Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

DaS war noch unter Robespierres Herrschaft geschrieben. Unmittelbar
nach seinem Sturz begrüßte Joseph Chvnier die aufgehende Sonne mit den
Worten:


DislZ cri"in8 plus et'ÜLluiror I"z triompbo ach orimes,
1?u poux remnnter nisus les eikux! ....
pu moins sur vos tombe"ux I" plaintlvc! p"tria
nos pleurs unter" "es plvurs.

Sein Ansehn stieg während dieser Tage wieder sehr bedeutend. Auch
jetzt noch verleitete ihn sein sanguinisches Temperament öfters zu unkluger
Parteinahme, und seine Eitelkeit spielte ihm manchen schlimmen Streich, aber
im praktischen Leben wandte er seinen Einfluß durchweg zum Guten an, und
viele Unterdrückte konnten seine Hilfe rühmen. Ein allgemeiner Sturm der
Presse brach gegen ihn los, als er sich zum Berichterstatter des Gesetzes her¬
gab, welches jede Schmähung der Volksrepräsentanten untersagte. Der Ubbo
Morellet eröffnete den Reigen, er leitete aus dem Stoff des Timoleon die
Beschuldigung des Brudermordes gegen den Dichter her. Die andern Jour¬
nale stimmten ein, am lautesten Michaud in der Quotidienne, die er täglich
mit der Frage eröffnete: Kam, was hast du mit deinem Bruder gethan? Man
fühlt sich um so mehr empört, wenn man weiß, daß diese ebenso absurde als
schändliche Verleumdung von ihren Urhebern selber nicht geglaubt wurde; wie
es mit einer Verleumdung zu gehen Pflegt, man hat auch später daran ge¬
glaubt, und es ist dadurch ein Fleck auf das Leben des Dichters gefallen, den
er nicht verdient hat.

Für Chönier wurden diese Angriffe insofern ein Gewinn, als sie ihn zu
einer Gattung der Poesie veranlaßten, in der sein Talent sich mit völliger
Freiheit entfalten konnte. Zwei Satiren, die er in dieser Zeit schrieb, die
Epistel über die Verleumdung, und der Doctor Pancrace, bezeichnen einen
wesentlichen Fortschritt in der französischen Dichtung. Es herrscht darin ein
fester, kühner und männlicher Ton, und die Sprache hat einen lebendigen
Fluß, der sehr vortheilhaft gegen die übrigen Dichter jener Zeit absticht. Wenn
die Ausdrücke zuweilen stark sind, so kann man es dem schwer gekränkten
Dichter verzeihen, und es war in gewisser Beziehung für den poetischen Stil
ein Gewinn, daß das bestimmte Wort an Stelle der Umschreibungen trat.

Der erste Konsul ließ es sich angelegen sein, den Dichter zu gewinnen;
er empfahl ihn für die Akademie und gab ihm eine Stelle. Aber der Dichter
konnte seine alten liberalen Sympathien nicht verleugnen, er schloß sich offen
der Opposition an und wurde 1802 gemeinschaftlich mit Daunlou und Ben¬
jamin Constant aus dem Tribunal ausgestoßen. So schied er, erst 37 Jahr
alt, aus dem politischen Leben. Er hatte an dem leichtsinnigen Leben aus
der Zeit des Directoriums einen lebhaften und erfolgreichen Antheil genommen


DaS war noch unter Robespierres Herrschaft geschrieben. Unmittelbar
nach seinem Sturz begrüßte Joseph Chvnier die aufgehende Sonne mit den
Worten:


DislZ cri»in8 plus et'ÜLluiror I«z triompbo ach orimes,
1?u poux remnnter nisus les eikux! ....
pu moins sur vos tombe»ux I» plaintlvc! p»tria
nos pleurs unter» «es plvurs.

Sein Ansehn stieg während dieser Tage wieder sehr bedeutend. Auch
jetzt noch verleitete ihn sein sanguinisches Temperament öfters zu unkluger
Parteinahme, und seine Eitelkeit spielte ihm manchen schlimmen Streich, aber
im praktischen Leben wandte er seinen Einfluß durchweg zum Guten an, und
viele Unterdrückte konnten seine Hilfe rühmen. Ein allgemeiner Sturm der
Presse brach gegen ihn los, als er sich zum Berichterstatter des Gesetzes her¬
gab, welches jede Schmähung der Volksrepräsentanten untersagte. Der Ubbo
Morellet eröffnete den Reigen, er leitete aus dem Stoff des Timoleon die
Beschuldigung des Brudermordes gegen den Dichter her. Die andern Jour¬
nale stimmten ein, am lautesten Michaud in der Quotidienne, die er täglich
mit der Frage eröffnete: Kam, was hast du mit deinem Bruder gethan? Man
fühlt sich um so mehr empört, wenn man weiß, daß diese ebenso absurde als
schändliche Verleumdung von ihren Urhebern selber nicht geglaubt wurde; wie
es mit einer Verleumdung zu gehen Pflegt, man hat auch später daran ge¬
glaubt, und es ist dadurch ein Fleck auf das Leben des Dichters gefallen, den
er nicht verdient hat.

Für Chönier wurden diese Angriffe insofern ein Gewinn, als sie ihn zu
einer Gattung der Poesie veranlaßten, in der sein Talent sich mit völliger
Freiheit entfalten konnte. Zwei Satiren, die er in dieser Zeit schrieb, die
Epistel über die Verleumdung, und der Doctor Pancrace, bezeichnen einen
wesentlichen Fortschritt in der französischen Dichtung. Es herrscht darin ein
fester, kühner und männlicher Ton, und die Sprache hat einen lebendigen
Fluß, der sehr vortheilhaft gegen die übrigen Dichter jener Zeit absticht. Wenn
die Ausdrücke zuweilen stark sind, so kann man es dem schwer gekränkten
Dichter verzeihen, und es war in gewisser Beziehung für den poetischen Stil
ein Gewinn, daß das bestimmte Wort an Stelle der Umschreibungen trat.

Der erste Konsul ließ es sich angelegen sein, den Dichter zu gewinnen;
er empfahl ihn für die Akademie und gab ihm eine Stelle. Aber der Dichter
konnte seine alten liberalen Sympathien nicht verleugnen, er schloß sich offen
der Opposition an und wurde 1802 gemeinschaftlich mit Daunlou und Ben¬
jamin Constant aus dem Tribunal ausgestoßen. So schied er, erst 37 Jahr
alt, aus dem politischen Leben. Er hatte an dem leichtsinnigen Leben aus
der Zeit des Directoriums einen lebhaften und erfolgreichen Antheil genommen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103861"/>
          <p xml:id="ID_577"> DaS war noch unter Robespierres Herrschaft geschrieben. Unmittelbar<lb/>
nach seinem Sturz begrüßte Joseph Chvnier die aufgehende Sonne mit den<lb/>
Worten:</p><lb/>
          <quote> DislZ cri»in8 plus et'ÜLluiror I«z triompbo ach orimes,<lb/>
1?u poux remnnter nisus les eikux! ....<lb/>
pu moins sur vos tombe»ux I» plaintlvc! p»tria<lb/>
nos pleurs unter» «es plvurs.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_578"> Sein Ansehn stieg während dieser Tage wieder sehr bedeutend. Auch<lb/>
jetzt noch verleitete ihn sein sanguinisches Temperament öfters zu unkluger<lb/>
Parteinahme, und seine Eitelkeit spielte ihm manchen schlimmen Streich, aber<lb/>
im praktischen Leben wandte er seinen Einfluß durchweg zum Guten an, und<lb/>
viele Unterdrückte konnten seine Hilfe rühmen. Ein allgemeiner Sturm der<lb/>
Presse brach gegen ihn los, als er sich zum Berichterstatter des Gesetzes her¬<lb/>
gab, welches jede Schmähung der Volksrepräsentanten untersagte. Der Ubbo<lb/>
Morellet eröffnete den Reigen, er leitete aus dem Stoff des Timoleon die<lb/>
Beschuldigung des Brudermordes gegen den Dichter her. Die andern Jour¬<lb/>
nale stimmten ein, am lautesten Michaud in der Quotidienne, die er täglich<lb/>
mit der Frage eröffnete: Kam, was hast du mit deinem Bruder gethan? Man<lb/>
fühlt sich um so mehr empört, wenn man weiß, daß diese ebenso absurde als<lb/>
schändliche Verleumdung von ihren Urhebern selber nicht geglaubt wurde; wie<lb/>
es mit einer Verleumdung zu gehen Pflegt, man hat auch später daran ge¬<lb/>
glaubt, und es ist dadurch ein Fleck auf das Leben des Dichters gefallen, den<lb/>
er nicht verdient hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_579"> Für Chönier wurden diese Angriffe insofern ein Gewinn, als sie ihn zu<lb/>
einer Gattung der Poesie veranlaßten, in der sein Talent sich mit völliger<lb/>
Freiheit entfalten konnte. Zwei Satiren, die er in dieser Zeit schrieb, die<lb/>
Epistel über die Verleumdung, und der Doctor Pancrace, bezeichnen einen<lb/>
wesentlichen Fortschritt in der französischen Dichtung. Es herrscht darin ein<lb/>
fester, kühner und männlicher Ton, und die Sprache hat einen lebendigen<lb/>
Fluß, der sehr vortheilhaft gegen die übrigen Dichter jener Zeit absticht. Wenn<lb/>
die Ausdrücke zuweilen stark sind, so kann man es dem schwer gekränkten<lb/>
Dichter verzeihen, und es war in gewisser Beziehung für den poetischen Stil<lb/>
ein Gewinn, daß das bestimmte Wort an Stelle der Umschreibungen trat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_580" next="#ID_581"> Der erste Konsul ließ es sich angelegen sein, den Dichter zu gewinnen;<lb/>
er empfahl ihn für die Akademie und gab ihm eine Stelle. Aber der Dichter<lb/>
konnte seine alten liberalen Sympathien nicht verleugnen, er schloß sich offen<lb/>
der Opposition an und wurde 1802 gemeinschaftlich mit Daunlou und Ben¬<lb/>
jamin Constant aus dem Tribunal ausgestoßen. So schied er, erst 37 Jahr<lb/>
alt, aus dem politischen Leben. Er hatte an dem leichtsinnigen Leben aus<lb/>
der Zeit des Directoriums einen lebhaften und erfolgreichen Antheil genommen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] DaS war noch unter Robespierres Herrschaft geschrieben. Unmittelbar nach seinem Sturz begrüßte Joseph Chvnier die aufgehende Sonne mit den Worten: DislZ cri»in8 plus et'ÜLluiror I«z triompbo ach orimes, 1?u poux remnnter nisus les eikux! .... pu moins sur vos tombe»ux I» plaintlvc! p»tria nos pleurs unter» «es plvurs. Sein Ansehn stieg während dieser Tage wieder sehr bedeutend. Auch jetzt noch verleitete ihn sein sanguinisches Temperament öfters zu unkluger Parteinahme, und seine Eitelkeit spielte ihm manchen schlimmen Streich, aber im praktischen Leben wandte er seinen Einfluß durchweg zum Guten an, und viele Unterdrückte konnten seine Hilfe rühmen. Ein allgemeiner Sturm der Presse brach gegen ihn los, als er sich zum Berichterstatter des Gesetzes her¬ gab, welches jede Schmähung der Volksrepräsentanten untersagte. Der Ubbo Morellet eröffnete den Reigen, er leitete aus dem Stoff des Timoleon die Beschuldigung des Brudermordes gegen den Dichter her. Die andern Jour¬ nale stimmten ein, am lautesten Michaud in der Quotidienne, die er täglich mit der Frage eröffnete: Kam, was hast du mit deinem Bruder gethan? Man fühlt sich um so mehr empört, wenn man weiß, daß diese ebenso absurde als schändliche Verleumdung von ihren Urhebern selber nicht geglaubt wurde; wie es mit einer Verleumdung zu gehen Pflegt, man hat auch später daran ge¬ glaubt, und es ist dadurch ein Fleck auf das Leben des Dichters gefallen, den er nicht verdient hat. Für Chönier wurden diese Angriffe insofern ein Gewinn, als sie ihn zu einer Gattung der Poesie veranlaßten, in der sein Talent sich mit völliger Freiheit entfalten konnte. Zwei Satiren, die er in dieser Zeit schrieb, die Epistel über die Verleumdung, und der Doctor Pancrace, bezeichnen einen wesentlichen Fortschritt in der französischen Dichtung. Es herrscht darin ein fester, kühner und männlicher Ton, und die Sprache hat einen lebendigen Fluß, der sehr vortheilhaft gegen die übrigen Dichter jener Zeit absticht. Wenn die Ausdrücke zuweilen stark sind, so kann man es dem schwer gekränkten Dichter verzeihen, und es war in gewisser Beziehung für den poetischen Stil ein Gewinn, daß das bestimmte Wort an Stelle der Umschreibungen trat. Der erste Konsul ließ es sich angelegen sein, den Dichter zu gewinnen; er empfahl ihn für die Akademie und gab ihm eine Stelle. Aber der Dichter konnte seine alten liberalen Sympathien nicht verleugnen, er schloß sich offen der Opposition an und wurde 1802 gemeinschaftlich mit Daunlou und Ben¬ jamin Constant aus dem Tribunal ausgestoßen. So schied er, erst 37 Jahr alt, aus dem politischen Leben. Er hatte an dem leichtsinnigen Leben aus der Zeit des Directoriums einen lebhaften und erfolgreichen Antheil genommen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/194>, abgerufen am 28.07.2024.