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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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die spanische Geschichte des letzten Jahrhunderts zu einem unwürdigen Fa¬
sching herabgesetzt.

Das Wunderbarste ist, daß man in Deutschland aus dem Dichter der
Sibylle des Orients einen Christen gemacht hat. Der protestantische Geist
war zwar zu Anfang dieses Jahrhunderts sehr tief gesunken, aber so viel
Kraft halte man ihm doch zutrauen sollen, den roheste" sinnlichen Lockungen
des Heidenthums zu widerstehen. In der That, der eigentliche Zauber in
Calderons Dichtungen ist durchweg heidnischer Natur.

Es ist eine bekannte indische Legende, die auch von europäischen Dichtern
neuerdings bearbeitet ist, daß die sogenannten guten Werke, Almosen, Fasten,
Opfer und sonstige Andachtsübungen dem Menschen eine Heiligkeit und damit
eine unmittelbare Zaubergewalt über die Natur verleihen, die von der Güte
seiner Natur vollkommen unabhängig ist. Kehama vollzieht seine Opfer mit
bösem Herzen, die Götter sehen mit Grauen der Unverdrossenheit seiner An¬
dachtsübungen zu, denn durch sie erlangt er eine Macht, die über die ihrige
hinausgeht. Ganz so ist es mit den guten Werken Calderons beschaffen. Sie
haben mit der Frömmigkeit des Herzens nichts zu thun, sie verleihen de"
verworfensten Menschen eine Zaubergewalt über die Elemente, die gewisser¬
maßen als ein Naturproceß aus jenen Andachtsübungen entspringt. Die
religiösen Pflichten sind im strengsten Sinn des Worts bei ihm Zaubermittel.
Die Beispiele aufzuzählen, würde außerordentlich leicht sein, denn Calderon
schreckt vor keiner Paradvrie zurück, ja er stellt geflissentlich das Problem auf
die Spitze. Das fortwährende Niederknien des Verbrechers vor dem sinnliche"
Zeichen des Kreuzes, das von keiner inneren Läuterung begleitet ist, zwingt
das Erbarmen Gottes mit physikalischer Zaubergewalt. Die Sibylle des
Orients betet den Baum an, aus welchem das Holz des Kreuzes geschlagen
wird; sie betet ihn an, wie die Aegypter ihren Apis anbete", nicht als Symbol
irgend einer Gottheit, sondern den Baum als solche".

Nun darf man nicht vergessen, daß Calderon im 17. Jahrhundert lebte,
daß er wenige Jahre vor der Geburt Nyltaires starb, daß er ferner ein hoch¬
gebildeter Manu war und von den religiösen und philosophischen Untersuchungen
der letzten Jahrhunderte einige Notiz haben mußte. Man darf seine Dich¬
tungen also nicht als den naiven Ausdruck des volksthümlichen Aberglaubens
auffassen; man darf seine Götter nicht mit der Unbefangenheit betrachten, wie
man die Götter Homers oder der Edda betrachtet. Er war nebenbei ein voll¬
kommener Weltmann, und in seinen Lustspielen würde man umsonst nach einer
Spur jenes religiösen Fanatismus suchen; ja es finden sich entschiedene Spuren
vom Gegentheil. Calderon, indem er die äußerste Bigotterie des Jesuitism"^
verherrlichte, folgte nicht dem Justine, sondern er hat gewählt.

Fragt man nach den Gründen seiner Wahl, so kann man zunächst a"


die spanische Geschichte des letzten Jahrhunderts zu einem unwürdigen Fa¬
sching herabgesetzt.

Das Wunderbarste ist, daß man in Deutschland aus dem Dichter der
Sibylle des Orients einen Christen gemacht hat. Der protestantische Geist
war zwar zu Anfang dieses Jahrhunderts sehr tief gesunken, aber so viel
Kraft halte man ihm doch zutrauen sollen, den roheste» sinnlichen Lockungen
des Heidenthums zu widerstehen. In der That, der eigentliche Zauber in
Calderons Dichtungen ist durchweg heidnischer Natur.

Es ist eine bekannte indische Legende, die auch von europäischen Dichtern
neuerdings bearbeitet ist, daß die sogenannten guten Werke, Almosen, Fasten,
Opfer und sonstige Andachtsübungen dem Menschen eine Heiligkeit und damit
eine unmittelbare Zaubergewalt über die Natur verleihen, die von der Güte
seiner Natur vollkommen unabhängig ist. Kehama vollzieht seine Opfer mit
bösem Herzen, die Götter sehen mit Grauen der Unverdrossenheit seiner An¬
dachtsübungen zu, denn durch sie erlangt er eine Macht, die über die ihrige
hinausgeht. Ganz so ist es mit den guten Werken Calderons beschaffen. Sie
haben mit der Frömmigkeit des Herzens nichts zu thun, sie verleihen de»
verworfensten Menschen eine Zaubergewalt über die Elemente, die gewisser¬
maßen als ein Naturproceß aus jenen Andachtsübungen entspringt. Die
religiösen Pflichten sind im strengsten Sinn des Worts bei ihm Zaubermittel.
Die Beispiele aufzuzählen, würde außerordentlich leicht sein, denn Calderon
schreckt vor keiner Paradvrie zurück, ja er stellt geflissentlich das Problem auf
die Spitze. Das fortwährende Niederknien des Verbrechers vor dem sinnliche»
Zeichen des Kreuzes, das von keiner inneren Läuterung begleitet ist, zwingt
das Erbarmen Gottes mit physikalischer Zaubergewalt. Die Sibylle des
Orients betet den Baum an, aus welchem das Holz des Kreuzes geschlagen
wird; sie betet ihn an, wie die Aegypter ihren Apis anbete», nicht als Symbol
irgend einer Gottheit, sondern den Baum als solche».

Nun darf man nicht vergessen, daß Calderon im 17. Jahrhundert lebte,
daß er wenige Jahre vor der Geburt Nyltaires starb, daß er ferner ein hoch¬
gebildeter Manu war und von den religiösen und philosophischen Untersuchungen
der letzten Jahrhunderte einige Notiz haben mußte. Man darf seine Dich¬
tungen also nicht als den naiven Ausdruck des volksthümlichen Aberglaubens
auffassen; man darf seine Götter nicht mit der Unbefangenheit betrachten, wie
man die Götter Homers oder der Edda betrachtet. Er war nebenbei ein voll¬
kommener Weltmann, und in seinen Lustspielen würde man umsonst nach einer
Spur jenes religiösen Fanatismus suchen; ja es finden sich entschiedene Spuren
vom Gegentheil. Calderon, indem er die äußerste Bigotterie des Jesuitism»^
verherrlichte, folgte nicht dem Justine, sondern er hat gewählt.

Fragt man nach den Gründen seiner Wahl, so kann man zunächst a»


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[0238] die spanische Geschichte des letzten Jahrhunderts zu einem unwürdigen Fa¬ sching herabgesetzt. Das Wunderbarste ist, daß man in Deutschland aus dem Dichter der Sibylle des Orients einen Christen gemacht hat. Der protestantische Geist war zwar zu Anfang dieses Jahrhunderts sehr tief gesunken, aber so viel Kraft halte man ihm doch zutrauen sollen, den roheste» sinnlichen Lockungen des Heidenthums zu widerstehen. In der That, der eigentliche Zauber in Calderons Dichtungen ist durchweg heidnischer Natur. Es ist eine bekannte indische Legende, die auch von europäischen Dichtern neuerdings bearbeitet ist, daß die sogenannten guten Werke, Almosen, Fasten, Opfer und sonstige Andachtsübungen dem Menschen eine Heiligkeit und damit eine unmittelbare Zaubergewalt über die Natur verleihen, die von der Güte seiner Natur vollkommen unabhängig ist. Kehama vollzieht seine Opfer mit bösem Herzen, die Götter sehen mit Grauen der Unverdrossenheit seiner An¬ dachtsübungen zu, denn durch sie erlangt er eine Macht, die über die ihrige hinausgeht. Ganz so ist es mit den guten Werken Calderons beschaffen. Sie haben mit der Frömmigkeit des Herzens nichts zu thun, sie verleihen de» verworfensten Menschen eine Zaubergewalt über die Elemente, die gewisser¬ maßen als ein Naturproceß aus jenen Andachtsübungen entspringt. Die religiösen Pflichten sind im strengsten Sinn des Worts bei ihm Zaubermittel. Die Beispiele aufzuzählen, würde außerordentlich leicht sein, denn Calderon schreckt vor keiner Paradvrie zurück, ja er stellt geflissentlich das Problem auf die Spitze. Das fortwährende Niederknien des Verbrechers vor dem sinnliche» Zeichen des Kreuzes, das von keiner inneren Läuterung begleitet ist, zwingt das Erbarmen Gottes mit physikalischer Zaubergewalt. Die Sibylle des Orients betet den Baum an, aus welchem das Holz des Kreuzes geschlagen wird; sie betet ihn an, wie die Aegypter ihren Apis anbete», nicht als Symbol irgend einer Gottheit, sondern den Baum als solche». Nun darf man nicht vergessen, daß Calderon im 17. Jahrhundert lebte, daß er wenige Jahre vor der Geburt Nyltaires starb, daß er ferner ein hoch¬ gebildeter Manu war und von den religiösen und philosophischen Untersuchungen der letzten Jahrhunderte einige Notiz haben mußte. Man darf seine Dich¬ tungen also nicht als den naiven Ausdruck des volksthümlichen Aberglaubens auffassen; man darf seine Götter nicht mit der Unbefangenheit betrachten, wie man die Götter Homers oder der Edda betrachtet. Er war nebenbei ein voll¬ kommener Weltmann, und in seinen Lustspielen würde man umsonst nach einer Spur jenes religiösen Fanatismus suchen; ja es finden sich entschiedene Spuren vom Gegentheil. Calderon, indem er die äußerste Bigotterie des Jesuitism»^ verherrlichte, folgte nicht dem Justine, sondern er hat gewählt. Fragt man nach den Gründen seiner Wahl, so kann man zunächst a»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/238>, abgerufen am 01.09.2024.