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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Entdeckungen gemacht, die bisher allen fremd gewesen, vielleicht halt er die
Fäden einer europäischen Verschwörung in seiner Hand; wehe dann dem Ca-
tilina, der die Beredtsamkeit dieses Cicero zermalmen will! Die Depesche kann
nur auf Rußlands Rath und im russischen Interesse geschrieben sein, ein dä¬
nischer Minister des Auswärtigen aber nicht tiefer herabsinken als -- zum
Apostel Rußlands!

Die vollste Aufmerksamkeit verdienen zum Schlüsse die Betrachtungen der
französischen la Presse vom A7. v. M., deren Verfasser, der früher schon genannte
Charles Edmond, mit Freuden in der diplomatischen Widerlegung der skandi¬
navischen Auslassungen die Wichtigkeit und das Zeitgemäße der Frage er¬
kennt, die nunmehr vor ein europäisches Tribunal gestellt worden; mehr lasse
sich nicht verlangen; die Hälfte der Aufgabe ist erfüllt, die Zeit und die Logik
der Thatsachen wird den Rest bringen.

Während ganz Europa, sagt v. Scheel, sich der Hoffnung auf einen
dauernden Frieden hingibt, steht Dänemark, welches keinen Schuß gelöst hat,
sich einem Kampfe ausgesetzt mit den Cabineten von Wien und Berlin von
außen, und mit den Agitationen der skandinavischen Partei von innen.

Es ist dies wahr! unbequem allerdings, aber unvermeidlich; dem unab¬
hängigen Dänen muß die Einmischung des deutschen Bundes ärgerlich sein,
der holsteinische Minister muß mit allen Kräften für die Größe deS Bundes
wirken, sollte sein Streben auch mit Dänemarks Untergang enden. Zweien
Herren dienen, die eisersüchtig aufeinander sind, ist eine Aufgabe, die unter
allen Umständen nur zu traurigen Resultaten führen kann. Seid warm oder
kalt, sagt Paulus in seinen Briefen an die Heiden, aber er verbietet auch lau
ZU sein; in der gegenwärtigen Situation kann ein leitender Minister in Kopen¬
hagen nur ein lauer Däne und ein lauer Deutscher sein. -- Indessen v. Scheel
fürchtet weniger Preußen und Oestreich, als die Skandinavier, wiewol ihre
Idee nur poetisch und als solche ungefährlich ist. Wahrhaftig, steht die
Sache so, dann bleibt eS unbegreiflich, warum ein Minister des Auswärtigen
ganz Europa herbeigerufen hat, um ihn in die Schranken treten zu sehen gegen
die Hirngespinnste einiger träumerischer und für poetische Phantasmagorien
begeisterter Studenten; hätte man doch lieber der Jugend ihre schuldlosen
Spielereien überlassen sollen. -- Aber so ist es nicht, nein, v. Scheel wußte
sehr wohl, waS er that; das Gebiet der skandinavischen Frage beginnt zu bren¬
nen! Was bisher für Irrwische gehalten wurde, ist das erste Zeichen zu einem
großen Brande, der auSzubr'enden droht, wenn nicht bei Zeiten vorgebeugt
wird. v. Scheel handelt als ein kluger Minister, ein scharfsichtiger Staats¬
mann; er wägt in seinem stillen Sinn die Bedeutung der skandinavischen
Idee; er'betrachtet sie als ein Uebel und hat als holsteinischer Minister hierin
vollkommen Recht; aber er glaubt, um das Uebel zu heilen, reiche es hin, es


Entdeckungen gemacht, die bisher allen fremd gewesen, vielleicht halt er die
Fäden einer europäischen Verschwörung in seiner Hand; wehe dann dem Ca-
tilina, der die Beredtsamkeit dieses Cicero zermalmen will! Die Depesche kann
nur auf Rußlands Rath und im russischen Interesse geschrieben sein, ein dä¬
nischer Minister des Auswärtigen aber nicht tiefer herabsinken als — zum
Apostel Rußlands!

Die vollste Aufmerksamkeit verdienen zum Schlüsse die Betrachtungen der
französischen la Presse vom A7. v. M., deren Verfasser, der früher schon genannte
Charles Edmond, mit Freuden in der diplomatischen Widerlegung der skandi¬
navischen Auslassungen die Wichtigkeit und das Zeitgemäße der Frage er¬
kennt, die nunmehr vor ein europäisches Tribunal gestellt worden; mehr lasse
sich nicht verlangen; die Hälfte der Aufgabe ist erfüllt, die Zeit und die Logik
der Thatsachen wird den Rest bringen.

Während ganz Europa, sagt v. Scheel, sich der Hoffnung auf einen
dauernden Frieden hingibt, steht Dänemark, welches keinen Schuß gelöst hat,
sich einem Kampfe ausgesetzt mit den Cabineten von Wien und Berlin von
außen, und mit den Agitationen der skandinavischen Partei von innen.

Es ist dies wahr! unbequem allerdings, aber unvermeidlich; dem unab¬
hängigen Dänen muß die Einmischung des deutschen Bundes ärgerlich sein,
der holsteinische Minister muß mit allen Kräften für die Größe deS Bundes
wirken, sollte sein Streben auch mit Dänemarks Untergang enden. Zweien
Herren dienen, die eisersüchtig aufeinander sind, ist eine Aufgabe, die unter
allen Umständen nur zu traurigen Resultaten führen kann. Seid warm oder
kalt, sagt Paulus in seinen Briefen an die Heiden, aber er verbietet auch lau
ZU sein; in der gegenwärtigen Situation kann ein leitender Minister in Kopen¬
hagen nur ein lauer Däne und ein lauer Deutscher sein. — Indessen v. Scheel
fürchtet weniger Preußen und Oestreich, als die Skandinavier, wiewol ihre
Idee nur poetisch und als solche ungefährlich ist. Wahrhaftig, steht die
Sache so, dann bleibt eS unbegreiflich, warum ein Minister des Auswärtigen
ganz Europa herbeigerufen hat, um ihn in die Schranken treten zu sehen gegen
die Hirngespinnste einiger träumerischer und für poetische Phantasmagorien
begeisterter Studenten; hätte man doch lieber der Jugend ihre schuldlosen
Spielereien überlassen sollen. — Aber so ist es nicht, nein, v. Scheel wußte
sehr wohl, waS er that; das Gebiet der skandinavischen Frage beginnt zu bren¬
nen! Was bisher für Irrwische gehalten wurde, ist das erste Zeichen zu einem
großen Brande, der auSzubr'enden droht, wenn nicht bei Zeiten vorgebeugt
wird. v. Scheel handelt als ein kluger Minister, ein scharfsichtiger Staats¬
mann; er wägt in seinem stillen Sinn die Bedeutung der skandinavischen
Idee; er'betrachtet sie als ein Uebel und hat als holsteinischer Minister hierin
vollkommen Recht; aber er glaubt, um das Uebel zu heilen, reiche es hin, es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/181>, abgerufen am 28.07.2024.