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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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fielen. Bei dieser Gelegenheit hatte der Hof seine Empfindlichkeit schwer gekränkt,
er hörte seitdem auf, den adligen Titel zu gebrauchen, und schloß sich mehr und
mehr der Partei der Philosophen an. Ohne in der Sicherheit seines Selbstgefühls
erschüttert zu sein, schwieg er doch eine Zeitlang und wandte diese Muße an, sich
im Umgang mit Künstlern, namentlich mit David und Le Sueur, weiter auszu¬
bilden. Der von Rivarol herausgegebene ?edle ^Imanacd 6s nos Krancls
Iwmmss bedachte ihn 1788 mit einigen Geißelhieben. Der reizbare Dichter
erwiderte mit einer Satire, in welcher der Zorn zu groß war, um den Witz
auskommen zu lassen. So war seine literarische Stellung im Beginn der Re¬
volution. Er hatte zwei Stücke, Heinrich VIII. und Karl IX., dem Theater
übergeben, schon während des Kriegs mit dem Parlament im Sommer 1788.
Der Hof hatte sich den Figaro, ein echt revolutionäres Stück, nicht blos ge¬
fallen lassen, sondern sich lebhaft dafür interessirt, weil er im Grunde über
die alte Sittlichkeit ebenso frivol dachte, wie seine Gegner. Aber eine leiden¬
schaftliche Declamation gegen das Königthum konnte er nicht zugeben. Die
Censur hemmte die Aufführung der beiden Stücke, und die leidenschaftlichen
Flugschriften, an denen es der Dichter nicht fehlen ließ, fruchteten für den
Augenblick nichts, obgleich sie die Aufmerksamkeit deS Publicums rege machten.
Schon war die Bastille erstürmt, als am 19. August 1789 ein schlechtes Stück
von Fontanelle, die Bestalin, aufgeführt wurde, welches nur darum nicht duch-
fiel, weil hier zum ersten Mal im Widerspruch gegen die polizeilichen Verord¬
nungen Nonnen auf die Bühne gebracht wurden. Während der Ausführung
regnete es plötzlich Placate, in denen das Theater zur Rechenschaft gezogen
wurde, daß es dem Roll so lange die freisinnige Tragödie Karl IX. vorenthalte;
die Placate waren augenscheinlich von Chvnier selbst. Nach Beendigung
des Stücks erhob sich unter allgemeinem Stillschweigen ein Unbekannter und
wiederholte mit Stentorstimme an die Schauspieler die Frage deS Placats.
Der Unbekannte war Danton, seine Begleiter Fabre d'Eglantine, und Collot
d'Herbois. In einer ungewöhnlichen Aufregung ging das Publicum aus-
einander. Die Municipalität zögerte, namentlich Bailly war nicht gemeint,
das Verbot zurückzunehmen, aber die Aufregung wurde immer größer, und das
Stück wurde endlich am 4. November wirklich aufgeführt. Noch nie hatte man
einen so ungeheuern Beifallssturm gesehen. Mirabeau, der mit enthusiastischem
Bravo empfangen wurde, gab regelmäßig das Signal dazu, und bei den
Versen:


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8'6ore"ulerorU un ^our sous tlos onus jz6n6r"ZU8L5 . . .

erhob sich beifalljauchzend das gesammte Publicum und ließ sie sich wieder¬
holen, wie man es mit einer beliebten Arie zu thun pflegte. Talma trat hier
zum ersten Mal in einer Hauptrolle aus. Sein blasses Gesicht erinnerte zur


fielen. Bei dieser Gelegenheit hatte der Hof seine Empfindlichkeit schwer gekränkt,
er hörte seitdem auf, den adligen Titel zu gebrauchen, und schloß sich mehr und
mehr der Partei der Philosophen an. Ohne in der Sicherheit seines Selbstgefühls
erschüttert zu sein, schwieg er doch eine Zeitlang und wandte diese Muße an, sich
im Umgang mit Künstlern, namentlich mit David und Le Sueur, weiter auszu¬
bilden. Der von Rivarol herausgegebene ?edle ^Imanacd 6s nos Krancls
Iwmmss bedachte ihn 1788 mit einigen Geißelhieben. Der reizbare Dichter
erwiderte mit einer Satire, in welcher der Zorn zu groß war, um den Witz
auskommen zu lassen. So war seine literarische Stellung im Beginn der Re¬
volution. Er hatte zwei Stücke, Heinrich VIII. und Karl IX., dem Theater
übergeben, schon während des Kriegs mit dem Parlament im Sommer 1788.
Der Hof hatte sich den Figaro, ein echt revolutionäres Stück, nicht blos ge¬
fallen lassen, sondern sich lebhaft dafür interessirt, weil er im Grunde über
die alte Sittlichkeit ebenso frivol dachte, wie seine Gegner. Aber eine leiden¬
schaftliche Declamation gegen das Königthum konnte er nicht zugeben. Die
Censur hemmte die Aufführung der beiden Stücke, und die leidenschaftlichen
Flugschriften, an denen es der Dichter nicht fehlen ließ, fruchteten für den
Augenblick nichts, obgleich sie die Aufmerksamkeit deS Publicums rege machten.
Schon war die Bastille erstürmt, als am 19. August 1789 ein schlechtes Stück
von Fontanelle, die Bestalin, aufgeführt wurde, welches nur darum nicht duch-
fiel, weil hier zum ersten Mal im Widerspruch gegen die polizeilichen Verord¬
nungen Nonnen auf die Bühne gebracht wurden. Während der Ausführung
regnete es plötzlich Placate, in denen das Theater zur Rechenschaft gezogen
wurde, daß es dem Roll so lange die freisinnige Tragödie Karl IX. vorenthalte;
die Placate waren augenscheinlich von Chvnier selbst. Nach Beendigung
des Stücks erhob sich unter allgemeinem Stillschweigen ein Unbekannter und
wiederholte mit Stentorstimme an die Schauspieler die Frage deS Placats.
Der Unbekannte war Danton, seine Begleiter Fabre d'Eglantine, und Collot
d'Herbois. In einer ungewöhnlichen Aufregung ging das Publicum aus-
einander. Die Municipalität zögerte, namentlich Bailly war nicht gemeint,
das Verbot zurückzunehmen, aber die Aufregung wurde immer größer, und das
Stück wurde endlich am 4. November wirklich aufgeführt. Noch nie hatte man
einen so ungeheuern Beifallssturm gesehen. Mirabeau, der mit enthusiastischem
Bravo empfangen wurde, gab regelmäßig das Signal dazu, und bei den
Versen:


6es tomIiLuux clef vio-ins, vos da-ttillLS »slreusos,
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erhob sich beifalljauchzend das gesammte Publicum und ließ sie sich wieder¬
holen, wie man es mit einer beliebten Arie zu thun pflegte. Talma trat hier
zum ersten Mal in einer Hauptrolle aus. Sein blasses Gesicht erinnerte zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/186>, abgerufen am 28.07.2024.