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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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einer in Deutschland üblichen "väterlichen Gewalt" (patria powsws); eine solche
findet sich nun auch durchgehends in den römischen Rechtsquellen, und liegt
ihr charakteristisches Kennzeichen darin, daß sie zu Gunsten des Vaters besteht
und ausschließlich durch dessen Willen, nicht durch Ablauf der Zeit und am
wenigsten durch bloße Handlungen oder Willensäußerungen der Kinder auf¬
gelöst werden kann. Am deutlichsten wird dies Verhältniß dadurch bezeichnet,
daß für die Freilassung der Kinder aus der väterlichen, und die der Sklaven
aus der Gewalt des Herrn ein und derselbe Ausdruck besteht (Emancipation),
wie denn auch im Ältesten römischen Recht thatsächlich kein Unterschied zwischen
beiden war. Wie weit man auch in späterer'römischer Zeit von dieser ur¬
sprünglichen Strenge abging, nie hat das römische Recht den Grundsatz ver¬
leugnet, daß die Auflösung dieses Verhältnisses anders als durch den Vater
geschehen könne. Nun macht es sich allerdings wunderbar genug, wenn unsere
Pandektisten, nachdem sie die verschiedenen Arten der Emancipation erklärt
haben, die aber sämmtlich nie in Deutschland gekannt waren, endlich noch die
"durch getrennten Haushalt", die fast ausschließlich übliche beifügen, ohne
zu bedenken, daß grade diese in ihrem innersten Wesen der römischen väter¬
lichen Gewalt widerspricht, insofern dabei der Wille des Sohnes das allein
Maßgebende ist. Man erkennt bald ohne Mühe, daß die deutsch-rechtliche
Ansicht, nach welcher dem Vater bis zur Volljährigkeit des Sohnes nur ein
Schutzrecht zusteht, das dann von selbst aushört, niemals untergegangen war;
es ist dies nach der Sprache unserer mittelalterlichen Rechtsquellen das soge¬
nannte Mundium, ein Wort, das sich noch in mündig, Vormund u. s. w. er¬
halten hat. ES wäre eine unserer Zeit würdige Aufgabe, über das ganze Gebiet
deS Rechtes hinaus Schein von Wirklichkeit zu trennen und dadurch deutsches
Recht sür Deutschland wieder zur vollen Geltung zu bringen.

Im Leben selbst hat sich nach einer andern Richtung hin dieser Umschwung
in sehr entschiedener Weise vollzogen. Der Handelsverkehr hat zuerst die ihm
entschieden feindseligen Grundsätze des römischen Rechts abgestreift. Dahin
führte sowol das Bedürfniß, als daS Beispiel der Nation, die zu gutem Theile
deutschem Stamm entsprossen, niemals das deutsche Recht sich hat rauben lassen,
und die vor allen andern mächtig und maßgebend im Handel wurde, der eng¬
lischen. Es macht einen wunderbaren Eindruck, grade in englischen Rechls-
büchern dasjenige Recht in voller Lebenskraft wiederzufinden, das Deutschland
an ein fremdes verloren hat, und mag auch deutsches Gelehrtenthum mit vor¬
nehmer Geringschätzung auf den unbestreitbar ungeordneten Zustand englischer
Rechtsübung hinabblicken, es weht in ihr bei allen Mängeln jener frische, dem
Leben entnommene und auf daS Leben zurückwirkende Geist, den der sorgfäl¬
tigste Schematismus niemals erreicht. Der Handel hat aber wesentlich eine kos¬
mopolitische Narur und bewußt oder unbewußt eignet sich das eine Volk die


einer in Deutschland üblichen „väterlichen Gewalt" (patria powsws); eine solche
findet sich nun auch durchgehends in den römischen Rechtsquellen, und liegt
ihr charakteristisches Kennzeichen darin, daß sie zu Gunsten des Vaters besteht
und ausschließlich durch dessen Willen, nicht durch Ablauf der Zeit und am
wenigsten durch bloße Handlungen oder Willensäußerungen der Kinder auf¬
gelöst werden kann. Am deutlichsten wird dies Verhältniß dadurch bezeichnet,
daß für die Freilassung der Kinder aus der väterlichen, und die der Sklaven
aus der Gewalt des Herrn ein und derselbe Ausdruck besteht (Emancipation),
wie denn auch im Ältesten römischen Recht thatsächlich kein Unterschied zwischen
beiden war. Wie weit man auch in späterer'römischer Zeit von dieser ur¬
sprünglichen Strenge abging, nie hat das römische Recht den Grundsatz ver¬
leugnet, daß die Auflösung dieses Verhältnisses anders als durch den Vater
geschehen könne. Nun macht es sich allerdings wunderbar genug, wenn unsere
Pandektisten, nachdem sie die verschiedenen Arten der Emancipation erklärt
haben, die aber sämmtlich nie in Deutschland gekannt waren, endlich noch die
„durch getrennten Haushalt", die fast ausschließlich übliche beifügen, ohne
zu bedenken, daß grade diese in ihrem innersten Wesen der römischen väter¬
lichen Gewalt widerspricht, insofern dabei der Wille des Sohnes das allein
Maßgebende ist. Man erkennt bald ohne Mühe, daß die deutsch-rechtliche
Ansicht, nach welcher dem Vater bis zur Volljährigkeit des Sohnes nur ein
Schutzrecht zusteht, das dann von selbst aushört, niemals untergegangen war;
es ist dies nach der Sprache unserer mittelalterlichen Rechtsquellen das soge¬
nannte Mundium, ein Wort, das sich noch in mündig, Vormund u. s. w. er¬
halten hat. ES wäre eine unserer Zeit würdige Aufgabe, über das ganze Gebiet
deS Rechtes hinaus Schein von Wirklichkeit zu trennen und dadurch deutsches
Recht sür Deutschland wieder zur vollen Geltung zu bringen.

Im Leben selbst hat sich nach einer andern Richtung hin dieser Umschwung
in sehr entschiedener Weise vollzogen. Der Handelsverkehr hat zuerst die ihm
entschieden feindseligen Grundsätze des römischen Rechts abgestreift. Dahin
führte sowol das Bedürfniß, als daS Beispiel der Nation, die zu gutem Theile
deutschem Stamm entsprossen, niemals das deutsche Recht sich hat rauben lassen,
und die vor allen andern mächtig und maßgebend im Handel wurde, der eng¬
lischen. Es macht einen wunderbaren Eindruck, grade in englischen Rechls-
büchern dasjenige Recht in voller Lebenskraft wiederzufinden, das Deutschland
an ein fremdes verloren hat, und mag auch deutsches Gelehrtenthum mit vor¬
nehmer Geringschätzung auf den unbestreitbar ungeordneten Zustand englischer
Rechtsübung hinabblicken, es weht in ihr bei allen Mängeln jener frische, dem
Leben entnommene und auf daS Leben zurückwirkende Geist, den der sorgfäl¬
tigste Schematismus niemals erreicht. Der Handel hat aber wesentlich eine kos¬
mopolitische Narur und bewußt oder unbewußt eignet sich das eine Volk die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/214>, abgerufen am 01.09.2024.