am 28.07.2024.