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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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nach Hamburg führen, dann ist sie ringsum von Zuschauern aus der Fremde
besetzt, und am zahlreichsten von Damen in Reisetoiletten. Als diese freund¬
liche Sitte zuerst hier aufkam, dawar in einem Hamburger Blatt der Vorschlag
zu lesen, die Besucher und die Besucherinnen mit je zwei Mark Steuer zu be¬
legen. Ob der Urheber dieses seltsamen Gedankens wol durch ein Paar
schöner Augen sich in seinen kaufmännischen Berechnungen gestört sah! Jeden¬
falls war die überwiegende Majorität der Hamburger Kaufleute viel zu gast¬
freundlich, um an einem schönen Gesicht, das man ja in den Geschäftspauscn
gleichfalls n>it Muße betrachten konnte, so großen Anstoß zu finden, und
so hat denn die Damenwelt hier wie sonst allenthalben den einmal eingenom¬
menen Platz tapfer behauptet.

Wie da unten alles dichtgedrängt Kopf an Kopf steht, hutbewaffnet und
in fast einförmigen Schwarz! Und diese Töne! die Stimmen der vielen mit
nur gewöhnlicher Anstrengung menschlicher Lungen Sprechenden sammeln sich
im weitem Raum zu einem Summen und Brausen, das wie das Tosen einer
an Felsen gepeitschten Meeresbrandung an den Ohren wiederhallt. Schall¬
welle an Schallwelle zieht vorüber, jetzt in dumpfem, dann wieder in lauterem,
fast kreischenden Tone. Wie das da alles durcheinander wühlt und sich drängt
und schiebt in regungsloser und doch so flüssiger Masse! Es ist ein einziger
Anblick, der nirgend seines Gleichen findet.

Als ordnender und schützender Genius wacht "eine hochlöbliche Commerz¬
deputation" über der Börse. Es ist dies der selbstgewählte Vorstand des
"ehrbaren Kaufmanns", keiner Corporation, sondern nur der Zusammenfas¬
sung aller größern Kaufleute in nicht sehr fest begrenzter Ausdehnung. Die
Commerzdeputation hat die Gesetzgebung und die Verwaltung der Börse. Als
Gesetze verkündet sie jeden Dienstag und Freitag die Course, und zwar wie
ein gutes, constitutionelles Oberhaupt nicht aus eigenem Willen, sondern ge¬
bunden an die Berathungen der vereidigten Coursmäkler, die auf den Ruf
einer großen Börsenglocke die Coursnotirungen je nach dem Gange des Ge¬
schäfts ihr zusenden. Freilich vor einiger Zeit fühlte sich die Deputation zu
einer "Rettung" veranlaßt, als sie annehmen zu müssen glaubte, daß die
Coursmäkler nicht mehr die "wahre öffentliche Meinung", sondern nur ihren
Eigensinn vertraten, und als diese nun gar nicht mehr notiren wollten, ja
lieber ihr Amt niederlegten, da wurden denn neue Coursmäkler vereidet und
neue Grundsätze für die Abfassung des Courses, die so ziemlich in der Mitte
zwischen iM beiderseitigen Ansichten lagen, verabredet. Auf große Tabellen
abgeschrieben, werden diese Course durch Anschlag an der Börse als Geschäfts¬
norm bis zum nächsten Courötag der Börsenwelt verkündet. Da ist London
gestiegen und Berlin gefallen, da sind die Preise von lang- oder kurzsichtigen
Wechseln d. h. Wechsel aus zwei,, drei oder mehr Monate für die verschiedenen


nach Hamburg führen, dann ist sie ringsum von Zuschauern aus der Fremde
besetzt, und am zahlreichsten von Damen in Reisetoiletten. Als diese freund¬
liche Sitte zuerst hier aufkam, dawar in einem Hamburger Blatt der Vorschlag
zu lesen, die Besucher und die Besucherinnen mit je zwei Mark Steuer zu be¬
legen. Ob der Urheber dieses seltsamen Gedankens wol durch ein Paar
schöner Augen sich in seinen kaufmännischen Berechnungen gestört sah! Jeden¬
falls war die überwiegende Majorität der Hamburger Kaufleute viel zu gast¬
freundlich, um an einem schönen Gesicht, das man ja in den Geschäftspauscn
gleichfalls n>it Muße betrachten konnte, so großen Anstoß zu finden, und
so hat denn die Damenwelt hier wie sonst allenthalben den einmal eingenom¬
menen Platz tapfer behauptet.

Wie da unten alles dichtgedrängt Kopf an Kopf steht, hutbewaffnet und
in fast einförmigen Schwarz! Und diese Töne! die Stimmen der vielen mit
nur gewöhnlicher Anstrengung menschlicher Lungen Sprechenden sammeln sich
im weitem Raum zu einem Summen und Brausen, das wie das Tosen einer
an Felsen gepeitschten Meeresbrandung an den Ohren wiederhallt. Schall¬
welle an Schallwelle zieht vorüber, jetzt in dumpfem, dann wieder in lauterem,
fast kreischenden Tone. Wie das da alles durcheinander wühlt und sich drängt
und schiebt in regungsloser und doch so flüssiger Masse! Es ist ein einziger
Anblick, der nirgend seines Gleichen findet.

Als ordnender und schützender Genius wacht „eine hochlöbliche Commerz¬
deputation" über der Börse. Es ist dies der selbstgewählte Vorstand des
„ehrbaren Kaufmanns", keiner Corporation, sondern nur der Zusammenfas¬
sung aller größern Kaufleute in nicht sehr fest begrenzter Ausdehnung. Die
Commerzdeputation hat die Gesetzgebung und die Verwaltung der Börse. Als
Gesetze verkündet sie jeden Dienstag und Freitag die Course, und zwar wie
ein gutes, constitutionelles Oberhaupt nicht aus eigenem Willen, sondern ge¬
bunden an die Berathungen der vereidigten Coursmäkler, die auf den Ruf
einer großen Börsenglocke die Coursnotirungen je nach dem Gange des Ge¬
schäfts ihr zusenden. Freilich vor einiger Zeit fühlte sich die Deputation zu
einer „Rettung" veranlaßt, als sie annehmen zu müssen glaubte, daß die
Coursmäkler nicht mehr die „wahre öffentliche Meinung", sondern nur ihren
Eigensinn vertraten, und als diese nun gar nicht mehr notiren wollten, ja
lieber ihr Amt niederlegten, da wurden denn neue Coursmäkler vereidet und
neue Grundsätze für die Abfassung des Courses, die so ziemlich in der Mitte
zwischen iM beiderseitigen Ansichten lagen, verabredet. Auf große Tabellen
abgeschrieben, werden diese Course durch Anschlag an der Börse als Geschäfts¬
norm bis zum nächsten Courötag der Börsenwelt verkündet. Da ist London
gestiegen und Berlin gefallen, da sind die Preise von lang- oder kurzsichtigen
Wechseln d. h. Wechsel aus zwei,, drei oder mehr Monate für die verschiedenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/200>, abgerufen am 28.07.2024.