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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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tragischer, ein anständiger Ausgang. In allen drei Fällen ging der Aufstand
von nationalen Behörden und vom nationalen Militär aus, welches zwar
einer starken Ergänzung durch neue Elemente bedürfte, aber doch immer noch
Kraft genug besaß, um den Kern derselben zu bilden. Im gegenwärtigen
Augenblick, wo diese konservativen Elemente völlig gebrochen sind, würde jeder
Aufstandsversuch in jenen Gegenden eine klägliche Erscheinung darbieten. Der
Volksenthusiasmus kann sehr viel thun, um eine bestehende kräftige Einrichtung
neu zu beleben, wie z. B. der preußische Enthusiasmus von 1813; er kann
ste aber nimmermehr ersetzen. In der regelmäßigen Armee haben die Italiener,
etwa die Neapolitaner ausgenommen, sich stets als tapfere Soldaten gezeigt;
bei jeder Insurrektion sind sie davon gelaufen. Zu einer Armee gehören nicht
blos Menschen, nicht blos Waffen, es gehört dazu auch die Gewohnheit deS
Planmäßigen Zusammenwirkens, und diese bringt der bloße Enthusiasmus
nicht hervor.

Mazzini und seine Anhänger glaubten nun, die Organisation durch ge¬
heime Gesellschaften ersetzen zu können. Ein thörichtes Unternehmen. Der
Gehorsam der geheimen Gesellschaft dauert fort, so lange sie im Dunkeln con-
spirirt; wenn aber eine wirkliche Regierung eintreten soll, so macht sich die
Masse geltend, und die Führer der geheimen Gesellschaft behaupten ihren
Einfluß nur so lange, als sie der Masse gefallen. Alle modernen Revolu¬
tionärs lassen sich durch daS Beispiel der Franzosen, namentlich durch die Er¬
innerungen deS SchreckcnSsystems verführen. Sie vergessen dabei zweierlei:
einmal daß die Franzosen bereits eine fertige Staatsmaschine vorfanden; so¬
dann daß unter allen Nationen die Franzosen am meisten der Disciplin fähig
sind, daß sie sich nicht blos fügen, sondern mit Begeisterung fügen, sobald
ein stark prononcirter Wille sich ihnen gegenüber geltend macht. Die Italie¬
ner haben kein Paris und sie sind keine Franzosen.

Geheime Gesellschaften, wenn sie eine große Ausdehnung gewinnen, sind
ein Ruin für die Cultur eines Landes. Sie ziehen die talentvollsten Menschen
von nützlicher Thätigkeit ab und gewöhnen ste an Intriguen, an Lüge, an
Komödienspiel und an Windbeutelei; ste hüllen die Nation in ein Traumleben
ein und machen sie unfähig, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Was haben
die Polen durch ihre ewigen Verschwörungen gewonnen? Sie sind geistig und
N'ateriell immer tiefer gesunken, ihre Produktivität und damit ihre Wider¬
standskraft hat sich immer mehr vermindert, sie leben in einem Lande der
Träume und Chimären.

Wenn die Italiener wirkliche Fortschritte machen wollen, so werden sie
steh zunächst bemühen müssen, die konservativen Elemente, die sie noch besitzen,
!U' kräftigen und sie zu ergänzen. Man klage nicht blos den bösen Willen
der Regierungen an; in einem bevölkerten Lande wie die Lombardei, haben


tragischer, ein anständiger Ausgang. In allen drei Fällen ging der Aufstand
von nationalen Behörden und vom nationalen Militär aus, welches zwar
einer starken Ergänzung durch neue Elemente bedürfte, aber doch immer noch
Kraft genug besaß, um den Kern derselben zu bilden. Im gegenwärtigen
Augenblick, wo diese konservativen Elemente völlig gebrochen sind, würde jeder
Aufstandsversuch in jenen Gegenden eine klägliche Erscheinung darbieten. Der
Volksenthusiasmus kann sehr viel thun, um eine bestehende kräftige Einrichtung
neu zu beleben, wie z. B. der preußische Enthusiasmus von 1813; er kann
ste aber nimmermehr ersetzen. In der regelmäßigen Armee haben die Italiener,
etwa die Neapolitaner ausgenommen, sich stets als tapfere Soldaten gezeigt;
bei jeder Insurrektion sind sie davon gelaufen. Zu einer Armee gehören nicht
blos Menschen, nicht blos Waffen, es gehört dazu auch die Gewohnheit deS
Planmäßigen Zusammenwirkens, und diese bringt der bloße Enthusiasmus
nicht hervor.

Mazzini und seine Anhänger glaubten nun, die Organisation durch ge¬
heime Gesellschaften ersetzen zu können. Ein thörichtes Unternehmen. Der
Gehorsam der geheimen Gesellschaft dauert fort, so lange sie im Dunkeln con-
spirirt; wenn aber eine wirkliche Regierung eintreten soll, so macht sich die
Masse geltend, und die Führer der geheimen Gesellschaft behaupten ihren
Einfluß nur so lange, als sie der Masse gefallen. Alle modernen Revolu¬
tionärs lassen sich durch daS Beispiel der Franzosen, namentlich durch die Er¬
innerungen deS SchreckcnSsystems verführen. Sie vergessen dabei zweierlei:
einmal daß die Franzosen bereits eine fertige Staatsmaschine vorfanden; so¬
dann daß unter allen Nationen die Franzosen am meisten der Disciplin fähig
sind, daß sie sich nicht blos fügen, sondern mit Begeisterung fügen, sobald
ein stark prononcirter Wille sich ihnen gegenüber geltend macht. Die Italie¬
ner haben kein Paris und sie sind keine Franzosen.

Geheime Gesellschaften, wenn sie eine große Ausdehnung gewinnen, sind
ein Ruin für die Cultur eines Landes. Sie ziehen die talentvollsten Menschen
von nützlicher Thätigkeit ab und gewöhnen ste an Intriguen, an Lüge, an
Komödienspiel und an Windbeutelei; ste hüllen die Nation in ein Traumleben
ein und machen sie unfähig, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Was haben
die Polen durch ihre ewigen Verschwörungen gewonnen? Sie sind geistig und
N'ateriell immer tiefer gesunken, ihre Produktivität und damit ihre Wider¬
standskraft hat sich immer mehr vermindert, sie leben in einem Lande der
Träume und Chimären.

Wenn die Italiener wirkliche Fortschritte machen wollen, so werden sie
steh zunächst bemühen müssen, die konservativen Elemente, die sie noch besitzen,
!U' kräftigen und sie zu ergänzen. Man klage nicht blos den bösen Willen
der Regierungen an; in einem bevölkerten Lande wie die Lombardei, haben


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[0221] tragischer, ein anständiger Ausgang. In allen drei Fällen ging der Aufstand von nationalen Behörden und vom nationalen Militär aus, welches zwar einer starken Ergänzung durch neue Elemente bedürfte, aber doch immer noch Kraft genug besaß, um den Kern derselben zu bilden. Im gegenwärtigen Augenblick, wo diese konservativen Elemente völlig gebrochen sind, würde jeder Aufstandsversuch in jenen Gegenden eine klägliche Erscheinung darbieten. Der Volksenthusiasmus kann sehr viel thun, um eine bestehende kräftige Einrichtung neu zu beleben, wie z. B. der preußische Enthusiasmus von 1813; er kann ste aber nimmermehr ersetzen. In der regelmäßigen Armee haben die Italiener, etwa die Neapolitaner ausgenommen, sich stets als tapfere Soldaten gezeigt; bei jeder Insurrektion sind sie davon gelaufen. Zu einer Armee gehören nicht blos Menschen, nicht blos Waffen, es gehört dazu auch die Gewohnheit deS Planmäßigen Zusammenwirkens, und diese bringt der bloße Enthusiasmus nicht hervor. Mazzini und seine Anhänger glaubten nun, die Organisation durch ge¬ heime Gesellschaften ersetzen zu können. Ein thörichtes Unternehmen. Der Gehorsam der geheimen Gesellschaft dauert fort, so lange sie im Dunkeln con- spirirt; wenn aber eine wirkliche Regierung eintreten soll, so macht sich die Masse geltend, und die Führer der geheimen Gesellschaft behaupten ihren Einfluß nur so lange, als sie der Masse gefallen. Alle modernen Revolu¬ tionärs lassen sich durch daS Beispiel der Franzosen, namentlich durch die Er¬ innerungen deS SchreckcnSsystems verführen. Sie vergessen dabei zweierlei: einmal daß die Franzosen bereits eine fertige Staatsmaschine vorfanden; so¬ dann daß unter allen Nationen die Franzosen am meisten der Disciplin fähig sind, daß sie sich nicht blos fügen, sondern mit Begeisterung fügen, sobald ein stark prononcirter Wille sich ihnen gegenüber geltend macht. Die Italie¬ ner haben kein Paris und sie sind keine Franzosen. Geheime Gesellschaften, wenn sie eine große Ausdehnung gewinnen, sind ein Ruin für die Cultur eines Landes. Sie ziehen die talentvollsten Menschen von nützlicher Thätigkeit ab und gewöhnen ste an Intriguen, an Lüge, an Komödienspiel und an Windbeutelei; ste hüllen die Nation in ein Traumleben ein und machen sie unfähig, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Was haben die Polen durch ihre ewigen Verschwörungen gewonnen? Sie sind geistig und N'ateriell immer tiefer gesunken, ihre Produktivität und damit ihre Wider¬ standskraft hat sich immer mehr vermindert, sie leben in einem Lande der Träume und Chimären. Wenn die Italiener wirkliche Fortschritte machen wollen, so werden sie steh zunächst bemühen müssen, die konservativen Elemente, die sie noch besitzen, !U' kräftigen und sie zu ergänzen. Man klage nicht blos den bösen Willen der Regierungen an; in einem bevölkerten Lande wie die Lombardei, haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/221>, abgerufen am 01.09.2024.