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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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lich kein Plätzchen mehr frei bleibt. Selbst die eifrigen Billardspieler müssen
es sich gefallen lassen, innerhalb dichter um sie sich stellenden Zuschauerkreise
Zu stehen, mit anerkennendem Fußtrampeln beglückwünscht, wenn der schwere
Stoß gelungen. Und vollends an jenen Fenstern dahinten erblickt man einige
dichte Menschenknäuel, stier und stumm ihre Augen auf die mehr oder minder
geschickten Evolutionen der Schachspielerpaare gerichtet. Hier ist Beifall und
Mißfallen wie nur in einem Hoftheater aufs strengste verboten, bei Strafe
sofortigen Hamburger sehr groben Courants. Aber das Börsenläuten naht
seinem Ende und Plötzlich kehrt der ganze Menschenschwarm dem Speiselokale den
Rücken und eilt zur Börse hinan, in den vollen Ernst des Geschäftslebens hinein.

Viel inhaltschwerer für die Hamburger Kaufmannswelt ist aber die Bör¬
senhalle, in den obern Räumen des Börsengebäudes selbst. Ein vortreffliches
Geschäft für deren Pächter, da der Eintritt mit jährlichen 12 Thl. erkauft
werden muß, bietet sie für den Handelsbetrieb außerordentlich wichtige Hilfen.
Da ist zuerst das Lesezimmer, reich versehen mit deutschen Zeitungen, Zeit¬
schriften und Büchern, in dieser Beziehung indeß andere ähnliche Institute
nicht übertreffend; im Nebenzimmer dagegen findet sich eine sehr reichliche Aus¬
wahl von fremden, namentlich auch transatlantischen Zeitschriften. Ein solches
australisches oder ostindisches Blatt hat nicht blos für den Kaufmann Werth;
eS ist, wenn man es mit einiger Ausdauer zu lesen versteht, auch eine reich¬
lich fließende Fundgrube für das Verständniß jener fremden Zustände. Von
der unmittelbarsten Wichtigkeit für den Kaufmann ist dann ferner der große
Börsensaal, in welchem an jedem Morgen die eingehenden telegraphischen Be¬
ichte politischen oder commerciellen Inhalts angeschlagen, so wie sonstige wich¬
tige Nachrichten und Nachweisungen für den Handel mitgetheilt werden. Wei¬
terhin neben einem bescheidenen Filiale der zinggschen Restauration ist das
mit großen Landkarten behangene Zimmer der Afsecuradeure. Hier werden
Risikos erwogen und tarirt, Assecuranzen abgeschlossen und auch Diskonto¬
geschäfte gemacht. Dicht daneben hat der Verein für Handelsfreiheit sich ein
Zimmer gemiethet, um ein zwar recht tendenziöses, aber in neuerer Zeit ziemlich
lebloses Dasein zu führen. Als Nachbar hat es sodann das Dispachecom¬
ptoir, wo die Seeschäden regulirt und vertheilt werden. Ihm gegenüber auf der
andern Seite sind die Zimmer der Commerzdeputation, wovon später.

Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der "Börse" beginnen sich die Räume
der Börsenhalle zu füllen, namentlich der große Börsensaal und der davorlie-
gende Theil der Galerie. Hier hat das Fondsgeschäft sich seine sehr geräusch¬
volle Stätte erwählt, jene große Lotterie auf die Thorheiten und die Begehr¬
lichkeiten der Menschen. Mühelos durch ein Quart Differenz am Course reich
werden, ist zwar sehr angenehm -- aber noch viel seltener. Der FondSspecu-
lant unterscheidet sich vom Spieler nur dadurch, daß seine Karten größer an


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lich kein Plätzchen mehr frei bleibt. Selbst die eifrigen Billardspieler müssen
es sich gefallen lassen, innerhalb dichter um sie sich stellenden Zuschauerkreise
Zu stehen, mit anerkennendem Fußtrampeln beglückwünscht, wenn der schwere
Stoß gelungen. Und vollends an jenen Fenstern dahinten erblickt man einige
dichte Menschenknäuel, stier und stumm ihre Augen auf die mehr oder minder
geschickten Evolutionen der Schachspielerpaare gerichtet. Hier ist Beifall und
Mißfallen wie nur in einem Hoftheater aufs strengste verboten, bei Strafe
sofortigen Hamburger sehr groben Courants. Aber das Börsenläuten naht
seinem Ende und Plötzlich kehrt der ganze Menschenschwarm dem Speiselokale den
Rücken und eilt zur Börse hinan, in den vollen Ernst des Geschäftslebens hinein.

Viel inhaltschwerer für die Hamburger Kaufmannswelt ist aber die Bör¬
senhalle, in den obern Räumen des Börsengebäudes selbst. Ein vortreffliches
Geschäft für deren Pächter, da der Eintritt mit jährlichen 12 Thl. erkauft
werden muß, bietet sie für den Handelsbetrieb außerordentlich wichtige Hilfen.
Da ist zuerst das Lesezimmer, reich versehen mit deutschen Zeitungen, Zeit¬
schriften und Büchern, in dieser Beziehung indeß andere ähnliche Institute
nicht übertreffend; im Nebenzimmer dagegen findet sich eine sehr reichliche Aus¬
wahl von fremden, namentlich auch transatlantischen Zeitschriften. Ein solches
australisches oder ostindisches Blatt hat nicht blos für den Kaufmann Werth;
eS ist, wenn man es mit einiger Ausdauer zu lesen versteht, auch eine reich¬
lich fließende Fundgrube für das Verständniß jener fremden Zustände. Von
der unmittelbarsten Wichtigkeit für den Kaufmann ist dann ferner der große
Börsensaal, in welchem an jedem Morgen die eingehenden telegraphischen Be¬
ichte politischen oder commerciellen Inhalts angeschlagen, so wie sonstige wich¬
tige Nachrichten und Nachweisungen für den Handel mitgetheilt werden. Wei¬
terhin neben einem bescheidenen Filiale der zinggschen Restauration ist das
mit großen Landkarten behangene Zimmer der Afsecuradeure. Hier werden
Risikos erwogen und tarirt, Assecuranzen abgeschlossen und auch Diskonto¬
geschäfte gemacht. Dicht daneben hat der Verein für Handelsfreiheit sich ein
Zimmer gemiethet, um ein zwar recht tendenziöses, aber in neuerer Zeit ziemlich
lebloses Dasein zu führen. Als Nachbar hat es sodann das Dispachecom¬
ptoir, wo die Seeschäden regulirt und vertheilt werden. Ihm gegenüber auf der
andern Seite sind die Zimmer der Commerzdeputation, wovon später.

Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der „Börse" beginnen sich die Räume
der Börsenhalle zu füllen, namentlich der große Börsensaal und der davorlie-
gende Theil der Galerie. Hier hat das Fondsgeschäft sich seine sehr geräusch¬
volle Stätte erwählt, jene große Lotterie auf die Thorheiten und die Begehr¬
lichkeiten der Menschen. Mühelos durch ein Quart Differenz am Course reich
werden, ist zwar sehr angenehm — aber noch viel seltener. Der FondSspecu-
lant unterscheidet sich vom Spieler nur dadurch, daß seine Karten größer an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/155>, abgerufen am 28.07.2024.