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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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des Urtheils, die ihn vor allen Uebertreibungen bewahrt. Wenn er eine
Eigenschaft, die sonst für die künstlerische Seite der Geschichtschreibung sehr
wichtig ist, eine starke, leicht erregbare Imagination, nur in geringem Grade
besitzt, so ist er auch von den Schwächen derselben frei, er ist allen Illusionen
abhold und bleibt auch bei der stärksten Betheiligung seines Gemüths kaltblütig
genug, um Schwarz von Weiß zu unterscheiden. Wir haben früher auf den
großen Einfluß hingewiesen, den sein Lehrer Schlosser auf ihn ausgeübt hat,
aber in einem Punkt weicht er doch bedeutend von ihm ab. Schlosser ist eine
vorwiegend kritische , man möchte sagen rebellische Natur, die sich überall durch
verworrenes Gestrüpp ihren eignen Weg bahnt, weil ihr die Heerstraße zu¬
wider ist, und der es ein großes Behagen erregt, weder sie die öffentliche
Meinung recht empfindlich beleidigen kann. Hauffer, obgleich er im Ton sehr
oft an ihn erinnert, ist doch seiner Anlage wie seiner Bildung nach ein Mann
der rechten Mitte. Seine schriftstellerische Thätigkeit ist nicht aus einer Oppo¬
sition gegen die hergebrachten Vorurtheile hervorgegangen, sondern aus der
allgemeinen politischen Bewegung, die ihn trägt und die ihm den Inhalt gibt.
Es scheint zwar voreilig, über die Zeit zu urtheilen, der man selber angehört,
aber wir glauben eS doch mit Bestimmtheit aussprechen zu können, daß die
öffentliche Meinung, die wir in diesem Geschichtsw^rk vertreten finden, auch
die richtige ist. Wenn wir also Hauffer einen Parteischriftstcller nennen, so
meinen wir mit jjener Partei die ungeheure Mehrzahl aller Gebildeten, die,
durch die bittern Erfahrungen eines halben Jahrhunderts belehrt, endlich den
festen Punkt gefunden hat, von dem aus sie sich in der Vergangenheit und
Zukunft orientiren kann. Häussers Geschichte ist eine Geschichte deS deutschen
Geistes, bis zu dem Punkt, wo seine Bewegung durch äußere Einflüsse ge¬
hemmt wurde, bis zu dem Punkt, von welchem man ein Menschenalter später
wieder ausgehen mußte.

Wenn eine Partei den Kern der Nation repräsentirt, so wird es ihr nicht
schwer, an ihren Gegnern Gerechtigkeit auszuüben. Hauffer geht durchweg
von dem ehrlichen Bestreben aus, bei jedem Charakter, den er einführt, alle
Umstände in Rechnung zu bringen, die ihn anklagen, entschuldigen oder recht¬
fertigen. So fest in der Sache seine Ueberzeugung steht, so liberal ist er gegen
die Personen. Er hat hier keine vorgefaßte Meinung zu bekämpfen. Wenn
er für daS feinere Verständniß der einzelnen Seelenbewegungen nicht so em¬
pfänglich, in seiner Auffassung nicht so vielseitig ist, wie z. B. Ranke, so hat
er einen desto schärferen Sinn für das Wesentliche. Seine Porträts sind Holz¬
schnitte, aber sie sind ähnlich.

Das größte Interesse mußte natürlich der erste Band seines Werks erregen,
theils weil er eine Reihe sehr wichtiger Documente auffand, die auf jene ziem¬
lich oberflächlich behandelte Zeit ein neues überraschendes Licht warfen, -theils


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des Urtheils, die ihn vor allen Uebertreibungen bewahrt. Wenn er eine
Eigenschaft, die sonst für die künstlerische Seite der Geschichtschreibung sehr
wichtig ist, eine starke, leicht erregbare Imagination, nur in geringem Grade
besitzt, so ist er auch von den Schwächen derselben frei, er ist allen Illusionen
abhold und bleibt auch bei der stärksten Betheiligung seines Gemüths kaltblütig
genug, um Schwarz von Weiß zu unterscheiden. Wir haben früher auf den
großen Einfluß hingewiesen, den sein Lehrer Schlosser auf ihn ausgeübt hat,
aber in einem Punkt weicht er doch bedeutend von ihm ab. Schlosser ist eine
vorwiegend kritische , man möchte sagen rebellische Natur, die sich überall durch
verworrenes Gestrüpp ihren eignen Weg bahnt, weil ihr die Heerstraße zu¬
wider ist, und der es ein großes Behagen erregt, weder sie die öffentliche
Meinung recht empfindlich beleidigen kann. Hauffer, obgleich er im Ton sehr
oft an ihn erinnert, ist doch seiner Anlage wie seiner Bildung nach ein Mann
der rechten Mitte. Seine schriftstellerische Thätigkeit ist nicht aus einer Oppo¬
sition gegen die hergebrachten Vorurtheile hervorgegangen, sondern aus der
allgemeinen politischen Bewegung, die ihn trägt und die ihm den Inhalt gibt.
Es scheint zwar voreilig, über die Zeit zu urtheilen, der man selber angehört,
aber wir glauben eS doch mit Bestimmtheit aussprechen zu können, daß die
öffentliche Meinung, die wir in diesem Geschichtsw^rk vertreten finden, auch
die richtige ist. Wenn wir also Hauffer einen Parteischriftstcller nennen, so
meinen wir mit jjener Partei die ungeheure Mehrzahl aller Gebildeten, die,
durch die bittern Erfahrungen eines halben Jahrhunderts belehrt, endlich den
festen Punkt gefunden hat, von dem aus sie sich in der Vergangenheit und
Zukunft orientiren kann. Häussers Geschichte ist eine Geschichte deS deutschen
Geistes, bis zu dem Punkt, wo seine Bewegung durch äußere Einflüsse ge¬
hemmt wurde, bis zu dem Punkt, von welchem man ein Menschenalter später
wieder ausgehen mußte.

Wenn eine Partei den Kern der Nation repräsentirt, so wird es ihr nicht
schwer, an ihren Gegnern Gerechtigkeit auszuüben. Hauffer geht durchweg
von dem ehrlichen Bestreben aus, bei jedem Charakter, den er einführt, alle
Umstände in Rechnung zu bringen, die ihn anklagen, entschuldigen oder recht¬
fertigen. So fest in der Sache seine Ueberzeugung steht, so liberal ist er gegen
die Personen. Er hat hier keine vorgefaßte Meinung zu bekämpfen. Wenn
er für daS feinere Verständniß der einzelnen Seelenbewegungen nicht so em¬
pfänglich, in seiner Auffassung nicht so vielseitig ist, wie z. B. Ranke, so hat
er einen desto schärferen Sinn für das Wesentliche. Seine Porträts sind Holz¬
schnitte, aber sie sind ähnlich.

Das größte Interesse mußte natürlich der erste Band seines Werks erregen,
theils weil er eine Reihe sehr wichtiger Documente auffand, die auf jene ziem¬
lich oberflächlich behandelte Zeit ein neues überraschendes Licht warfen, -theils


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[0147] des Urtheils, die ihn vor allen Uebertreibungen bewahrt. Wenn er eine Eigenschaft, die sonst für die künstlerische Seite der Geschichtschreibung sehr wichtig ist, eine starke, leicht erregbare Imagination, nur in geringem Grade besitzt, so ist er auch von den Schwächen derselben frei, er ist allen Illusionen abhold und bleibt auch bei der stärksten Betheiligung seines Gemüths kaltblütig genug, um Schwarz von Weiß zu unterscheiden. Wir haben früher auf den großen Einfluß hingewiesen, den sein Lehrer Schlosser auf ihn ausgeübt hat, aber in einem Punkt weicht er doch bedeutend von ihm ab. Schlosser ist eine vorwiegend kritische , man möchte sagen rebellische Natur, die sich überall durch verworrenes Gestrüpp ihren eignen Weg bahnt, weil ihr die Heerstraße zu¬ wider ist, und der es ein großes Behagen erregt, weder sie die öffentliche Meinung recht empfindlich beleidigen kann. Hauffer, obgleich er im Ton sehr oft an ihn erinnert, ist doch seiner Anlage wie seiner Bildung nach ein Mann der rechten Mitte. Seine schriftstellerische Thätigkeit ist nicht aus einer Oppo¬ sition gegen die hergebrachten Vorurtheile hervorgegangen, sondern aus der allgemeinen politischen Bewegung, die ihn trägt und die ihm den Inhalt gibt. Es scheint zwar voreilig, über die Zeit zu urtheilen, der man selber angehört, aber wir glauben eS doch mit Bestimmtheit aussprechen zu können, daß die öffentliche Meinung, die wir in diesem Geschichtsw^rk vertreten finden, auch die richtige ist. Wenn wir also Hauffer einen Parteischriftstcller nennen, so meinen wir mit jjener Partei die ungeheure Mehrzahl aller Gebildeten, die, durch die bittern Erfahrungen eines halben Jahrhunderts belehrt, endlich den festen Punkt gefunden hat, von dem aus sie sich in der Vergangenheit und Zukunft orientiren kann. Häussers Geschichte ist eine Geschichte deS deutschen Geistes, bis zu dem Punkt, wo seine Bewegung durch äußere Einflüsse ge¬ hemmt wurde, bis zu dem Punkt, von welchem man ein Menschenalter später wieder ausgehen mußte. Wenn eine Partei den Kern der Nation repräsentirt, so wird es ihr nicht schwer, an ihren Gegnern Gerechtigkeit auszuüben. Hauffer geht durchweg von dem ehrlichen Bestreben aus, bei jedem Charakter, den er einführt, alle Umstände in Rechnung zu bringen, die ihn anklagen, entschuldigen oder recht¬ fertigen. So fest in der Sache seine Ueberzeugung steht, so liberal ist er gegen die Personen. Er hat hier keine vorgefaßte Meinung zu bekämpfen. Wenn er für daS feinere Verständniß der einzelnen Seelenbewegungen nicht so em¬ pfänglich, in seiner Auffassung nicht so vielseitig ist, wie z. B. Ranke, so hat er einen desto schärferen Sinn für das Wesentliche. Seine Porträts sind Holz¬ schnitte, aber sie sind ähnlich. Das größte Interesse mußte natürlich der erste Band seines Werks erregen, theils weil er eine Reihe sehr wichtiger Documente auffand, die auf jene ziem¬ lich oberflächlich behandelte Zeit ein neues überraschendes Licht warfen, -theils 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/147>, abgerufen am 01.09.2024.