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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Schauspiele, deren Inhalt sich an ältere Romane und Gedichte schließt; mv-
tho'logische Festspiele, worin die Mythen und Fabeln des Alterthums benutzt
und umgebildet sind; burleske Travestien ernster Schauspiele; spini'vlischc Schau¬
spiele; geistliche Schauspiele; Dramen aus der Heiligenlegende. Man könnte
gegen diese Eintheilung, die nicht grade auf deu Kern der Sache eingeht,
Manches einwenden; da man indeß schwerlich nach einem innerlichen Princip
diese 108 Dramen vollständig rulnieiren könnte, so ist es am Ende am zweck¬
mäßigsten gewesen, den Eintheilungsgrund von äußerlichen Kennzeichen zu
entnehmen, weil diese zuerst in die Angen fallen und man sich nach ihnen
am bequemsten orientiren kann. Von jedem Stück oder wenigstens von den
meisten wird dann summarisch der Inhalt angegeben, die Ausgabe und dem¬
nach die muthmaßliche Zeit der Entstehung festgestellt, einzelne dunkle Stellen
erläutert, auf die Beziehungen zum wirklichen Leben Spaniens, wenn auch
sparsam, aufmerksam gemacht; hin und wieder gibt der Verfasser auch ein
Urtheil in ästhetischer oder moralischer Beziehung, obgleich er auf diese Neben-
bemerkungen nur ein geringes Gewicht legt. Wir benutzen diese Gelegenheit,
um unsererseits einige Bemerkung".'!! über den Dichter hinzuzufügen. Er ver¬
dient in doppelter Beziehung unser Studium, einmal als eine der interessan¬
testen Erscheinungen in der allgemeinen Culturgeschichte, als charakteristisch für
sein Volk und für seine Zeit, bann aber als ein wichtiges Ferment unserer
eignen deutschen Entwicklung.

Die maßlose Bewunderung, mit der man den neuentdeckten Dichter zu
Anfang dieses Jahrhunderts bei uns begrüßte, muß uns um so mehr in Er¬
staunen setzen, da sie von den gebildetsten Männern unserer Nation ausgeht,
und da sie sich an Dinge heftet, die gewiß keine Bewunderung verdienen.
Die größte Begeisterung erregte damals "der standhafte Prinz". Man begreift
diese Begeisterung bei den Jüngern der Romantik, den Feinden des Prote¬
stantismus und der Philosophie, aber man wird außer Fassung gesetzt, wenn
man sie auch bei Goethe antrifft, dem entschiedensten Feinde jener Richtung-
Das Stück enthält in der That einige schöne Deklamationen über die Vater¬
landsliebe, die Religion, die Aufopferung und dergleichen, wenn man aber
die dramatische Faclur betrachtet, so gehört es zu dem Schwächsten, was
Calderon geschrieben hat, und uoch schlimmer wild der Eindruck, wenn man
den Kern deS Ganzen, die sittliche Gesinnung untersucht. Was die künst¬
lerische Seite betrifft, so zerfällt das Stück in zwei Partien, die in einem
ganz zufälligen Zusammenhang zueinander stehen: in die Aufopferung des
Fernando und die Liebeseinfälle der maurischen Prinzessin Phönix. Wir ge¬
brauchen den Ausdruck Einfälle; denn ob Phönix den Fernando liebt oder
Muley, oder ob sie zwischen beiden schwankt, darüber erfährt man nichts Be- .
stimmtes. Sie ist in einer Stimmung, die in mancher Beziehung an die


Schauspiele, deren Inhalt sich an ältere Romane und Gedichte schließt; mv-
tho'logische Festspiele, worin die Mythen und Fabeln des Alterthums benutzt
und umgebildet sind; burleske Travestien ernster Schauspiele; spini'vlischc Schau¬
spiele; geistliche Schauspiele; Dramen aus der Heiligenlegende. Man könnte
gegen diese Eintheilung, die nicht grade auf deu Kern der Sache eingeht,
Manches einwenden; da man indeß schwerlich nach einem innerlichen Princip
diese 108 Dramen vollständig rulnieiren könnte, so ist es am Ende am zweck¬
mäßigsten gewesen, den Eintheilungsgrund von äußerlichen Kennzeichen zu
entnehmen, weil diese zuerst in die Angen fallen und man sich nach ihnen
am bequemsten orientiren kann. Von jedem Stück oder wenigstens von den
meisten wird dann summarisch der Inhalt angegeben, die Ausgabe und dem¬
nach die muthmaßliche Zeit der Entstehung festgestellt, einzelne dunkle Stellen
erläutert, auf die Beziehungen zum wirklichen Leben Spaniens, wenn auch
sparsam, aufmerksam gemacht; hin und wieder gibt der Verfasser auch ein
Urtheil in ästhetischer oder moralischer Beziehung, obgleich er auf diese Neben-
bemerkungen nur ein geringes Gewicht legt. Wir benutzen diese Gelegenheit,
um unsererseits einige Bemerkung«.'!! über den Dichter hinzuzufügen. Er ver¬
dient in doppelter Beziehung unser Studium, einmal als eine der interessan¬
testen Erscheinungen in der allgemeinen Culturgeschichte, als charakteristisch für
sein Volk und für seine Zeit, bann aber als ein wichtiges Ferment unserer
eignen deutschen Entwicklung.

Die maßlose Bewunderung, mit der man den neuentdeckten Dichter zu
Anfang dieses Jahrhunderts bei uns begrüßte, muß uns um so mehr in Er¬
staunen setzen, da sie von den gebildetsten Männern unserer Nation ausgeht,
und da sie sich an Dinge heftet, die gewiß keine Bewunderung verdienen.
Die größte Begeisterung erregte damals „der standhafte Prinz". Man begreift
diese Begeisterung bei den Jüngern der Romantik, den Feinden des Prote¬
stantismus und der Philosophie, aber man wird außer Fassung gesetzt, wenn
man sie auch bei Goethe antrifft, dem entschiedensten Feinde jener Richtung-
Das Stück enthält in der That einige schöne Deklamationen über die Vater¬
landsliebe, die Religion, die Aufopferung und dergleichen, wenn man aber
die dramatische Faclur betrachtet, so gehört es zu dem Schwächsten, was
Calderon geschrieben hat, und uoch schlimmer wild der Eindruck, wenn man
den Kern deS Ganzen, die sittliche Gesinnung untersucht. Was die künst¬
lerische Seite betrifft, so zerfällt das Stück in zwei Partien, die in einem
ganz zufälligen Zusammenhang zueinander stehen: in die Aufopferung des
Fernando und die Liebeseinfälle der maurischen Prinzessin Phönix. Wir ge¬
brauchen den Ausdruck Einfälle; denn ob Phönix den Fernando liebt oder
Muley, oder ob sie zwischen beiden schwankt, darüber erfährt man nichts Be- .
stimmtes. Sie ist in einer Stimmung, die in mancher Beziehung an die


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[0234] Schauspiele, deren Inhalt sich an ältere Romane und Gedichte schließt; mv- tho'logische Festspiele, worin die Mythen und Fabeln des Alterthums benutzt und umgebildet sind; burleske Travestien ernster Schauspiele; spini'vlischc Schau¬ spiele; geistliche Schauspiele; Dramen aus der Heiligenlegende. Man könnte gegen diese Eintheilung, die nicht grade auf deu Kern der Sache eingeht, Manches einwenden; da man indeß schwerlich nach einem innerlichen Princip diese 108 Dramen vollständig rulnieiren könnte, so ist es am Ende am zweck¬ mäßigsten gewesen, den Eintheilungsgrund von äußerlichen Kennzeichen zu entnehmen, weil diese zuerst in die Angen fallen und man sich nach ihnen am bequemsten orientiren kann. Von jedem Stück oder wenigstens von den meisten wird dann summarisch der Inhalt angegeben, die Ausgabe und dem¬ nach die muthmaßliche Zeit der Entstehung festgestellt, einzelne dunkle Stellen erläutert, auf die Beziehungen zum wirklichen Leben Spaniens, wenn auch sparsam, aufmerksam gemacht; hin und wieder gibt der Verfasser auch ein Urtheil in ästhetischer oder moralischer Beziehung, obgleich er auf diese Neben- bemerkungen nur ein geringes Gewicht legt. Wir benutzen diese Gelegenheit, um unsererseits einige Bemerkung«.'!! über den Dichter hinzuzufügen. Er ver¬ dient in doppelter Beziehung unser Studium, einmal als eine der interessan¬ testen Erscheinungen in der allgemeinen Culturgeschichte, als charakteristisch für sein Volk und für seine Zeit, bann aber als ein wichtiges Ferment unserer eignen deutschen Entwicklung. Die maßlose Bewunderung, mit der man den neuentdeckten Dichter zu Anfang dieses Jahrhunderts bei uns begrüßte, muß uns um so mehr in Er¬ staunen setzen, da sie von den gebildetsten Männern unserer Nation ausgeht, und da sie sich an Dinge heftet, die gewiß keine Bewunderung verdienen. Die größte Begeisterung erregte damals „der standhafte Prinz". Man begreift diese Begeisterung bei den Jüngern der Romantik, den Feinden des Prote¬ stantismus und der Philosophie, aber man wird außer Fassung gesetzt, wenn man sie auch bei Goethe antrifft, dem entschiedensten Feinde jener Richtung- Das Stück enthält in der That einige schöne Deklamationen über die Vater¬ landsliebe, die Religion, die Aufopferung und dergleichen, wenn man aber die dramatische Faclur betrachtet, so gehört es zu dem Schwächsten, was Calderon geschrieben hat, und uoch schlimmer wild der Eindruck, wenn man den Kern deS Ganzen, die sittliche Gesinnung untersucht. Was die künst¬ lerische Seite betrifft, so zerfällt das Stück in zwei Partien, die in einem ganz zufälligen Zusammenhang zueinander stehen: in die Aufopferung des Fernando und die Liebeseinfälle der maurischen Prinzessin Phönix. Wir ge¬ brauchen den Ausdruck Einfälle; denn ob Phönix den Fernando liebt oder Muley, oder ob sie zwischen beiden schwankt, darüber erfährt man nichts Be- . stimmtes. Sie ist in einer Stimmung, die in mancher Beziehung an die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/234>, abgerufen am 01.09.2024.