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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Als kritische Basis hat also daS Werk von Ticknor einen außerordentlichen
Werth, und man kann sich über daS Aeußerliche bei ihm vollständig orien-
Uren; was aber die Ausführung betrifft, so bleibt sehr viel zu wünschen übrige
Die Auswahl der Stücke, die er analystrt, ist ziemlich willkürlich, daS ästhe¬
tische Urtheil selten zuverlässig, für manche allgemeine Bemerkungen läßt sich
gar kein Grund anführen, und worauf es bei dem Studium Calderons
hauptsächlich ankommt, an eine Vollständigkeit der kritischen Notizen ist nicht
^ denken, obgleich der Versasser die Abhandlungen von Valentin Schmidt
benutzt hat.

Die lieue Ausgabe dieser Abhandlungen ist nun in einem umfassenden
Sinn erfolgt, als wir erwartet hatten. Der Sohn des verstorbenen Gelehrten,
or. Leopold Schmidt, hat es übernommen, gestützt "uf verschiedene Druck¬
schriften und Manuscripte aus der Hinterlassenschaft seines Vaters, das Werk
über Calderon in dem Sinn zu erweitern, wie es sich Valentin Schmidt be¬
reits vorgesetzt hatte. Er hat bei dieser Ausgabe eine streng philologische
Methode befolgt. Sein Zweck war ausschließlich, seinen Vater zu Wort
kommen zu lassen, und er hat mit einer gewissen Aengstlichkeit vermieden,
etwas Eignes hinzuzuthun, ja auch nur nach eignem Sinn in der äußern
Anordnung und Gruppirung etwas zu modificiren. Die Ergänzungen und
Berichtigungen, die er nicht umgehen zu können glaubte, hat er in den An¬
hang verwiesen. Wir unsererseits hätten nun zwar gewünscht, das Material
vollständig zu haben, und glauben nicht, daß es eine Beeinträchtigung der
Pietät gewesen wäre, wenn Leopold Schmidt sowol die Inhaltsangaben der
nicht besprochenen Stücke hinzugefügt, als auch feinen eignen Studien und den
Forschungen anderer Gelehrten Raum gegeben hätte; indeß darf man mit
einem Schriftsteller über die Aufgabe, die er sich stellt, nicht rechten, und wenn
wir die vorliegende Aufgabe gelten lassen, so müssen wir die musterhafte
Durchführung anerkennen.

In praktischer Beziehung erfüllt das Werk einen doppelten Zweck. Ein¬
mal ist es für alle, die eine Ausgabe Calderons besitzen, ein unentbehrliches
Handbuch in dem die literarischen Nachweisungen, die Parallelstellen, die
Notizen über die Zeit der Entstehung, die Quellen und verschiedenen Be¬
reitungen der einzelnen Stücke 7c. in größter Vollständigkeit vereinigt sind;
sodann gibt es demjenigen, der Calderon nicht vollständig kennt, ein unge¬
fähres Bild von dem Inhalt und der Behandlung seiner Stücke, und orientirt
'du in dem ungeheuren Umfang der Arbeiten dieses erfindungsreichen Dichters.
^ Die Stücke sind nach folgenden zehn Rubriken geordnet: Jntriguenstücke
oder Lustspiele mit Mantel und Degen; heroische Schauspiele; Schauspiele,
deren Inhalt aus der spanischen Geschichte oder spanischen Sage genommen
'se; Schauspiele aus der alten oder neuen Geschichte, romantisch umgebildet;


Grenzboten. II. 1867. 2i)

Als kritische Basis hat also daS Werk von Ticknor einen außerordentlichen
Werth, und man kann sich über daS Aeußerliche bei ihm vollständig orien-
Uren; was aber die Ausführung betrifft, so bleibt sehr viel zu wünschen übrige
Die Auswahl der Stücke, die er analystrt, ist ziemlich willkürlich, daS ästhe¬
tische Urtheil selten zuverlässig, für manche allgemeine Bemerkungen läßt sich
gar kein Grund anführen, und worauf es bei dem Studium Calderons
hauptsächlich ankommt, an eine Vollständigkeit der kritischen Notizen ist nicht
^ denken, obgleich der Versasser die Abhandlungen von Valentin Schmidt
benutzt hat.

Die lieue Ausgabe dieser Abhandlungen ist nun in einem umfassenden
Sinn erfolgt, als wir erwartet hatten. Der Sohn des verstorbenen Gelehrten,
or. Leopold Schmidt, hat es übernommen, gestützt «uf verschiedene Druck¬
schriften und Manuscripte aus der Hinterlassenschaft seines Vaters, das Werk
über Calderon in dem Sinn zu erweitern, wie es sich Valentin Schmidt be¬
reits vorgesetzt hatte. Er hat bei dieser Ausgabe eine streng philologische
Methode befolgt. Sein Zweck war ausschließlich, seinen Vater zu Wort
kommen zu lassen, und er hat mit einer gewissen Aengstlichkeit vermieden,
etwas Eignes hinzuzuthun, ja auch nur nach eignem Sinn in der äußern
Anordnung und Gruppirung etwas zu modificiren. Die Ergänzungen und
Berichtigungen, die er nicht umgehen zu können glaubte, hat er in den An¬
hang verwiesen. Wir unsererseits hätten nun zwar gewünscht, das Material
vollständig zu haben, und glauben nicht, daß es eine Beeinträchtigung der
Pietät gewesen wäre, wenn Leopold Schmidt sowol die Inhaltsangaben der
nicht besprochenen Stücke hinzugefügt, als auch feinen eignen Studien und den
Forschungen anderer Gelehrten Raum gegeben hätte; indeß darf man mit
einem Schriftsteller über die Aufgabe, die er sich stellt, nicht rechten, und wenn
wir die vorliegende Aufgabe gelten lassen, so müssen wir die musterhafte
Durchführung anerkennen.

In praktischer Beziehung erfüllt das Werk einen doppelten Zweck. Ein¬
mal ist es für alle, die eine Ausgabe Calderons besitzen, ein unentbehrliches
Handbuch in dem die literarischen Nachweisungen, die Parallelstellen, die
Notizen über die Zeit der Entstehung, die Quellen und verschiedenen Be¬
reitungen der einzelnen Stücke 7c. in größter Vollständigkeit vereinigt sind;
sodann gibt es demjenigen, der Calderon nicht vollständig kennt, ein unge¬
fähres Bild von dem Inhalt und der Behandlung seiner Stücke, und orientirt
'du in dem ungeheuren Umfang der Arbeiten dieses erfindungsreichen Dichters.
^ Die Stücke sind nach folgenden zehn Rubriken geordnet: Jntriguenstücke
oder Lustspiele mit Mantel und Degen; heroische Schauspiele; Schauspiele,
deren Inhalt aus der spanischen Geschichte oder spanischen Sage genommen
'se; Schauspiele aus der alten oder neuen Geschichte, romantisch umgebildet;


Grenzboten. II. 1867. 2i)
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[0233] Als kritische Basis hat also daS Werk von Ticknor einen außerordentlichen Werth, und man kann sich über daS Aeußerliche bei ihm vollständig orien- Uren; was aber die Ausführung betrifft, so bleibt sehr viel zu wünschen übrige Die Auswahl der Stücke, die er analystrt, ist ziemlich willkürlich, daS ästhe¬ tische Urtheil selten zuverlässig, für manche allgemeine Bemerkungen läßt sich gar kein Grund anführen, und worauf es bei dem Studium Calderons hauptsächlich ankommt, an eine Vollständigkeit der kritischen Notizen ist nicht ^ denken, obgleich der Versasser die Abhandlungen von Valentin Schmidt benutzt hat. Die lieue Ausgabe dieser Abhandlungen ist nun in einem umfassenden Sinn erfolgt, als wir erwartet hatten. Der Sohn des verstorbenen Gelehrten, or. Leopold Schmidt, hat es übernommen, gestützt «uf verschiedene Druck¬ schriften und Manuscripte aus der Hinterlassenschaft seines Vaters, das Werk über Calderon in dem Sinn zu erweitern, wie es sich Valentin Schmidt be¬ reits vorgesetzt hatte. Er hat bei dieser Ausgabe eine streng philologische Methode befolgt. Sein Zweck war ausschließlich, seinen Vater zu Wort kommen zu lassen, und er hat mit einer gewissen Aengstlichkeit vermieden, etwas Eignes hinzuzuthun, ja auch nur nach eignem Sinn in der äußern Anordnung und Gruppirung etwas zu modificiren. Die Ergänzungen und Berichtigungen, die er nicht umgehen zu können glaubte, hat er in den An¬ hang verwiesen. Wir unsererseits hätten nun zwar gewünscht, das Material vollständig zu haben, und glauben nicht, daß es eine Beeinträchtigung der Pietät gewesen wäre, wenn Leopold Schmidt sowol die Inhaltsangaben der nicht besprochenen Stücke hinzugefügt, als auch feinen eignen Studien und den Forschungen anderer Gelehrten Raum gegeben hätte; indeß darf man mit einem Schriftsteller über die Aufgabe, die er sich stellt, nicht rechten, und wenn wir die vorliegende Aufgabe gelten lassen, so müssen wir die musterhafte Durchführung anerkennen. In praktischer Beziehung erfüllt das Werk einen doppelten Zweck. Ein¬ mal ist es für alle, die eine Ausgabe Calderons besitzen, ein unentbehrliches Handbuch in dem die literarischen Nachweisungen, die Parallelstellen, die Notizen über die Zeit der Entstehung, die Quellen und verschiedenen Be¬ reitungen der einzelnen Stücke 7c. in größter Vollständigkeit vereinigt sind; sodann gibt es demjenigen, der Calderon nicht vollständig kennt, ein unge¬ fähres Bild von dem Inhalt und der Behandlung seiner Stücke, und orientirt 'du in dem ungeheuren Umfang der Arbeiten dieses erfindungsreichen Dichters. ^ Die Stücke sind nach folgenden zehn Rubriken geordnet: Jntriguenstücke oder Lustspiele mit Mantel und Degen; heroische Schauspiele; Schauspiele, deren Inhalt aus der spanischen Geschichte oder spanischen Sage genommen 'se; Schauspiele aus der alten oder neuen Geschichte, romantisch umgebildet; Grenzboten. II. 1867. 2i)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/233>, abgerufen am 01.09.2024.