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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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als Mittel gegen alle Schwächen des Hauptes, kranke und gesunde Kinder
wurden in den engen Behälter hineingezwängt und darin geschaukelt, um von
bösen Schäden zu genesen oder davor bewahrt zu bleiben. Alle diese Feste
endeten mit großen Processionen innerhalb und außerhalb des Städtchens,
je nach dem Range, den sie in der Kirche behaupten. Das größte und
glänzendste war das des Fronleichnams. Die Kirche wurde dazu von innen
ganz mit schlanken Birken besteckt, die ihren ersten zarten Blätterschmuck tru¬
gen und im Chöre sich zur Laube wölbten, die Altäre mit Blumen verziert,
der Boden mit frischem Gras und Blüten bestreut, daß.eS duftete wie im
Waldesschatten.

Die ganze Strecke Weges, welche der heilige Bittgang zurücklegen mußte,
war zu beiden Seiten mit Buchenzweigen eingefaßt und auch hier die GraS-
bestreuung nicht gespart, welche aus den fürstlichen Wiesen reichlich beigeschafft
wurde. Von großer Wichtigkeit war an diesem Tage, wenn das Wetter sich
zweifelhaft zeigte oder gar ein Gewitter drohte. Da lief eilige Botschaft hin und
her zwischen Schloß und Pfarrhaus, ja oft entschied sich die wichtige Ange¬
legenheit erst in der letzten Minute und es war rührend anzusehen, mit wel¬
chem Ernst und welcher Andacht der gute Herr (5 1830) in voller Uniform,
eine weiße Wachsfackel in der Hand seinen Dienern voranschreitend, dem
Allerheiligsten folgte.

Sobald die Procession in die Kirche zurückgekehrt war, sammelten sich Kinder¬
scharen, und schleppte" die grünen Maien auf Haufen zusammen, aus denen sie
sich Hüttchen bauten, allerliebste Verstecke, die noch wochenlang die Festfeier über¬
dauerten. Die katholische Kirche hat darin manches vor den übrigen Konfessionen
Voraus, daß sie'der Jugend so vielfache Gelegenheit bietet, bei ihren Feierlichkeiten
thätig mitzuwirken und den poetischen Sinn in den frischen Kinderseelen zu wecken
und zu pflegen weiß. Besonders entwickelt sich bei diesen Schaustellungen das
Gefühl für äußern Anstand, wo ein jeder eine Ehre darein setzt, seine Aufgabe
aufs würdigste zu lösen, gälte eS auch nur ein Weihbüschel zum Altare zu
'ragen, oder mit einer Kerze oder einem Meßbuch betraut zu werden. Schon
das gemessene Einherschreiten bei Processionen und Leichenzügen, das Nieder¬
knien und Aufstehen in der Kirche muß mit einer gewissen Rücksicht auf seine
Nachbarn vor sich gehen; bei tem lauten einstimmigen Gebete muß die Stimme
gemäßigt.und der Tonfall beobachtet werden; lauter geringfügige Dinge/ die
aber im Leben stets ihren Einfluß üben, und der Welt mehr als einen Künst¬
ler erzogen haben.

Ein Fest düsterer Art fand im Herbste, nach Beendigung der Treibjagden
statt; es war der große Jahrestag oder die Todtenfeier für die Verstorbenen
"As dem fürstlichen Hause. Da wurde, wie am Charfreitage, die Kirche schwarz
behängt, ein hoher Katafalk mit Purpurdecke, Wappenschilder und Todtew


als Mittel gegen alle Schwächen des Hauptes, kranke und gesunde Kinder
wurden in den engen Behälter hineingezwängt und darin geschaukelt, um von
bösen Schäden zu genesen oder davor bewahrt zu bleiben. Alle diese Feste
endeten mit großen Processionen innerhalb und außerhalb des Städtchens,
je nach dem Range, den sie in der Kirche behaupten. Das größte und
glänzendste war das des Fronleichnams. Die Kirche wurde dazu von innen
ganz mit schlanken Birken besteckt, die ihren ersten zarten Blätterschmuck tru¬
gen und im Chöre sich zur Laube wölbten, die Altäre mit Blumen verziert,
der Boden mit frischem Gras und Blüten bestreut, daß.eS duftete wie im
Waldesschatten.

Die ganze Strecke Weges, welche der heilige Bittgang zurücklegen mußte,
war zu beiden Seiten mit Buchenzweigen eingefaßt und auch hier die GraS-
bestreuung nicht gespart, welche aus den fürstlichen Wiesen reichlich beigeschafft
wurde. Von großer Wichtigkeit war an diesem Tage, wenn das Wetter sich
zweifelhaft zeigte oder gar ein Gewitter drohte. Da lief eilige Botschaft hin und
her zwischen Schloß und Pfarrhaus, ja oft entschied sich die wichtige Ange¬
legenheit erst in der letzten Minute und es war rührend anzusehen, mit wel¬
chem Ernst und welcher Andacht der gute Herr (5 1830) in voller Uniform,
eine weiße Wachsfackel in der Hand seinen Dienern voranschreitend, dem
Allerheiligsten folgte.

Sobald die Procession in die Kirche zurückgekehrt war, sammelten sich Kinder¬
scharen, und schleppte« die grünen Maien auf Haufen zusammen, aus denen sie
sich Hüttchen bauten, allerliebste Verstecke, die noch wochenlang die Festfeier über¬
dauerten. Die katholische Kirche hat darin manches vor den übrigen Konfessionen
Voraus, daß sie'der Jugend so vielfache Gelegenheit bietet, bei ihren Feierlichkeiten
thätig mitzuwirken und den poetischen Sinn in den frischen Kinderseelen zu wecken
und zu pflegen weiß. Besonders entwickelt sich bei diesen Schaustellungen das
Gefühl für äußern Anstand, wo ein jeder eine Ehre darein setzt, seine Aufgabe
aufs würdigste zu lösen, gälte eS auch nur ein Weihbüschel zum Altare zu
'ragen, oder mit einer Kerze oder einem Meßbuch betraut zu werden. Schon
das gemessene Einherschreiten bei Processionen und Leichenzügen, das Nieder¬
knien und Aufstehen in der Kirche muß mit einer gewissen Rücksicht auf seine
Nachbarn vor sich gehen; bei tem lauten einstimmigen Gebete muß die Stimme
gemäßigt.und der Tonfall beobachtet werden; lauter geringfügige Dinge/ die
aber im Leben stets ihren Einfluß üben, und der Welt mehr als einen Künst¬
ler erzogen haben.

Ein Fest düsterer Art fand im Herbste, nach Beendigung der Treibjagden
statt; es war der große Jahrestag oder die Todtenfeier für die Verstorbenen
«As dem fürstlichen Hause. Da wurde, wie am Charfreitage, die Kirche schwarz
behängt, ein hoher Katafalk mit Purpurdecke, Wappenschilder und Todtew


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[0229] als Mittel gegen alle Schwächen des Hauptes, kranke und gesunde Kinder wurden in den engen Behälter hineingezwängt und darin geschaukelt, um von bösen Schäden zu genesen oder davor bewahrt zu bleiben. Alle diese Feste endeten mit großen Processionen innerhalb und außerhalb des Städtchens, je nach dem Range, den sie in der Kirche behaupten. Das größte und glänzendste war das des Fronleichnams. Die Kirche wurde dazu von innen ganz mit schlanken Birken besteckt, die ihren ersten zarten Blätterschmuck tru¬ gen und im Chöre sich zur Laube wölbten, die Altäre mit Blumen verziert, der Boden mit frischem Gras und Blüten bestreut, daß.eS duftete wie im Waldesschatten. Die ganze Strecke Weges, welche der heilige Bittgang zurücklegen mußte, war zu beiden Seiten mit Buchenzweigen eingefaßt und auch hier die GraS- bestreuung nicht gespart, welche aus den fürstlichen Wiesen reichlich beigeschafft wurde. Von großer Wichtigkeit war an diesem Tage, wenn das Wetter sich zweifelhaft zeigte oder gar ein Gewitter drohte. Da lief eilige Botschaft hin und her zwischen Schloß und Pfarrhaus, ja oft entschied sich die wichtige Ange¬ legenheit erst in der letzten Minute und es war rührend anzusehen, mit wel¬ chem Ernst und welcher Andacht der gute Herr (5 1830) in voller Uniform, eine weiße Wachsfackel in der Hand seinen Dienern voranschreitend, dem Allerheiligsten folgte. Sobald die Procession in die Kirche zurückgekehrt war, sammelten sich Kinder¬ scharen, und schleppte« die grünen Maien auf Haufen zusammen, aus denen sie sich Hüttchen bauten, allerliebste Verstecke, die noch wochenlang die Festfeier über¬ dauerten. Die katholische Kirche hat darin manches vor den übrigen Konfessionen Voraus, daß sie'der Jugend so vielfache Gelegenheit bietet, bei ihren Feierlichkeiten thätig mitzuwirken und den poetischen Sinn in den frischen Kinderseelen zu wecken und zu pflegen weiß. Besonders entwickelt sich bei diesen Schaustellungen das Gefühl für äußern Anstand, wo ein jeder eine Ehre darein setzt, seine Aufgabe aufs würdigste zu lösen, gälte eS auch nur ein Weihbüschel zum Altare zu 'ragen, oder mit einer Kerze oder einem Meßbuch betraut zu werden. Schon das gemessene Einherschreiten bei Processionen und Leichenzügen, das Nieder¬ knien und Aufstehen in der Kirche muß mit einer gewissen Rücksicht auf seine Nachbarn vor sich gehen; bei tem lauten einstimmigen Gebete muß die Stimme gemäßigt.und der Tonfall beobachtet werden; lauter geringfügige Dinge/ die aber im Leben stets ihren Einfluß üben, und der Welt mehr als einen Künst¬ ler erzogen haben. Ein Fest düsterer Art fand im Herbste, nach Beendigung der Treibjagden statt; es war der große Jahrestag oder die Todtenfeier für die Verstorbenen «As dem fürstlichen Hause. Da wurde, wie am Charfreitage, die Kirche schwarz behängt, ein hoher Katafalk mit Purpurdecke, Wappenschilder und Todtew

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/229>, abgerufen am 01.09.2024.