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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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eS wol nicht mehr als einen poetischen Vorzug empfinden, wenn die Lyrik
sich auf dem Theater breit macht.

Am hervortretendsten unter den Vorzügen Calderons ist der zweite, den
wir angeführt haben, die Energie in dem Ausdruck erregter Stimmungen, und
dieser ists auch wol, der ihm die Unsterblichkeit sichert. Die Scene der Andacht
zum Kreuz, wo Eusebio in das Kloster eindringt, die Beschwörung Justinens
im wunderthätigen Magus, sind Meisterstücke ersten Ranges, und ähn¬
liche finden sich in einer ganzen Zahl seiner Tragödien. Es ist daS wol
auch der einzige Punkt, in dem man ihn mit Shakespeare vergleichen darf.
Dagegen ist seine Composttion im Großen betrachtet fast durchweg unpoetisch,
denn sie beruht auf einem mechanischen Problem, auf einem Conflict ver¬
schiedener conventioneller Pflichten, deren Werthverhältniß im Katechismus
der spanischen Moral vorher genau festgestellt ist, die also, da sämmtliche
Figuren Calderons diesen Katechismus auswendig wissen, nur zu einem be¬
stimmten Ausgang führen kann, wenn nicht ein regierendes Haupt mit zu¬
fälligen Einfällen türkischer Großmuth dazwischen kommt; denn aus die Könige
hat allerdings der Katechismus keine Anwendung, sie stehn nicht blos über
dem Gesetz, sondern sie sind auch frei vom Gewissen, und wenn sie einmal
die Gnade haben, eine Jungfrau, die ihren Augen wohlgefällt, nicht zu ent¬
ehren, einen Mann, der ihnen im Wege steht, nicht umzubringen, so ist daS
eine übermenschliche Großmuth, sür die man ihnen dankbarlichst die Füße
küßt. Wir sprachen von den sittlichen Begriffen der Spanier; wir meinten
damit aber nur die Spanier deS 17. Jahrhunderts, einer Zeit, wo alle Kraft
des Volks durch zwei Jahrhunderte eines wüsten Despotismus, einer blutigen
Bigotterie und einer gedankenlosen Trägheit ausgehöhlt waren. Denn wenn
man in Calderon den Ausdruck für den Geist des spanischen Volks überhaupt
suchen wollte, so würde man dieser hochbegabten Nation daS schreiendste Un¬
recht thun. Diese Junker, wie sie in Dame Kobold auftreten, die ihre
Schminke und ihre Pomade mit sich führen, die kein anderes Glück kennen,
als die Gnade ihres Regenten, die allerdings nie ein Duell vermeiden, die
aber auch nicht wissen, was sie sonst mit dem Leben anfangen sollen, das
sind nicht die echten Söhne jener wilden Helden, die zuerst die Mauren im
blutigen Kampf vertrieben und dann Amerika eroberten. Der einzige Rest
von Kraft, den die Bureaukratie und die Inquisition im spanischen Volk ge¬
lassen hatten, waren eben Figuren wie der Schulze von Zalamea, die Helden
der spätern Junten und Pronunciamentos, die, wenn ihnen der Druck der
Aristokratie und des Militärs zu arg wurde, sich empörten und mit oder ohne
Recht ihre Feinde umbrachten. Die Söhne Crespos haben sich erst 1812
Und dann in den dreißiger Jahren lebhaft genug geregt, zuweilen in einer
Ziemlich brutalen Art; dagegen haben die Helden der Mantel- und Degenstücke


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eS wol nicht mehr als einen poetischen Vorzug empfinden, wenn die Lyrik
sich auf dem Theater breit macht.

Am hervortretendsten unter den Vorzügen Calderons ist der zweite, den
wir angeführt haben, die Energie in dem Ausdruck erregter Stimmungen, und
dieser ists auch wol, der ihm die Unsterblichkeit sichert. Die Scene der Andacht
zum Kreuz, wo Eusebio in das Kloster eindringt, die Beschwörung Justinens
im wunderthätigen Magus, sind Meisterstücke ersten Ranges, und ähn¬
liche finden sich in einer ganzen Zahl seiner Tragödien. Es ist daS wol
auch der einzige Punkt, in dem man ihn mit Shakespeare vergleichen darf.
Dagegen ist seine Composttion im Großen betrachtet fast durchweg unpoetisch,
denn sie beruht auf einem mechanischen Problem, auf einem Conflict ver¬
schiedener conventioneller Pflichten, deren Werthverhältniß im Katechismus
der spanischen Moral vorher genau festgestellt ist, die also, da sämmtliche
Figuren Calderons diesen Katechismus auswendig wissen, nur zu einem be¬
stimmten Ausgang führen kann, wenn nicht ein regierendes Haupt mit zu¬
fälligen Einfällen türkischer Großmuth dazwischen kommt; denn aus die Könige
hat allerdings der Katechismus keine Anwendung, sie stehn nicht blos über
dem Gesetz, sondern sie sind auch frei vom Gewissen, und wenn sie einmal
die Gnade haben, eine Jungfrau, die ihren Augen wohlgefällt, nicht zu ent¬
ehren, einen Mann, der ihnen im Wege steht, nicht umzubringen, so ist daS
eine übermenschliche Großmuth, sür die man ihnen dankbarlichst die Füße
küßt. Wir sprachen von den sittlichen Begriffen der Spanier; wir meinten
damit aber nur die Spanier deS 17. Jahrhunderts, einer Zeit, wo alle Kraft
des Volks durch zwei Jahrhunderte eines wüsten Despotismus, einer blutigen
Bigotterie und einer gedankenlosen Trägheit ausgehöhlt waren. Denn wenn
man in Calderon den Ausdruck für den Geist des spanischen Volks überhaupt
suchen wollte, so würde man dieser hochbegabten Nation daS schreiendste Un¬
recht thun. Diese Junker, wie sie in Dame Kobold auftreten, die ihre
Schminke und ihre Pomade mit sich führen, die kein anderes Glück kennen,
als die Gnade ihres Regenten, die allerdings nie ein Duell vermeiden, die
aber auch nicht wissen, was sie sonst mit dem Leben anfangen sollen, das
sind nicht die echten Söhne jener wilden Helden, die zuerst die Mauren im
blutigen Kampf vertrieben und dann Amerika eroberten. Der einzige Rest
von Kraft, den die Bureaukratie und die Inquisition im spanischen Volk ge¬
lassen hatten, waren eben Figuren wie der Schulze von Zalamea, die Helden
der spätern Junten und Pronunciamentos, die, wenn ihnen der Druck der
Aristokratie und des Militärs zu arg wurde, sich empörten und mit oder ohne
Recht ihre Feinde umbrachten. Die Söhne Crespos haben sich erst 1812
Und dann in den dreißiger Jahren lebhaft genug geregt, zuweilen in einer
Ziemlich brutalen Art; dagegen haben die Helden der Mantel- und Degenstücke


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[0237] ^ eS wol nicht mehr als einen poetischen Vorzug empfinden, wenn die Lyrik sich auf dem Theater breit macht. Am hervortretendsten unter den Vorzügen Calderons ist der zweite, den wir angeführt haben, die Energie in dem Ausdruck erregter Stimmungen, und dieser ists auch wol, der ihm die Unsterblichkeit sichert. Die Scene der Andacht zum Kreuz, wo Eusebio in das Kloster eindringt, die Beschwörung Justinens im wunderthätigen Magus, sind Meisterstücke ersten Ranges, und ähn¬ liche finden sich in einer ganzen Zahl seiner Tragödien. Es ist daS wol auch der einzige Punkt, in dem man ihn mit Shakespeare vergleichen darf. Dagegen ist seine Composttion im Großen betrachtet fast durchweg unpoetisch, denn sie beruht auf einem mechanischen Problem, auf einem Conflict ver¬ schiedener conventioneller Pflichten, deren Werthverhältniß im Katechismus der spanischen Moral vorher genau festgestellt ist, die also, da sämmtliche Figuren Calderons diesen Katechismus auswendig wissen, nur zu einem be¬ stimmten Ausgang führen kann, wenn nicht ein regierendes Haupt mit zu¬ fälligen Einfällen türkischer Großmuth dazwischen kommt; denn aus die Könige hat allerdings der Katechismus keine Anwendung, sie stehn nicht blos über dem Gesetz, sondern sie sind auch frei vom Gewissen, und wenn sie einmal die Gnade haben, eine Jungfrau, die ihren Augen wohlgefällt, nicht zu ent¬ ehren, einen Mann, der ihnen im Wege steht, nicht umzubringen, so ist daS eine übermenschliche Großmuth, sür die man ihnen dankbarlichst die Füße küßt. Wir sprachen von den sittlichen Begriffen der Spanier; wir meinten damit aber nur die Spanier deS 17. Jahrhunderts, einer Zeit, wo alle Kraft des Volks durch zwei Jahrhunderte eines wüsten Despotismus, einer blutigen Bigotterie und einer gedankenlosen Trägheit ausgehöhlt waren. Denn wenn man in Calderon den Ausdruck für den Geist des spanischen Volks überhaupt suchen wollte, so würde man dieser hochbegabten Nation daS schreiendste Un¬ recht thun. Diese Junker, wie sie in Dame Kobold auftreten, die ihre Schminke und ihre Pomade mit sich führen, die kein anderes Glück kennen, als die Gnade ihres Regenten, die allerdings nie ein Duell vermeiden, die aber auch nicht wissen, was sie sonst mit dem Leben anfangen sollen, das sind nicht die echten Söhne jener wilden Helden, die zuerst die Mauren im blutigen Kampf vertrieben und dann Amerika eroberten. Der einzige Rest von Kraft, den die Bureaukratie und die Inquisition im spanischen Volk ge¬ lassen hatten, waren eben Figuren wie der Schulze von Zalamea, die Helden der spätern Junten und Pronunciamentos, die, wenn ihnen der Druck der Aristokratie und des Militärs zu arg wurde, sich empörten und mit oder ohne Recht ihre Feinde umbrachten. Die Söhne Crespos haben sich erst 1812 Und dann in den dreißiger Jahren lebhaft genug geregt, zuweilen in einer Ziemlich brutalen Art; dagegen haben die Helden der Mantel- und Degenstücke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/237>, abgerufen am 01.09.2024.