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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zu Ende, so hörte man schon Trommel und Pfeifen; die jungen Bursche schar¬
ten sich um eine lange Stange und zogen vor alle Häuser, worin ein Neu-
verheiratheter sich befand. Dieser wurde dann maskirt nach dem Stadtbrunnen
geführt, und in strenger Obhut gehalten, daß er nicht entwischte. Dazwischen
wurde auf öffentlichem Platze vor den Masken getanzt, vielerlei Muthwille ge¬
übt, und wenn die jungen Ehemänner alle beisammen waren, einer nach dem
andern hoch auf der Stange um den Brunnen getragen und zuletzt in das
Wasser getaucht. Der Fürst, die Bejahrtern seines Gefolges und seine höhern
Beamten schauten aus den umstehenden Häusern mit Frauen und Kindern
dem tollen Getreide zu, bis gegen Mittag etwas Stille eintrat, und jeder
seine Mahlzeit beschleunigte, um nach kurzer Rast in neuen Verkleidungen
von Gasse zu Gasse, ja von Haus zu Haus seine guten oder schlechten Ein¬
fälle Preis zu geben. Oft vereinigte man sich zu großen Maskenzügen, und
besonders die Bürgermädchen wußten Abends beim Tanze ihre hübsche Gestalt
in den niedlichsten Anzügen geltend zu machen. Wessen Mittel nicht ausreich¬
ten, sich die beliebten Glanzhusaren-, Prädicanten- oder Harlekinsmaskcn zu
mi'ceder, begnügte sich, irgend ein Kleidungsstück bei einem Nachbar zu ent¬
lehnen, wobei besonders die Garderobe einiger städtischen Originale, welche
noch Haarbeutel und dreieckige Hüte trugen, aushelfen mußte, oder man ver¬
mummte sich in ein paar Weiberröcke und Schürzen, aus denen Ohren zu¬
ammengebunden wurden, was eine Fledermaus vorstellte, eine sehr beliebte
Verkleidung, die am unkenntlichsten und deshalb ihre Träger am gefürchtetsten
machre. Sogar das Hetzkleid des Oberjägers, dick mit Heu ausgestopft, in
welchem er die Hunde auf den Mann dressirte, war eine ständige Maske, dann
die wilden Männer in Stroh oder Moos gehüllt, gewaltige Keulen im Arm,
ähnlich dem Gog und Magog, alle aber mit verstellter kreischender Stimme
und voll von tausenderlei Tücken. Um Mitternacht Viehes letzten tollsten
Tages mußte jede Larve abgenommen werden, doch tanzte und tobte man sort,
bis die Glocke zur Frühmesse rief. Um neun Uhr begab man sich zum Aschen¬
streuen in das Hochamt, und nur gegen Abend regte sich die alte Lust noch
einmal beim Schneckenball, der für die lange Fastenzeit den Beschluß aller
Freude machte.

Dieser Faschingsjubel ging durch alle die kleinen Städte des südlichen
Deutschlands, deren Angehörige, waren sie auch noch so weit in der Fremde,
UM diese Zeit vom Heimwet> erfaßt, wiederkehrten, und nichts weiter von der
Welt sehen wollten. So toll und ausgelassen sich das Volk in der Carne-
välsfreude gezeigt hatte, so andächtig wurde von demselben die Charwoche, diese
Allste Zeit im Jahre gefeiert. Vom Morgen deS grünen Donnerstags bis
zum Samstag hörte man keinen Glockenscha", sogar das Tafelglöckchen des
Fürsten verstummte oder wurde kaum angezogen, und von dem Kirchthurme


zu Ende, so hörte man schon Trommel und Pfeifen; die jungen Bursche schar¬
ten sich um eine lange Stange und zogen vor alle Häuser, worin ein Neu-
verheiratheter sich befand. Dieser wurde dann maskirt nach dem Stadtbrunnen
geführt, und in strenger Obhut gehalten, daß er nicht entwischte. Dazwischen
wurde auf öffentlichem Platze vor den Masken getanzt, vielerlei Muthwille ge¬
übt, und wenn die jungen Ehemänner alle beisammen waren, einer nach dem
andern hoch auf der Stange um den Brunnen getragen und zuletzt in das
Wasser getaucht. Der Fürst, die Bejahrtern seines Gefolges und seine höhern
Beamten schauten aus den umstehenden Häusern mit Frauen und Kindern
dem tollen Getreide zu, bis gegen Mittag etwas Stille eintrat, und jeder
seine Mahlzeit beschleunigte, um nach kurzer Rast in neuen Verkleidungen
von Gasse zu Gasse, ja von Haus zu Haus seine guten oder schlechten Ein¬
fälle Preis zu geben. Oft vereinigte man sich zu großen Maskenzügen, und
besonders die Bürgermädchen wußten Abends beim Tanze ihre hübsche Gestalt
in den niedlichsten Anzügen geltend zu machen. Wessen Mittel nicht ausreich¬
ten, sich die beliebten Glanzhusaren-, Prädicanten- oder Harlekinsmaskcn zu
mi'ceder, begnügte sich, irgend ein Kleidungsstück bei einem Nachbar zu ent¬
lehnen, wobei besonders die Garderobe einiger städtischen Originale, welche
noch Haarbeutel und dreieckige Hüte trugen, aushelfen mußte, oder man ver¬
mummte sich in ein paar Weiberröcke und Schürzen, aus denen Ohren zu¬
ammengebunden wurden, was eine Fledermaus vorstellte, eine sehr beliebte
Verkleidung, die am unkenntlichsten und deshalb ihre Träger am gefürchtetsten
machre. Sogar das Hetzkleid des Oberjägers, dick mit Heu ausgestopft, in
welchem er die Hunde auf den Mann dressirte, war eine ständige Maske, dann
die wilden Männer in Stroh oder Moos gehüllt, gewaltige Keulen im Arm,
ähnlich dem Gog und Magog, alle aber mit verstellter kreischender Stimme
und voll von tausenderlei Tücken. Um Mitternacht Viehes letzten tollsten
Tages mußte jede Larve abgenommen werden, doch tanzte und tobte man sort,
bis die Glocke zur Frühmesse rief. Um neun Uhr begab man sich zum Aschen¬
streuen in das Hochamt, und nur gegen Abend regte sich die alte Lust noch
einmal beim Schneckenball, der für die lange Fastenzeit den Beschluß aller
Freude machte.

Dieser Faschingsjubel ging durch alle die kleinen Städte des südlichen
Deutschlands, deren Angehörige, waren sie auch noch so weit in der Fremde,
UM diese Zeit vom Heimwet> erfaßt, wiederkehrten, und nichts weiter von der
Welt sehen wollten. So toll und ausgelassen sich das Volk in der Carne-
välsfreude gezeigt hatte, so andächtig wurde von demselben die Charwoche, diese
Allste Zeit im Jahre gefeiert. Vom Morgen deS grünen Donnerstags bis
zum Samstag hörte man keinen Glockenscha», sogar das Tafelglöckchen des
Fürsten verstummte oder wurde kaum angezogen, und von dem Kirchthurme


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[0227] zu Ende, so hörte man schon Trommel und Pfeifen; die jungen Bursche schar¬ ten sich um eine lange Stange und zogen vor alle Häuser, worin ein Neu- verheiratheter sich befand. Dieser wurde dann maskirt nach dem Stadtbrunnen geführt, und in strenger Obhut gehalten, daß er nicht entwischte. Dazwischen wurde auf öffentlichem Platze vor den Masken getanzt, vielerlei Muthwille ge¬ übt, und wenn die jungen Ehemänner alle beisammen waren, einer nach dem andern hoch auf der Stange um den Brunnen getragen und zuletzt in das Wasser getaucht. Der Fürst, die Bejahrtern seines Gefolges und seine höhern Beamten schauten aus den umstehenden Häusern mit Frauen und Kindern dem tollen Getreide zu, bis gegen Mittag etwas Stille eintrat, und jeder seine Mahlzeit beschleunigte, um nach kurzer Rast in neuen Verkleidungen von Gasse zu Gasse, ja von Haus zu Haus seine guten oder schlechten Ein¬ fälle Preis zu geben. Oft vereinigte man sich zu großen Maskenzügen, und besonders die Bürgermädchen wußten Abends beim Tanze ihre hübsche Gestalt in den niedlichsten Anzügen geltend zu machen. Wessen Mittel nicht ausreich¬ ten, sich die beliebten Glanzhusaren-, Prädicanten- oder Harlekinsmaskcn zu mi'ceder, begnügte sich, irgend ein Kleidungsstück bei einem Nachbar zu ent¬ lehnen, wobei besonders die Garderobe einiger städtischen Originale, welche noch Haarbeutel und dreieckige Hüte trugen, aushelfen mußte, oder man ver¬ mummte sich in ein paar Weiberröcke und Schürzen, aus denen Ohren zu¬ ammengebunden wurden, was eine Fledermaus vorstellte, eine sehr beliebte Verkleidung, die am unkenntlichsten und deshalb ihre Träger am gefürchtetsten machre. Sogar das Hetzkleid des Oberjägers, dick mit Heu ausgestopft, in welchem er die Hunde auf den Mann dressirte, war eine ständige Maske, dann die wilden Männer in Stroh oder Moos gehüllt, gewaltige Keulen im Arm, ähnlich dem Gog und Magog, alle aber mit verstellter kreischender Stimme und voll von tausenderlei Tücken. Um Mitternacht Viehes letzten tollsten Tages mußte jede Larve abgenommen werden, doch tanzte und tobte man sort, bis die Glocke zur Frühmesse rief. Um neun Uhr begab man sich zum Aschen¬ streuen in das Hochamt, und nur gegen Abend regte sich die alte Lust noch einmal beim Schneckenball, der für die lange Fastenzeit den Beschluß aller Freude machte. Dieser Faschingsjubel ging durch alle die kleinen Städte des südlichen Deutschlands, deren Angehörige, waren sie auch noch so weit in der Fremde, UM diese Zeit vom Heimwet> erfaßt, wiederkehrten, und nichts weiter von der Welt sehen wollten. So toll und ausgelassen sich das Volk in der Carne- välsfreude gezeigt hatte, so andächtig wurde von demselben die Charwoche, diese Allste Zeit im Jahre gefeiert. Vom Morgen deS grünen Donnerstags bis zum Samstag hörte man keinen Glockenscha», sogar das Tafelglöckchen des Fürsten verstummte oder wurde kaum angezogen, und von dem Kirchthurme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/227>, abgerufen am 01.09.2024.