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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Ferner wird jeder Lutheraner bestraft, der das Abendmahl nimmt, ohne zuvor
die officielle "Absolution" empfangen zu haben. Am 9. November 1853
wurde ein Bauer von Orsa, Jonsson, weil er den Pastor, während dieser
Bibelstellen erklärte, unterbrochen hatte, zu vierzehntägigem Gefängniß bei Wasser
und Brot verurtheilt und mußte dem Pastor öffentlich Abbitte thun. An dem¬
selben Tage wurde der Bauer Ersson aus Orsa zu achtundzwanzigtägigem Ge¬
fängniß bei Wasser und Brot und zu öffentlicher Ausstellung vor der versammelten
Kirchengemeinde verurtheilt, weil er das Abendmahl genommen, ohne zuvor
die Absolution erhalten zu haben, und weil er durch Unterbrechung des Pastors
den Gottesdienst gestört hatte. Aehnliche Verurtheilungen kommen in den
amtlichen Registern sehr häufig vor.

Unter diesen Umständen hat gegenwärtig der König Oskar zum Schutz
der Gewissensfreiheit dem Reichstag eine Proposition vorgelegt. Während man
mit der Redaction derselben beschäftigt war, gingen dem Könige zwei Petitio¬
nen zu, welche 1500 Unterschriften zählten und verlangten, daß der Artikel 16
der Verfassung, welcher jedem Religionsfreiheit zusichert, nicht länger durch
Strafgesetze kraftlos gemacht werde, welche dem Menschen das Recht entziehen,
Gott nach seinem Gewissen zu dienen. In der That ist die Stellung des
Königs in diesem Punkte eine höchst eigenthümliche. Als Souverän von
Norwegen hat er Gesetze zu handhaben, welche die unbeschränkteste Religions¬
freiheit feststellen, als König von Schweden hat er Gesetze zur Anwendung
Zu bringen, welche eine empörende Unduldsamkeit üben. Es heißt, der König
habe die Absicht gehabt, auch in Schweden vollkommene Religionsfreiheit ein¬
zuführen; er habe aber diese Absicht auf Andringen einiger Bischöfe und aus
Furcht vor einer unüberwindlichen Opposition in der geistlichen Kammer deS
Reichstages aufgegeben.

Die Hauptbestimmungen der dem Reichstage vorliegenden königlichen
Proposition sind nun folgende:

Art. 1. Wenn ein Glied der Kirche "unsern wahren evangelischen (luthe¬
rischen) Glauben" verläßt, ohne daß es seinem zuständigen Pfarrer gelingt,
dasselbe zurückzuführen, so muß der Ausscheidende dem Pfarrer seinen Austritt
anzeigen; wo nicht, so muß er sich dem Kirchengesetz unterwerfen.

Art. 2. Wenn ein Mitglied einer andern religiösen Consesston außer dem
Kreise seiner Gemeinde Lehren entwickelt, welche den Grundwahrheiten der
christlichen (lutherischen) Lehre zuwiderlaufen, so kann er zu einer Geldstrafe
oder zu Gefängniß verurtheilt werden; er kann jedoch nur durch den General-
Procurator des Königs vor Gericht gestellt werden.

Art. 3. Wer Proselyten macht, kann bei. der ersten Anklage zu einer
Geldstrafe von 30 bis 100 Thalern, in Wiederholungsfällen zu Gefängniß
von zwei Monaten bis zu einem Jahr verurtheilt werden. ,"


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Ferner wird jeder Lutheraner bestraft, der das Abendmahl nimmt, ohne zuvor
die officielle „Absolution" empfangen zu haben. Am 9. November 1853
wurde ein Bauer von Orsa, Jonsson, weil er den Pastor, während dieser
Bibelstellen erklärte, unterbrochen hatte, zu vierzehntägigem Gefängniß bei Wasser
und Brot verurtheilt und mußte dem Pastor öffentlich Abbitte thun. An dem¬
selben Tage wurde der Bauer Ersson aus Orsa zu achtundzwanzigtägigem Ge¬
fängniß bei Wasser und Brot und zu öffentlicher Ausstellung vor der versammelten
Kirchengemeinde verurtheilt, weil er das Abendmahl genommen, ohne zuvor
die Absolution erhalten zu haben, und weil er durch Unterbrechung des Pastors
den Gottesdienst gestört hatte. Aehnliche Verurtheilungen kommen in den
amtlichen Registern sehr häufig vor.

Unter diesen Umständen hat gegenwärtig der König Oskar zum Schutz
der Gewissensfreiheit dem Reichstag eine Proposition vorgelegt. Während man
mit der Redaction derselben beschäftigt war, gingen dem Könige zwei Petitio¬
nen zu, welche 1500 Unterschriften zählten und verlangten, daß der Artikel 16
der Verfassung, welcher jedem Religionsfreiheit zusichert, nicht länger durch
Strafgesetze kraftlos gemacht werde, welche dem Menschen das Recht entziehen,
Gott nach seinem Gewissen zu dienen. In der That ist die Stellung des
Königs in diesem Punkte eine höchst eigenthümliche. Als Souverän von
Norwegen hat er Gesetze zu handhaben, welche die unbeschränkteste Religions¬
freiheit feststellen, als König von Schweden hat er Gesetze zur Anwendung
Zu bringen, welche eine empörende Unduldsamkeit üben. Es heißt, der König
habe die Absicht gehabt, auch in Schweden vollkommene Religionsfreiheit ein¬
zuführen; er habe aber diese Absicht auf Andringen einiger Bischöfe und aus
Furcht vor einer unüberwindlichen Opposition in der geistlichen Kammer deS
Reichstages aufgegeben.

Die Hauptbestimmungen der dem Reichstage vorliegenden königlichen
Proposition sind nun folgende:

Art. 1. Wenn ein Glied der Kirche „unsern wahren evangelischen (luthe¬
rischen) Glauben" verläßt, ohne daß es seinem zuständigen Pfarrer gelingt,
dasselbe zurückzuführen, so muß der Ausscheidende dem Pfarrer seinen Austritt
anzeigen; wo nicht, so muß er sich dem Kirchengesetz unterwerfen.

Art. 2. Wenn ein Mitglied einer andern religiösen Consesston außer dem
Kreise seiner Gemeinde Lehren entwickelt, welche den Grundwahrheiten der
christlichen (lutherischen) Lehre zuwiderlaufen, so kann er zu einer Geldstrafe
oder zu Gefängniß verurtheilt werden; er kann jedoch nur durch den General-
Procurator des Königs vor Gericht gestellt werden.

Art. 3. Wer Proselyten macht, kann bei. der ersten Anklage zu einer
Geldstrafe von 30 bis 100 Thalern, in Wiederholungsfällen zu Gefängniß
von zwei Monaten bis zu einem Jahr verurtheilt werden. ,"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/163>, abgerufen am 28.07.2024.