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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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solche Verwirrung und Noth vorstellen kann, daß die Mächte des londoner
Tractats eine andere Ordnung der staatsrechtlichen und dynastischen Verhält¬
nisse für unerläßlich erachten mögen; in solchem Falle wird dann der soge¬
nannte Legitimitätsanspruch zurückweichen und mit einer billigen Entschädigung
sich zufrieden geben; denn die Staaten .sind keine Stammgüter zur Versorgung
fürstlicher Geschlechter, sondern Vereine vernünftiger Menschen und freier Bürger;
die Existenz des Ganzen steht über den Gerechtsamen einzelner Geschlechter und
einzelner Personen. (Der Protokollprinz soll sich selbst schon mit dem Gedanken
einer Abfindung in Lauenburg vertraut.machen.) Die "zahllosen nationalen
Verschiedenheiten" -- ist es möglich, daß v. Scheel eine blutigere Satire über sein
eignes Werk, den Gesammtstaat hätte schreiben können! Die drei nordischen
Reiche, in deren Verfassungen das Recht der Selbstbesteuerung und der Ge¬
setzgebung überall durchgeführt, sollten wegen der Verschiedenheit der Reprä¬
sentation in Schweden und in Dänemark, nicht in ein Unionsverhältniß zu¬
sammentreten können, unter Bewahrung ihrer vollen innern Selbstständigkeit,
während der dänische Gesammtstaat aus ständischen Versammlungen nach deut¬
schem Muster ohne Steuerbewilligungsrecht sich gründet, ohne Initiative, ohne
persönliche Rechte, daneben das dänische Grundgesetz steht, und über diesem
allen eine gemeinsame Verfassung, die aus Schachbretern nach beiden Mustern
componirt worden! und der Mann, der dieses constitutionelle Bündel selbst
mit gemacht hat, der davon spricht, als sei es ein Werk für die Ewigkeit, der
tritt auf und leugnet die Möglichkeit einer skandinavischen Union sür Schwe¬
den und Dänemark, obschon er sieht, daß eine gleiche, mit nicht geringeren
Verschiedenheiten, bereits 40 Jahre zwischen Schweden und Norwegen im
festen Bestände sich befindet! Grade jetzt, wo Dänemark ebenso verlassen da¬
stehen wird, wie 1848, wenn Deutschland seine Drohungen wahr macht, stößt
v. Scheel eine defensive nordische Allianz von sich! kennt er denn den Aus¬
fall des gegenwärtigen Conflicts? Während die Völker in immer größerer Ein¬
tracht miteinander gehen, streut der Minister des Auswärtigen den Samen des
Mißtrauens und der Zwietracht aus! der Pinneberger Volksredner geht noch
weiter, er gibt den nordischen Königen, die sich noch neuerdings beide aufs
wärmste für die Union ausgesprochen, eine recht derbe Nase; ist v. Scheel,
der in le Nord als ein großer Staatsmann gepriesen wird, mit einer so kolossa¬
len Phantasie behaftet, mit solcher Blindheit geschlagen, daß er alles Ernstes
an die Haltbarkeit des dänischen GesammtstaatS glaubt, so mag das seine
Sache sein; er hat aber kein Recht, seinen eigenen Landesherrn und den König
von Schweden mit Tadel zu überwerfen, und es ist von keinem Nutzen, daß
er seine innere Herzensangst vor den Bösgesinnten, die der skandinavischen
Union gegen den Gesammtstaat sich bedienen, vor Europa declarirt und sein
Alpdrücken auf den Markt trägt. Indessen, wer weiß, ob nicht v. Scheel


solche Verwirrung und Noth vorstellen kann, daß die Mächte des londoner
Tractats eine andere Ordnung der staatsrechtlichen und dynastischen Verhält¬
nisse für unerläßlich erachten mögen; in solchem Falle wird dann der soge¬
nannte Legitimitätsanspruch zurückweichen und mit einer billigen Entschädigung
sich zufrieden geben; denn die Staaten .sind keine Stammgüter zur Versorgung
fürstlicher Geschlechter, sondern Vereine vernünftiger Menschen und freier Bürger;
die Existenz des Ganzen steht über den Gerechtsamen einzelner Geschlechter und
einzelner Personen. (Der Protokollprinz soll sich selbst schon mit dem Gedanken
einer Abfindung in Lauenburg vertraut.machen.) Die „zahllosen nationalen
Verschiedenheiten" — ist es möglich, daß v. Scheel eine blutigere Satire über sein
eignes Werk, den Gesammtstaat hätte schreiben können! Die drei nordischen
Reiche, in deren Verfassungen das Recht der Selbstbesteuerung und der Ge¬
setzgebung überall durchgeführt, sollten wegen der Verschiedenheit der Reprä¬
sentation in Schweden und in Dänemark, nicht in ein Unionsverhältniß zu¬
sammentreten können, unter Bewahrung ihrer vollen innern Selbstständigkeit,
während der dänische Gesammtstaat aus ständischen Versammlungen nach deut¬
schem Muster ohne Steuerbewilligungsrecht sich gründet, ohne Initiative, ohne
persönliche Rechte, daneben das dänische Grundgesetz steht, und über diesem
allen eine gemeinsame Verfassung, die aus Schachbretern nach beiden Mustern
componirt worden! und der Mann, der dieses constitutionelle Bündel selbst
mit gemacht hat, der davon spricht, als sei es ein Werk für die Ewigkeit, der
tritt auf und leugnet die Möglichkeit einer skandinavischen Union sür Schwe¬
den und Dänemark, obschon er sieht, daß eine gleiche, mit nicht geringeren
Verschiedenheiten, bereits 40 Jahre zwischen Schweden und Norwegen im
festen Bestände sich befindet! Grade jetzt, wo Dänemark ebenso verlassen da¬
stehen wird, wie 1848, wenn Deutschland seine Drohungen wahr macht, stößt
v. Scheel eine defensive nordische Allianz von sich! kennt er denn den Aus¬
fall des gegenwärtigen Conflicts? Während die Völker in immer größerer Ein¬
tracht miteinander gehen, streut der Minister des Auswärtigen den Samen des
Mißtrauens und der Zwietracht aus! der Pinneberger Volksredner geht noch
weiter, er gibt den nordischen Königen, die sich noch neuerdings beide aufs
wärmste für die Union ausgesprochen, eine recht derbe Nase; ist v. Scheel,
der in le Nord als ein großer Staatsmann gepriesen wird, mit einer so kolossa¬
len Phantasie behaftet, mit solcher Blindheit geschlagen, daß er alles Ernstes
an die Haltbarkeit des dänischen GesammtstaatS glaubt, so mag das seine
Sache sein; er hat aber kein Recht, seinen eigenen Landesherrn und den König
von Schweden mit Tadel zu überwerfen, und es ist von keinem Nutzen, daß
er seine innere Herzensangst vor den Bösgesinnten, die der skandinavischen
Union gegen den Gesammtstaat sich bedienen, vor Europa declarirt und sein
Alpdrücken auf den Markt trägt. Indessen, wer weiß, ob nicht v. Scheel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/180>, abgerufen am 28.07.2024.