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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Nicht minder dürftig und starr sind die theologischen Vorlesungen der Univer-
sitätsprofessoren. Keine bedeutende Individualität kann in der Theologie Platz grei¬
fen" die tyrannische Herrschaft des Symbols gestattet nur eine officielle Wissen¬
schaft. Ohne Rücksicht aus den gegenwärtigen Stand der theologischen Wissen¬
schaft werden die Grundsätze einer veralteten Orthodoxie gelehrt. Wer die
absolute Wahrheit des Symbols leugnet, wird als Rationalist verketzert. Der
Gedanke eines Fortschritts aus religiösem Gebiet erfüllt die Vertreter der Staats-
kirche mit Schrecken; in der Bildung einer christlichen Individualität sehen sie
den Untergang des officiellen Christenthums. Das Publicum seinerseits steht
unter der Herrschaft der Tradition und betrachtet die Religion als eine Sache
der Theologen von Profession oder als die populäre Form einer abstracten und
leeren Wissenschaft.

So ist die lutherische Kirche Schwedens nach außen eine Staatskirche im
vollen Sinn des Worts. Sie ist ein Werkzeug weltlicher und politischer, keines¬
wegs geistlicher und religiöser Action. Im Innern hemmt ihr starrer Dogmatis¬
mus die Ausbildung und die Thätigkeit des christlichen Bewußtseins. Ihre
Predigten sind einförmig und monoton, ihr Unterricht ist ein todter Buchstabe.
Freilich sind die Kirchen stets gefüllt; die Landleute eilen meilenweit zu den
Predigten, es ist aber auch nichts Seltenes, daß sie während der Predigt schlafen
und es war noch vor nicht langer Zeit Gebrauch, daß während des Gottesdienstes
die Küster mit langen Stöcken die Eingeschlafenen weckten- Jede kirchliche
Reform wird von der Staatskirche unterdrückt. Wer auf sein Gewissen sich
beruft, wer das Evangelium der heiligen Schrift höher stellt als das Symbol,
als das kirchliche Glaubensbekenntniß, wird als Aufrührer betrachtet.

Gleichwol zeigten sich in Schweben zu Anfang dieses Jahrhunderts reli¬
giöse Reformbewegungen. Damals neigte sich nicht blos das gebildete Publi¬
cum, sondern auch die Geistlichkeit Schwedens einem Rationalismus zu, der
auf den Ideen der französchen Encyklopädisten und auf den Theorien der
französischen Revolution beruhte. Auf den Universitäten Lund und Upsala,
selbst in den Kirchen lehrte und predigte man das neue Reich der Vernunft.
Gegen den religiösen Unglauben, der eine Folge dieser Lehren war, trat der
' berühmte Historiker Geijer in einer Schrift auf, die den Titel führte: "on
8arm oetr tätst IIppl^sninK 1 aksvönckv xü, Kelixlonen" (Von der wahren und
falschen Aufklärung in Religionssachen.) Geijer war aber keineswegs ein Ver¬
sechter der alten Orthodoxie; in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte"
forderte er eine gründliche Reform der herrschenden Theologie und Kirche. In
demselben Sinne gründete der Pastor Watkin in Stockholm eine biblische
lÄescllschast, ohne jedoch bei der ländlichen Bevölkerung, die fanatisch am alten
Glauben festhält, Anklang zu finden. Erst seit der Feier des Jubiläums der
Reformation im Jahre 1817 gewann die religiöse Reform in Schweden oder


Nicht minder dürftig und starr sind die theologischen Vorlesungen der Univer-
sitätsprofessoren. Keine bedeutende Individualität kann in der Theologie Platz grei¬
fen» die tyrannische Herrschaft des Symbols gestattet nur eine officielle Wissen¬
schaft. Ohne Rücksicht aus den gegenwärtigen Stand der theologischen Wissen¬
schaft werden die Grundsätze einer veralteten Orthodoxie gelehrt. Wer die
absolute Wahrheit des Symbols leugnet, wird als Rationalist verketzert. Der
Gedanke eines Fortschritts aus religiösem Gebiet erfüllt die Vertreter der Staats-
kirche mit Schrecken; in der Bildung einer christlichen Individualität sehen sie
den Untergang des officiellen Christenthums. Das Publicum seinerseits steht
unter der Herrschaft der Tradition und betrachtet die Religion als eine Sache
der Theologen von Profession oder als die populäre Form einer abstracten und
leeren Wissenschaft.

So ist die lutherische Kirche Schwedens nach außen eine Staatskirche im
vollen Sinn des Worts. Sie ist ein Werkzeug weltlicher und politischer, keines¬
wegs geistlicher und religiöser Action. Im Innern hemmt ihr starrer Dogmatis¬
mus die Ausbildung und die Thätigkeit des christlichen Bewußtseins. Ihre
Predigten sind einförmig und monoton, ihr Unterricht ist ein todter Buchstabe.
Freilich sind die Kirchen stets gefüllt; die Landleute eilen meilenweit zu den
Predigten, es ist aber auch nichts Seltenes, daß sie während der Predigt schlafen
und es war noch vor nicht langer Zeit Gebrauch, daß während des Gottesdienstes
die Küster mit langen Stöcken die Eingeschlafenen weckten- Jede kirchliche
Reform wird von der Staatskirche unterdrückt. Wer auf sein Gewissen sich
beruft, wer das Evangelium der heiligen Schrift höher stellt als das Symbol,
als das kirchliche Glaubensbekenntniß, wird als Aufrührer betrachtet.

Gleichwol zeigten sich in Schweben zu Anfang dieses Jahrhunderts reli¬
giöse Reformbewegungen. Damals neigte sich nicht blos das gebildete Publi¬
cum, sondern auch die Geistlichkeit Schwedens einem Rationalismus zu, der
auf den Ideen der französchen Encyklopädisten und auf den Theorien der
französischen Revolution beruhte. Auf den Universitäten Lund und Upsala,
selbst in den Kirchen lehrte und predigte man das neue Reich der Vernunft.
Gegen den religiösen Unglauben, der eine Folge dieser Lehren war, trat der
' berühmte Historiker Geijer in einer Schrift auf, die den Titel führte: „on
8arm oetr tätst IIppl^sninK 1 aksvönckv xü, Kelixlonen" (Von der wahren und
falschen Aufklärung in Religionssachen.) Geijer war aber keineswegs ein Ver¬
sechter der alten Orthodoxie; in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte"
forderte er eine gründliche Reform der herrschenden Theologie und Kirche. In
demselben Sinne gründete der Pastor Watkin in Stockholm eine biblische
lÄescllschast, ohne jedoch bei der ländlichen Bevölkerung, die fanatisch am alten
Glauben festhält, Anklang zu finden. Erst seit der Feier des Jubiläums der
Reformation im Jahre 1817 gewann die religiöse Reform in Schweden oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/160>, abgerufen am 28.07.2024.