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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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geheimen errichtet, auf welchem unzählige Wachslichter flammten. Schwarzver¬
hüllte Männer in der Kleidung der alten Brüderschaften, ebenfalls mit Wap¬
penschilder und gekreuzten Wachskerzen in den verschlungenen Armen umstan¬
den ihn geheimnißvoll und regungslos während der Vigilien und Hochäm¬
ter, welche vom frühen Morgen bis zum Mittag fortdauerten, während be¬
ständig an allen Altären Messe gelesen und der Stiftungsbrief, welcher die
Namen aller der verstorbenen Grafen und Fürsten mit denen ihrer Gemahlin¬
nen und Kinder enthielt, abgelesen wurde. Nach beendigtem Gottesdienst war
große Tafel im Schlosse, im Bildersaal, da das gewöhnliche Speisezimmer
nicht geräumig genug gewesen wäre, die zahlreichen Gäste zu fassen. Geist¬
liche und weltliche Abgesandte kamen aus allen Städtchen und Dörfern der
Umgegend herbei; die Klöster sendeten ihre Beichtväter und Schaffner, da
auch nach ihrer Säkularisation in den meisten derselben alles beim Alten
belassen wurde, und die Nonnen nach wie vor ihre Clausur beibehalten
durften, was einige strenger,1 andere lässiger beobachteten. In einem dieser
Klöster machte der Leibarzt des Fürsten, ein gelehrter, aber etwas barocker,
der rousseauischen Ausklärung zugethaner Mann, den Versuch,, eine weibliche
Erziehungsanstalt zu gründen. Die armen Nonnen, meist reiche Bauerntöch¬
ter aus Altbaiern, sollten mit einem Male in die Naturwissenschaften einge¬
weiht werden, Französisch lernen und lehren, und noch manches Andere sich
aneignen, wovon nie eine Kunde in ihre stillen Mauern gedrungen war. Die
Resultate dieser Bestrebungen waren Null, nur daß die hübscheste der Nonnen
ihre gesunde Vernunft darüber einbüßte und für ihre übrige Lebenszeit geistes¬
krank und schwermüthig blieb.

Trotz der Kriege, die im übrigen Deutschland wütheten, waren eS fried¬
liche Tage damals in dem kleinen Reiche, wo alles von oben und unten so
hübsch zusammenstimmte und alle Anliegen unmittelbar vor den Fürsten
kamen und von diesem und seinem alten Kanzler erledigt wurden, während sie
in der behaglichen Eckstube dieses letztern, aus welcher man auf daS Städt¬
chen niedersehen konnte, auf- und abwandelten. Eine Stunde traulichen Ge¬
spräches reichte hin, alle Geschäfte des äußern und Innern Departements
abzuthun, die Jagdergebnisse des verflossenen Tages zu berichten und allen¬
falls sich über die Wilddiebe auszulassen, die besonders vom Badischen her
freche Eingriffe in den Park machten. Dort übte der Förster eines der Außen¬
posten strenge Justiz, und mancher, der nicht eilig genug den hohen Planken¬
zaun erkletterte, erhielt einen Denkzettel, der ihm das Wildern aus immer ver¬
leidete.

Die Gefängnisse, welche unter dem Neubau des Schlosses, an dem alten
Burggang hin lagen, und ehedem wol als Wohnungen der Reisigen oder als
Verließe gedient haben mochten, standen durch eine Falltreppe mit dem Cor-


geheimen errichtet, auf welchem unzählige Wachslichter flammten. Schwarzver¬
hüllte Männer in der Kleidung der alten Brüderschaften, ebenfalls mit Wap¬
penschilder und gekreuzten Wachskerzen in den verschlungenen Armen umstan¬
den ihn geheimnißvoll und regungslos während der Vigilien und Hochäm¬
ter, welche vom frühen Morgen bis zum Mittag fortdauerten, während be¬
ständig an allen Altären Messe gelesen und der Stiftungsbrief, welcher die
Namen aller der verstorbenen Grafen und Fürsten mit denen ihrer Gemahlin¬
nen und Kinder enthielt, abgelesen wurde. Nach beendigtem Gottesdienst war
große Tafel im Schlosse, im Bildersaal, da das gewöhnliche Speisezimmer
nicht geräumig genug gewesen wäre, die zahlreichen Gäste zu fassen. Geist¬
liche und weltliche Abgesandte kamen aus allen Städtchen und Dörfern der
Umgegend herbei; die Klöster sendeten ihre Beichtväter und Schaffner, da
auch nach ihrer Säkularisation in den meisten derselben alles beim Alten
belassen wurde, und die Nonnen nach wie vor ihre Clausur beibehalten
durften, was einige strenger,1 andere lässiger beobachteten. In einem dieser
Klöster machte der Leibarzt des Fürsten, ein gelehrter, aber etwas barocker,
der rousseauischen Ausklärung zugethaner Mann, den Versuch,, eine weibliche
Erziehungsanstalt zu gründen. Die armen Nonnen, meist reiche Bauerntöch¬
ter aus Altbaiern, sollten mit einem Male in die Naturwissenschaften einge¬
weiht werden, Französisch lernen und lehren, und noch manches Andere sich
aneignen, wovon nie eine Kunde in ihre stillen Mauern gedrungen war. Die
Resultate dieser Bestrebungen waren Null, nur daß die hübscheste der Nonnen
ihre gesunde Vernunft darüber einbüßte und für ihre übrige Lebenszeit geistes¬
krank und schwermüthig blieb.

Trotz der Kriege, die im übrigen Deutschland wütheten, waren eS fried¬
liche Tage damals in dem kleinen Reiche, wo alles von oben und unten so
hübsch zusammenstimmte und alle Anliegen unmittelbar vor den Fürsten
kamen und von diesem und seinem alten Kanzler erledigt wurden, während sie
in der behaglichen Eckstube dieses letztern, aus welcher man auf daS Städt¬
chen niedersehen konnte, auf- und abwandelten. Eine Stunde traulichen Ge¬
spräches reichte hin, alle Geschäfte des äußern und Innern Departements
abzuthun, die Jagdergebnisse des verflossenen Tages zu berichten und allen¬
falls sich über die Wilddiebe auszulassen, die besonders vom Badischen her
freche Eingriffe in den Park machten. Dort übte der Förster eines der Außen¬
posten strenge Justiz, und mancher, der nicht eilig genug den hohen Planken¬
zaun erkletterte, erhielt einen Denkzettel, der ihm das Wildern aus immer ver¬
leidete.

Die Gefängnisse, welche unter dem Neubau des Schlosses, an dem alten
Burggang hin lagen, und ehedem wol als Wohnungen der Reisigen oder als
Verließe gedient haben mochten, standen durch eine Falltreppe mit dem Cor-


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[0230] geheimen errichtet, auf welchem unzählige Wachslichter flammten. Schwarzver¬ hüllte Männer in der Kleidung der alten Brüderschaften, ebenfalls mit Wap¬ penschilder und gekreuzten Wachskerzen in den verschlungenen Armen umstan¬ den ihn geheimnißvoll und regungslos während der Vigilien und Hochäm¬ ter, welche vom frühen Morgen bis zum Mittag fortdauerten, während be¬ ständig an allen Altären Messe gelesen und der Stiftungsbrief, welcher die Namen aller der verstorbenen Grafen und Fürsten mit denen ihrer Gemahlin¬ nen und Kinder enthielt, abgelesen wurde. Nach beendigtem Gottesdienst war große Tafel im Schlosse, im Bildersaal, da das gewöhnliche Speisezimmer nicht geräumig genug gewesen wäre, die zahlreichen Gäste zu fassen. Geist¬ liche und weltliche Abgesandte kamen aus allen Städtchen und Dörfern der Umgegend herbei; die Klöster sendeten ihre Beichtväter und Schaffner, da auch nach ihrer Säkularisation in den meisten derselben alles beim Alten belassen wurde, und die Nonnen nach wie vor ihre Clausur beibehalten durften, was einige strenger,1 andere lässiger beobachteten. In einem dieser Klöster machte der Leibarzt des Fürsten, ein gelehrter, aber etwas barocker, der rousseauischen Ausklärung zugethaner Mann, den Versuch,, eine weibliche Erziehungsanstalt zu gründen. Die armen Nonnen, meist reiche Bauerntöch¬ ter aus Altbaiern, sollten mit einem Male in die Naturwissenschaften einge¬ weiht werden, Französisch lernen und lehren, und noch manches Andere sich aneignen, wovon nie eine Kunde in ihre stillen Mauern gedrungen war. Die Resultate dieser Bestrebungen waren Null, nur daß die hübscheste der Nonnen ihre gesunde Vernunft darüber einbüßte und für ihre übrige Lebenszeit geistes¬ krank und schwermüthig blieb. Trotz der Kriege, die im übrigen Deutschland wütheten, waren eS fried¬ liche Tage damals in dem kleinen Reiche, wo alles von oben und unten so hübsch zusammenstimmte und alle Anliegen unmittelbar vor den Fürsten kamen und von diesem und seinem alten Kanzler erledigt wurden, während sie in der behaglichen Eckstube dieses letztern, aus welcher man auf daS Städt¬ chen niedersehen konnte, auf- und abwandelten. Eine Stunde traulichen Ge¬ spräches reichte hin, alle Geschäfte des äußern und Innern Departements abzuthun, die Jagdergebnisse des verflossenen Tages zu berichten und allen¬ falls sich über die Wilddiebe auszulassen, die besonders vom Badischen her freche Eingriffe in den Park machten. Dort übte der Förster eines der Außen¬ posten strenge Justiz, und mancher, der nicht eilig genug den hohen Planken¬ zaun erkletterte, erhielt einen Denkzettel, der ihm das Wildern aus immer ver¬ leidete. Die Gefängnisse, welche unter dem Neubau des Schlosses, an dem alten Burggang hin lagen, und ehedem wol als Wohnungen der Reisigen oder als Verließe gedient haben mochten, standen durch eine Falltreppe mit dem Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/230>, abgerufen am 01.09.2024.