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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Börsenstunds naht ihrem Ende, die Börsenbesucher entfernen sich all-
mälig heiter oder unfreundlich gestimmt, je nachdem die Börsensonne sie be¬
schienen; aber die Börsensperre hat schon lange aufgehört und noch immer ist
es im Raume lebhaft. Auch das Börsenbummeln gehört zu den süßen Ge¬
wohnheiten des Hamburger kaufmännischen Daseins. Erst nach drei Uhr wird
es wirklich leer, die Räumlichkeiten werden wieder gelüftet, und ruhige, beschau¬
liche Stille breitet sich da aus, wo kurz vorher noch das vielstimmige Echo
die lauten Gedanken der Börsenbesucher so wunderbar zusammengeworfen
hatte -- bis zum nächsten Mittag.

Daheim werden nun die Resultate des heutigen Feldzugs in die Geschäfts¬
bücher eingetragen oder die besprochenen Unternehmungen weiter ausgeführt.
Haben sie dann "am lecker bereiteten Mahle" sich gesättigt, so sitzen sie am
Abend oft in die späte Nacht hinein und schreiben und rechnen und rechnen
und schreiben, bis die heutige Börse und das heutige Geschäft abgethan ist..
Und so geht es den einen Tag und so alle Tage, Sonn- und Festtags aus¬
genommen. ,




Korrespondenzen.
London,

-- Die Wahlen beginnen, und da muß man sichs
zur strengen Pflicht machen, alles zu beobachten und nichts zu glauben, was die Leute
in England schreiben und erzählen --- --- dies ungefähr stand zu lesen in einer
londoner Korrespondenz, abgedruckt in einer berliner Zeitung, unmittelbar nach der
Auflösung des Parlaments.

Wenige Tage daraus stand wieder zu lesen in einer londoner Korrespondenz,
geschrieben von demselben Verfasser, abgedruckt in derselben berliner Zeitung, wie
folgt: Die Negierung hat Bänkelsänger gegen Lord John Russell gedungen; --
Mitarbeiter des Punch haben die Lieder für diese gedichtet; -- Regierungsbeamte
haben das Meeting des liberalen Wahlcomitses organisirt; -- die Anwesenden waren
zumeist Theehäudler, Opiumschmuggler und praktische Leute, die immer hoher Regie¬
rung folgen-- ......,. , ,. , ^jj

Wenn der Verfasser dieser pikanten Mittheilungen ehrlich glaubt, was er erzählt,
so gehört er offenbar selbst zu den so oft von ihm verspotteten einfältigen Naturen,
die sich jede Thorheit aufbinden lassen, wenn sie nur zur Taille ihrer Denkungs-
art paßt. Sind jene so unendlich positiv hingestellten Angaben aber bloße Erfindungen
schwermüthiger Phantasie, dann wahrlich sollte man deutschen Lesern nicht zumuthen,
sie zu glauben.

Es ist Jammerschade, daß gewisse Journalisten den Klatsch und die Gerüchte, die in
pariser Korrespondenzen von jeher eine hervorragend traurige Rolle gespielt haben,
auch von London aus als annehmbare Waare exportiren wollen. Höchst komisch
aber wird diese Betriebsamkeit, wenn sie in der Toga der soliden Geschichtsforschung


Die Börsenstunds naht ihrem Ende, die Börsenbesucher entfernen sich all-
mälig heiter oder unfreundlich gestimmt, je nachdem die Börsensonne sie be¬
schienen; aber die Börsensperre hat schon lange aufgehört und noch immer ist
es im Raume lebhaft. Auch das Börsenbummeln gehört zu den süßen Ge¬
wohnheiten des Hamburger kaufmännischen Daseins. Erst nach drei Uhr wird
es wirklich leer, die Räumlichkeiten werden wieder gelüftet, und ruhige, beschau¬
liche Stille breitet sich da aus, wo kurz vorher noch das vielstimmige Echo
die lauten Gedanken der Börsenbesucher so wunderbar zusammengeworfen
hatte — bis zum nächsten Mittag.

Daheim werden nun die Resultate des heutigen Feldzugs in die Geschäfts¬
bücher eingetragen oder die besprochenen Unternehmungen weiter ausgeführt.
Haben sie dann „am lecker bereiteten Mahle" sich gesättigt, so sitzen sie am
Abend oft in die späte Nacht hinein und schreiben und rechnen und rechnen
und schreiben, bis die heutige Börse und das heutige Geschäft abgethan ist..
Und so geht es den einen Tag und so alle Tage, Sonn- und Festtags aus¬
genommen. ,




Korrespondenzen.
London,

— Die Wahlen beginnen, und da muß man sichs
zur strengen Pflicht machen, alles zu beobachten und nichts zu glauben, was die Leute
in England schreiben und erzählen -— -— dies ungefähr stand zu lesen in einer
londoner Korrespondenz, abgedruckt in einer berliner Zeitung, unmittelbar nach der
Auflösung des Parlaments.

Wenige Tage daraus stand wieder zu lesen in einer londoner Korrespondenz,
geschrieben von demselben Verfasser, abgedruckt in derselben berliner Zeitung, wie
folgt: Die Negierung hat Bänkelsänger gegen Lord John Russell gedungen; —
Mitarbeiter des Punch haben die Lieder für diese gedichtet; — Regierungsbeamte
haben das Meeting des liberalen Wahlcomitses organisirt; — die Anwesenden waren
zumeist Theehäudler, Opiumschmuggler und praktische Leute, die immer hoher Regie¬
rung folgen-- ......,. , ,. , ^jj

Wenn der Verfasser dieser pikanten Mittheilungen ehrlich glaubt, was er erzählt,
so gehört er offenbar selbst zu den so oft von ihm verspotteten einfältigen Naturen,
die sich jede Thorheit aufbinden lassen, wenn sie nur zur Taille ihrer Denkungs-
art paßt. Sind jene so unendlich positiv hingestellten Angaben aber bloße Erfindungen
schwermüthiger Phantasie, dann wahrlich sollte man deutschen Lesern nicht zumuthen,
sie zu glauben.

Es ist Jammerschade, daß gewisse Journalisten den Klatsch und die Gerüchte, die in
pariser Korrespondenzen von jeher eine hervorragend traurige Rolle gespielt haben,
auch von London aus als annehmbare Waare exportiren wollen. Höchst komisch
aber wird diese Betriebsamkeit, wenn sie in der Toga der soliden Geschichtsforschung


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[0202] Die Börsenstunds naht ihrem Ende, die Börsenbesucher entfernen sich all- mälig heiter oder unfreundlich gestimmt, je nachdem die Börsensonne sie be¬ schienen; aber die Börsensperre hat schon lange aufgehört und noch immer ist es im Raume lebhaft. Auch das Börsenbummeln gehört zu den süßen Ge¬ wohnheiten des Hamburger kaufmännischen Daseins. Erst nach drei Uhr wird es wirklich leer, die Räumlichkeiten werden wieder gelüftet, und ruhige, beschau¬ liche Stille breitet sich da aus, wo kurz vorher noch das vielstimmige Echo die lauten Gedanken der Börsenbesucher so wunderbar zusammengeworfen hatte — bis zum nächsten Mittag. Daheim werden nun die Resultate des heutigen Feldzugs in die Geschäfts¬ bücher eingetragen oder die besprochenen Unternehmungen weiter ausgeführt. Haben sie dann „am lecker bereiteten Mahle" sich gesättigt, so sitzen sie am Abend oft in die späte Nacht hinein und schreiben und rechnen und rechnen und schreiben, bis die heutige Börse und das heutige Geschäft abgethan ist.. Und so geht es den einen Tag und so alle Tage, Sonn- und Festtags aus¬ genommen. , Korrespondenzen. London, — Die Wahlen beginnen, und da muß man sichs zur strengen Pflicht machen, alles zu beobachten und nichts zu glauben, was die Leute in England schreiben und erzählen -— -— dies ungefähr stand zu lesen in einer londoner Korrespondenz, abgedruckt in einer berliner Zeitung, unmittelbar nach der Auflösung des Parlaments. Wenige Tage daraus stand wieder zu lesen in einer londoner Korrespondenz, geschrieben von demselben Verfasser, abgedruckt in derselben berliner Zeitung, wie folgt: Die Negierung hat Bänkelsänger gegen Lord John Russell gedungen; — Mitarbeiter des Punch haben die Lieder für diese gedichtet; — Regierungsbeamte haben das Meeting des liberalen Wahlcomitses organisirt; — die Anwesenden waren zumeist Theehäudler, Opiumschmuggler und praktische Leute, die immer hoher Regie¬ rung folgen-- ......,. , ,. , ^jj Wenn der Verfasser dieser pikanten Mittheilungen ehrlich glaubt, was er erzählt, so gehört er offenbar selbst zu den so oft von ihm verspotteten einfältigen Naturen, die sich jede Thorheit aufbinden lassen, wenn sie nur zur Taille ihrer Denkungs- art paßt. Sind jene so unendlich positiv hingestellten Angaben aber bloße Erfindungen schwermüthiger Phantasie, dann wahrlich sollte man deutschen Lesern nicht zumuthen, sie zu glauben. Es ist Jammerschade, daß gewisse Journalisten den Klatsch und die Gerüchte, die in pariser Korrespondenzen von jeher eine hervorragend traurige Rolle gespielt haben, auch von London aus als annehmbare Waare exportiren wollen. Höchst komisch aber wird diese Betriebsamkeit, wenn sie in der Toga der soliden Geschichtsforschung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/202>, abgerufen am 28.07.2024.