Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.und war jetzt arm, wie zu Anfang der Revolution. Seine dramatischen Er- 24*
und war jetzt arm, wie zu Anfang der Revolution. Seine dramatischen Er- 24*
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und war jetzt arm, wie zu Anfang der Revolution. Seine dramatischen Er-
folge waren vergessen, dagegen hatte er als Satiriker einen guten Namen er¬
worben. Schon 1798 hatte er eine Konferenz zwischen Pius VI. und Lud¬
wig XVIII. geschildert, in welcher sich der eine als Jakobiner, der andere als
Atheist bekennt; ein im frischesten Stil geschriebenes Gedicht, welches aber
damals keine große Beachtung fand. Einen desto größern Erfolg errangen
die Nouveiwx heures (1802), gegen die neue Schule Chateaubriands und der
übrigen Vertheidiger der Kirche gerichtet; eine der geistvollsten Satiren, die
M der französischen Sprache geschrieben sind, und die man heute, wo die üblen
Folgen der kirchlichen Reaction sich nicht mehr verstecken, besser würdigen wird,
als in einer Zeit, wo das Bedürfniß nach einem festen Glauben alle Be¬
denken zurückdrängte. Noch eine andere Satire aus jener Zeit, gegen Delille,
ist zu erwähnen. Sie ist von einem schlagenden Witz und einer ebenso an¬
muthigen als eindringenden Bosheit; doch ist der Stoff zu bedauern, da auch
hier den Dichter hauptsächlich die Eitelkeit bestimmt hatte. Noch einmal ließ
sich Chönier zu einem falschen Schritt verleiten. Fouah« bestellte bei ihm 1804
um Stück, das mit einer Krönung schließen sollte, mit dem Versprechen großer
Belohnungen. Chenier schrieb seinen Cyrus, konnte sich aber nicht ver¬
sagen, in demselben dem künstigen Kaiser einige sehr ernste Warnungen zu
ertheilen. Napoleon war im höchsten Grade aufgebracht, das Stück fiel,
Und von einer Belohnung war keine Rede. In der spätern Zeit seines Le¬
bens hat Chenier durch ernste, strenge Studien, durch fortwährende Aus¬
bildung seines Geschmacks und durch immer größere Milde im Urtheil seine
früheren Verirrungen gesühnt. Das Drama Tiberius, welches er damals
schrieb, steht hoch über seinen frühern Arbeiten. Es erinnert meistens an
Alfieri, sowol durch seinen Ernst und seine Würde, als durch eine gewisse
Nüchternheit der Form. Es-spricht sich ein starker Geist darin aus, eine
echte, ungeheuchelte Wärme, die freilich dem Tacitus manches verdankt, die aber
Zugleich die Erfahrungen eines reichen Lebens ausspricht. Wenn der Dichter seine
Empfindungen zuweilen mehr, als wünschenswert!), zurückhält, den Ausdruck
künstlich zusammendrängt, so macht das Ganze doch einen nachhaltigen Ein¬
druck. Napoleon ließ sich das Stück durch Talma vorlesen und konnte ihm
seine Bewunderung nicht versagen; aber er verbot die Aufführung; und Talma
mußte diesen Bescheid seinem alten Freunde überbringen. — Wenn es Chenier
versagt war, durch das Drama, das erst 33 Jahre nach seinem Tode aufge¬
führt werden konnte, seinen alten Ruhm aufzufrischen, so gelang ihm das um
so vollständiger durch die Epistel an Voltaire, unzweifelhaft sein Meisterstück.
Schon in dem Stil spricht sich die volle Reife eines Talents aus, das durch
gründliche Studien feinen Geschmack berichtigt hat. Feinheit und Kraft haben
sich harmonisch durchdrungen. Ein concentrirter Haß gegen die Willkürherr-
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