Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihres Ruhmes als usurpirt zu entreißen und den Aegyptern, Babyloniern oder
was sonst für Barbaren gutzuschreiben sich bestrebt, stellt der Verfasser sich in
entschiedene Opposition.'

"Je mehr sich uns der Orient öffnet/ sagt er S. 690, "desto klarer tritt eine
frühe Verbindung desselben mit Griechenland hervor, mit der auch die Traditio¬
nen des Alterthums übereinstimmen, und wer das Land selbst betrachtet und gesehen
hat, wie nahe so manche Punkte sind, die man sich wegen des Reichthums
der Geschichte oft ferne voneinander denkt, dem wird die Annahme einer Ab¬
geschlossenheit, wie man sie wol beliebt hat, zur Unmöglichkeit, und sobald ein¬
mal der Verkehr da war, muß auch nothwendig ein vielfacher Einfluß der in
der Cultur weiter vorgeschrittenen Völker deS Ostens auf die Bewohner Grie¬
chenlands angenommen werden, wovon die Spuren sich deutlich genug erkennen
lassen. Aber das Verdienst und der Ruhm des hellenischen Geistes werden
dadurch nicht im Geringsten verkürzt. Das menschliche Geschlecht bildet ein
großes Ganze, dessen Theile sich gegenseitig zu ergänzen und in einer von der
Vorsehung bestimmten Stufenfolge zu entwickeln, einander zu geben und von¬
einander zu empfangen bestimmt sind. So hat auch Griechenland von den
früher zu einer gewissen Cultur herangereiften Völkern mannigfaltige Ueber¬
lieferungen und Keime der Bildung erhalten, aber mit schöpferischen, origi¬
nellem Geiste diese Keime sowol als die ihm ganz unabhängig von andern
Völkern ungehörigen selbstständig entfaltet und zu so vollendeter und sonst nir¬
gend vorhandener Harmonie und Schönheit entwickelt, daß es die daraus ent¬
standenen Gebilde und Erzeugnisse mit vollstem Rechte als sein eigenstes Eigen¬
thum in Anspruch nimmt. Mag, um von der Literatur ganz abzusehen, die
dorische und die ionische Säule auf orientalische Anfänge zurückgehen, was ich
hier nicht untersuchen will, so hat nur der hellenische Geist es verstanden, sie
W ihrer Vollendung zu bringen und mit ihrer Anwendung die Kunstwerke des
Parthenons, des Erechtheions und der Propyläen zu schaffen, denen gegenüber
alle Riesenwerke AegyPtenS und Assyriens als barbarisch erscheinen, und sind
auch die ältesten griechischen Bildsäulen den ägyptischen mit den geschlossenen
oder steif vorschreitendem Beinen und anliegenden Armen so ähnlich, daß man
an einem Zusammenhang nicht zweifeln kann, so haben doch nur die Griechen
daraus die erhabene Jugendschönheit eines Apollon, die ruhige Hoheit einer
Pallas und die göttliche Majestät eines Zeusbildes zu entwickeln vermocht.
Und wenn selbst die ersten Begriffe mancher ihrer Götter als Naturwesen im
Oriente wurzelten, so haben sie erst sie zu der hohen Idealität ethischer Wesen
verklärt, in der sie uns bei den Lyrikern und Tragikern entgegentreten."

Schwieriger noch als über diese ältesten Verhältnisse ist eS, Vermuthungen
über die Zukunft Griechenlands auszusprechen. Dieselbe hängt zum Theil von
dem Gange der Weltbegebenheiten im Großen und Ganzen, theils von dem


Grenzboten. II. 18ö7. ^

ihres Ruhmes als usurpirt zu entreißen und den Aegyptern, Babyloniern oder
was sonst für Barbaren gutzuschreiben sich bestrebt, stellt der Verfasser sich in
entschiedene Opposition.'

„Je mehr sich uns der Orient öffnet/ sagt er S. 690, „desto klarer tritt eine
frühe Verbindung desselben mit Griechenland hervor, mit der auch die Traditio¬
nen des Alterthums übereinstimmen, und wer das Land selbst betrachtet und gesehen
hat, wie nahe so manche Punkte sind, die man sich wegen des Reichthums
der Geschichte oft ferne voneinander denkt, dem wird die Annahme einer Ab¬
geschlossenheit, wie man sie wol beliebt hat, zur Unmöglichkeit, und sobald ein¬
mal der Verkehr da war, muß auch nothwendig ein vielfacher Einfluß der in
der Cultur weiter vorgeschrittenen Völker deS Ostens auf die Bewohner Grie¬
chenlands angenommen werden, wovon die Spuren sich deutlich genug erkennen
lassen. Aber das Verdienst und der Ruhm des hellenischen Geistes werden
dadurch nicht im Geringsten verkürzt. Das menschliche Geschlecht bildet ein
großes Ganze, dessen Theile sich gegenseitig zu ergänzen und in einer von der
Vorsehung bestimmten Stufenfolge zu entwickeln, einander zu geben und von¬
einander zu empfangen bestimmt sind. So hat auch Griechenland von den
früher zu einer gewissen Cultur herangereiften Völkern mannigfaltige Ueber¬
lieferungen und Keime der Bildung erhalten, aber mit schöpferischen, origi¬
nellem Geiste diese Keime sowol als die ihm ganz unabhängig von andern
Völkern ungehörigen selbstständig entfaltet und zu so vollendeter und sonst nir¬
gend vorhandener Harmonie und Schönheit entwickelt, daß es die daraus ent¬
standenen Gebilde und Erzeugnisse mit vollstem Rechte als sein eigenstes Eigen¬
thum in Anspruch nimmt. Mag, um von der Literatur ganz abzusehen, die
dorische und die ionische Säule auf orientalische Anfänge zurückgehen, was ich
hier nicht untersuchen will, so hat nur der hellenische Geist es verstanden, sie
W ihrer Vollendung zu bringen und mit ihrer Anwendung die Kunstwerke des
Parthenons, des Erechtheions und der Propyläen zu schaffen, denen gegenüber
alle Riesenwerke AegyPtenS und Assyriens als barbarisch erscheinen, und sind
auch die ältesten griechischen Bildsäulen den ägyptischen mit den geschlossenen
oder steif vorschreitendem Beinen und anliegenden Armen so ähnlich, daß man
an einem Zusammenhang nicht zweifeln kann, so haben doch nur die Griechen
daraus die erhabene Jugendschönheit eines Apollon, die ruhige Hoheit einer
Pallas und die göttliche Majestät eines Zeusbildes zu entwickeln vermocht.
Und wenn selbst die ersten Begriffe mancher ihrer Götter als Naturwesen im
Oriente wurzelten, so haben sie erst sie zu der hohen Idealität ethischer Wesen
verklärt, in der sie uns bei den Lyrikern und Tragikern entgegentreten."

Schwieriger noch als über diese ältesten Verhältnisse ist eS, Vermuthungen
über die Zukunft Griechenlands auszusprechen. Dieselbe hängt zum Theil von
dem Gange der Weltbegebenheiten im Großen und Ganzen, theils von dem


Grenzboten. II. 18ö7. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103908"/>
          <p xml:id="ID_713" prev="#ID_712"> ihres Ruhmes als usurpirt zu entreißen und den Aegyptern, Babyloniern oder<lb/>
was sonst für Barbaren gutzuschreiben sich bestrebt, stellt der Verfasser sich in<lb/>
entschiedene Opposition.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_714"> &#x201E;Je mehr sich uns der Orient öffnet/ sagt er S. 690, &#x201E;desto klarer tritt eine<lb/>
frühe Verbindung desselben mit Griechenland hervor, mit der auch die Traditio¬<lb/>
nen des Alterthums übereinstimmen, und wer das Land selbst betrachtet und gesehen<lb/>
hat, wie nahe so manche Punkte sind, die man sich wegen des Reichthums<lb/>
der Geschichte oft ferne voneinander denkt, dem wird die Annahme einer Ab¬<lb/>
geschlossenheit, wie man sie wol beliebt hat, zur Unmöglichkeit, und sobald ein¬<lb/>
mal der Verkehr da war, muß auch nothwendig ein vielfacher Einfluß der in<lb/>
der Cultur weiter vorgeschrittenen Völker deS Ostens auf die Bewohner Grie¬<lb/>
chenlands angenommen werden, wovon die Spuren sich deutlich genug erkennen<lb/>
lassen.  Aber das Verdienst und der Ruhm des hellenischen Geistes werden<lb/>
dadurch nicht im Geringsten verkürzt.  Das menschliche Geschlecht bildet ein<lb/>
großes Ganze, dessen Theile sich gegenseitig zu ergänzen und in einer von der<lb/>
Vorsehung bestimmten Stufenfolge zu entwickeln, einander zu geben und von¬<lb/>
einander zu empfangen bestimmt sind.  So hat auch Griechenland von den<lb/>
früher zu einer gewissen Cultur herangereiften Völkern mannigfaltige Ueber¬<lb/>
lieferungen und Keime der Bildung erhalten, aber mit schöpferischen, origi¬<lb/>
nellem Geiste diese Keime sowol als die ihm ganz unabhängig von andern<lb/>
Völkern ungehörigen selbstständig entfaltet und zu so vollendeter und sonst nir¬<lb/>
gend vorhandener Harmonie und Schönheit entwickelt, daß es die daraus ent¬<lb/>
standenen Gebilde und Erzeugnisse mit vollstem Rechte als sein eigenstes Eigen¬<lb/>
thum in Anspruch nimmt.  Mag, um von der Literatur ganz abzusehen, die<lb/>
dorische und die ionische Säule auf orientalische Anfänge zurückgehen, was ich<lb/>
hier nicht untersuchen will, so hat nur der hellenische Geist es verstanden, sie<lb/>
W ihrer Vollendung zu bringen und mit ihrer Anwendung die Kunstwerke des<lb/>
Parthenons, des Erechtheions und der Propyläen zu schaffen, denen gegenüber<lb/>
alle Riesenwerke AegyPtenS und Assyriens als barbarisch erscheinen, und sind<lb/>
auch die ältesten griechischen Bildsäulen den ägyptischen mit den geschlossenen<lb/>
oder steif vorschreitendem Beinen und anliegenden Armen so ähnlich, daß man<lb/>
an einem Zusammenhang nicht zweifeln kann, so haben doch nur die Griechen<lb/>
daraus die erhabene Jugendschönheit eines Apollon, die ruhige Hoheit einer<lb/>
Pallas und die göttliche Majestät eines Zeusbildes zu entwickeln vermocht.<lb/>
Und wenn selbst die ersten Begriffe mancher ihrer Götter als Naturwesen im<lb/>
Oriente wurzelten, so haben sie erst sie zu der hohen Idealität ethischer Wesen<lb/>
verklärt, in der sie uns bei den Lyrikern und Tragikern entgegentreten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_715" next="#ID_716"> Schwieriger noch als über diese ältesten Verhältnisse ist eS, Vermuthungen<lb/>
über die Zukunft Griechenlands auszusprechen. Dieselbe hängt zum Theil von<lb/>
dem Gange der Weltbegebenheiten im Großen und Ganzen, theils von dem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. 18ö7. ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] ihres Ruhmes als usurpirt zu entreißen und den Aegyptern, Babyloniern oder was sonst für Barbaren gutzuschreiben sich bestrebt, stellt der Verfasser sich in entschiedene Opposition.' „Je mehr sich uns der Orient öffnet/ sagt er S. 690, „desto klarer tritt eine frühe Verbindung desselben mit Griechenland hervor, mit der auch die Traditio¬ nen des Alterthums übereinstimmen, und wer das Land selbst betrachtet und gesehen hat, wie nahe so manche Punkte sind, die man sich wegen des Reichthums der Geschichte oft ferne voneinander denkt, dem wird die Annahme einer Ab¬ geschlossenheit, wie man sie wol beliebt hat, zur Unmöglichkeit, und sobald ein¬ mal der Verkehr da war, muß auch nothwendig ein vielfacher Einfluß der in der Cultur weiter vorgeschrittenen Völker deS Ostens auf die Bewohner Grie¬ chenlands angenommen werden, wovon die Spuren sich deutlich genug erkennen lassen. Aber das Verdienst und der Ruhm des hellenischen Geistes werden dadurch nicht im Geringsten verkürzt. Das menschliche Geschlecht bildet ein großes Ganze, dessen Theile sich gegenseitig zu ergänzen und in einer von der Vorsehung bestimmten Stufenfolge zu entwickeln, einander zu geben und von¬ einander zu empfangen bestimmt sind. So hat auch Griechenland von den früher zu einer gewissen Cultur herangereiften Völkern mannigfaltige Ueber¬ lieferungen und Keime der Bildung erhalten, aber mit schöpferischen, origi¬ nellem Geiste diese Keime sowol als die ihm ganz unabhängig von andern Völkern ungehörigen selbstständig entfaltet und zu so vollendeter und sonst nir¬ gend vorhandener Harmonie und Schönheit entwickelt, daß es die daraus ent¬ standenen Gebilde und Erzeugnisse mit vollstem Rechte als sein eigenstes Eigen¬ thum in Anspruch nimmt. Mag, um von der Literatur ganz abzusehen, die dorische und die ionische Säule auf orientalische Anfänge zurückgehen, was ich hier nicht untersuchen will, so hat nur der hellenische Geist es verstanden, sie W ihrer Vollendung zu bringen und mit ihrer Anwendung die Kunstwerke des Parthenons, des Erechtheions und der Propyläen zu schaffen, denen gegenüber alle Riesenwerke AegyPtenS und Assyriens als barbarisch erscheinen, und sind auch die ältesten griechischen Bildsäulen den ägyptischen mit den geschlossenen oder steif vorschreitendem Beinen und anliegenden Armen so ähnlich, daß man an einem Zusammenhang nicht zweifeln kann, so haben doch nur die Griechen daraus die erhabene Jugendschönheit eines Apollon, die ruhige Hoheit einer Pallas und die göttliche Majestät eines Zeusbildes zu entwickeln vermocht. Und wenn selbst die ersten Begriffe mancher ihrer Götter als Naturwesen im Oriente wurzelten, so haben sie erst sie zu der hohen Idealität ethischer Wesen verklärt, in der sie uns bei den Lyrikern und Tragikern entgegentreten." Schwieriger noch als über diese ältesten Verhältnisse ist eS, Vermuthungen über die Zukunft Griechenlands auszusprechen. Dieselbe hängt zum Theil von dem Gange der Weltbegebenheiten im Großen und Ganzen, theils von dem Grenzboten. II. 18ö7. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/241>, abgerufen am 01.09.2024.