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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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man über dem poetischen Mitgefühl nicht vergessen, daß den Italienern die
Hauptschuld an ihrer Unterdrückung zufällt. Ihnen ein staatenbildendes Princip
abzusprechen, wäre freilich lächerlich, da die römische Geschichte ein so glänzen¬
des Zeugniß ablegt; was aber das Mittelalter und die neuere Zeit betrifft, so
lag das Unglück Italiens darin, daß sein staatenbildendes Princip noch immer
das des Alterthums war, während die übrigen Nationen weiter vorschritten.
Für Italien fällt bis zum ^nde des vorigen Jahrhunderts der Begriff des
Staates noch immer mit dem der Stadt zusammen. Das Lehnskönigthum ist
ihnen fremd geblieben, und ihre Städte haben sich nur auf römische Weise ver¬
größert d. h. sie haben andere Landschaften zu Unterthanen gemacht. Sie
hatten weder die Fähigkeit der Föderation, noch die Fähigkeit der Assimilation;
daher war ihre Politik auch in den glänzendsten Zeiten, in Zeiten, wo die
Venetianer in gewissem Sinn die Rolle des heutigen England spielten, doch
nur eine glänzende Kirchthurmpolitik, und wenn man das macchiavellistische
System wegen seiner Jmmoralität verwirft, so hat man ebensoviel Recht, es
wegen seiner Kurzsichtigkeit zu tadeln. Aus dem italienischen Staatensystem
des -15., 16. und 17. Jahrhunderts ließ sich absolut keine politische Entwick¬
lung herleiten, und bis zu einer gewissen Grenze hin haben die Italiener Ur¬
sache, die Herrschaft des Auslandes als eine heilsame Schule zu betrachten.
So viel man auch gegen die Oestreicher einwendet, die Zustände in den öst¬
reichischen Besitzungen und in den östreichischen Secundogenituren sind doch
immer noch viel besser, als die in Mittel- und Unteritalien.

Wenn man sich eine erfolgreiche Erhebung der Italiener denken will, so
kann diese nur unter zwei Bedingungen stattfinden. Einmal muß die Erhebung
im Stande sein, sich militärisch zu organisiren, um sich in einem ordentlichen
Kriege behaupten zu können. Freilich ist es möglich, daß einmal mit Hilfe
der Franzosen die Oestreicher vertrieben werden; aber das wäre für die Ita¬
liener wahrlich kein Gewinn, denn nur diejenige Freiheit und Unabhängigkeit
trägt Früchte, die man selbst zu behaupten im Stande ist. Zweitens muß die
Jnsurrection im Stande sein, überall eine Negierung einzurichten, die nicht
von dem Einfall eines beliebigen Pöbelhaufenö abhängig ist, sondern die Gehor¬
sam findet kraft alter, eingelebter Gewohnheiten., In dieser Beziehung ist beiläu¬
fig selbst das so sehr zerrissene Spanien besser beschaffen, wo die Pronunciamentos
regelmäßig von der localen Autorität ausgehen und von ihr geleitet werden.

Diese beiden Bedingungen setzen voraus, daß innerhalb der bestehenden
Staaten gewisse municipale, administrative, legislative Einrichtungen bestehen,
welche die Brücke von dem einen Zustand zum andern bauen. Von den Jn-
surrectionen der neuen Zeit haben nur drei zu einer Art von Resultat geführt:
die griechische von 18Ä1, die polnische von 1831, und die ungarische von
1849; die beiden letztern sind zwar unterdrückt worden, aber es war doch ein


man über dem poetischen Mitgefühl nicht vergessen, daß den Italienern die
Hauptschuld an ihrer Unterdrückung zufällt. Ihnen ein staatenbildendes Princip
abzusprechen, wäre freilich lächerlich, da die römische Geschichte ein so glänzen¬
des Zeugniß ablegt; was aber das Mittelalter und die neuere Zeit betrifft, so
lag das Unglück Italiens darin, daß sein staatenbildendes Princip noch immer
das des Alterthums war, während die übrigen Nationen weiter vorschritten.
Für Italien fällt bis zum ^nde des vorigen Jahrhunderts der Begriff des
Staates noch immer mit dem der Stadt zusammen. Das Lehnskönigthum ist
ihnen fremd geblieben, und ihre Städte haben sich nur auf römische Weise ver¬
größert d. h. sie haben andere Landschaften zu Unterthanen gemacht. Sie
hatten weder die Fähigkeit der Föderation, noch die Fähigkeit der Assimilation;
daher war ihre Politik auch in den glänzendsten Zeiten, in Zeiten, wo die
Venetianer in gewissem Sinn die Rolle des heutigen England spielten, doch
nur eine glänzende Kirchthurmpolitik, und wenn man das macchiavellistische
System wegen seiner Jmmoralität verwirft, so hat man ebensoviel Recht, es
wegen seiner Kurzsichtigkeit zu tadeln. Aus dem italienischen Staatensystem
des -15., 16. und 17. Jahrhunderts ließ sich absolut keine politische Entwick¬
lung herleiten, und bis zu einer gewissen Grenze hin haben die Italiener Ur¬
sache, die Herrschaft des Auslandes als eine heilsame Schule zu betrachten.
So viel man auch gegen die Oestreicher einwendet, die Zustände in den öst¬
reichischen Besitzungen und in den östreichischen Secundogenituren sind doch
immer noch viel besser, als die in Mittel- und Unteritalien.

Wenn man sich eine erfolgreiche Erhebung der Italiener denken will, so
kann diese nur unter zwei Bedingungen stattfinden. Einmal muß die Erhebung
im Stande sein, sich militärisch zu organisiren, um sich in einem ordentlichen
Kriege behaupten zu können. Freilich ist es möglich, daß einmal mit Hilfe
der Franzosen die Oestreicher vertrieben werden; aber das wäre für die Ita¬
liener wahrlich kein Gewinn, denn nur diejenige Freiheit und Unabhängigkeit
trägt Früchte, die man selbst zu behaupten im Stande ist. Zweitens muß die
Jnsurrection im Stande sein, überall eine Negierung einzurichten, die nicht
von dem Einfall eines beliebigen Pöbelhaufenö abhängig ist, sondern die Gehor¬
sam findet kraft alter, eingelebter Gewohnheiten., In dieser Beziehung ist beiläu¬
fig selbst das so sehr zerrissene Spanien besser beschaffen, wo die Pronunciamentos
regelmäßig von der localen Autorität ausgehen und von ihr geleitet werden.

Diese beiden Bedingungen setzen voraus, daß innerhalb der bestehenden
Staaten gewisse municipale, administrative, legislative Einrichtungen bestehen,
welche die Brücke von dem einen Zustand zum andern bauen. Von den Jn-
surrectionen der neuen Zeit haben nur drei zu einer Art von Resultat geführt:
die griechische von 18Ä1, die polnische von 1831, und die ungarische von
1849; die beiden letztern sind zwar unterdrückt worden, aber es war doch ein


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[0220] man über dem poetischen Mitgefühl nicht vergessen, daß den Italienern die Hauptschuld an ihrer Unterdrückung zufällt. Ihnen ein staatenbildendes Princip abzusprechen, wäre freilich lächerlich, da die römische Geschichte ein so glänzen¬ des Zeugniß ablegt; was aber das Mittelalter und die neuere Zeit betrifft, so lag das Unglück Italiens darin, daß sein staatenbildendes Princip noch immer das des Alterthums war, während die übrigen Nationen weiter vorschritten. Für Italien fällt bis zum ^nde des vorigen Jahrhunderts der Begriff des Staates noch immer mit dem der Stadt zusammen. Das Lehnskönigthum ist ihnen fremd geblieben, und ihre Städte haben sich nur auf römische Weise ver¬ größert d. h. sie haben andere Landschaften zu Unterthanen gemacht. Sie hatten weder die Fähigkeit der Föderation, noch die Fähigkeit der Assimilation; daher war ihre Politik auch in den glänzendsten Zeiten, in Zeiten, wo die Venetianer in gewissem Sinn die Rolle des heutigen England spielten, doch nur eine glänzende Kirchthurmpolitik, und wenn man das macchiavellistische System wegen seiner Jmmoralität verwirft, so hat man ebensoviel Recht, es wegen seiner Kurzsichtigkeit zu tadeln. Aus dem italienischen Staatensystem des -15., 16. und 17. Jahrhunderts ließ sich absolut keine politische Entwick¬ lung herleiten, und bis zu einer gewissen Grenze hin haben die Italiener Ur¬ sache, die Herrschaft des Auslandes als eine heilsame Schule zu betrachten. So viel man auch gegen die Oestreicher einwendet, die Zustände in den öst¬ reichischen Besitzungen und in den östreichischen Secundogenituren sind doch immer noch viel besser, als die in Mittel- und Unteritalien. Wenn man sich eine erfolgreiche Erhebung der Italiener denken will, so kann diese nur unter zwei Bedingungen stattfinden. Einmal muß die Erhebung im Stande sein, sich militärisch zu organisiren, um sich in einem ordentlichen Kriege behaupten zu können. Freilich ist es möglich, daß einmal mit Hilfe der Franzosen die Oestreicher vertrieben werden; aber das wäre für die Ita¬ liener wahrlich kein Gewinn, denn nur diejenige Freiheit und Unabhängigkeit trägt Früchte, die man selbst zu behaupten im Stande ist. Zweitens muß die Jnsurrection im Stande sein, überall eine Negierung einzurichten, die nicht von dem Einfall eines beliebigen Pöbelhaufenö abhängig ist, sondern die Gehor¬ sam findet kraft alter, eingelebter Gewohnheiten., In dieser Beziehung ist beiläu¬ fig selbst das so sehr zerrissene Spanien besser beschaffen, wo die Pronunciamentos regelmäßig von der localen Autorität ausgehen und von ihr geleitet werden. Diese beiden Bedingungen setzen voraus, daß innerhalb der bestehenden Staaten gewisse municipale, administrative, legislative Einrichtungen bestehen, welche die Brücke von dem einen Zustand zum andern bauen. Von den Jn- surrectionen der neuen Zeit haben nur drei zu einer Art von Resultat geführt: die griechische von 18Ä1, die polnische von 1831, und die ungarische von 1849; die beiden letztern sind zwar unterdrückt worden, aber es war doch ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/220>, abgerufen am 01.09.2024.