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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Pantomimen, Farcen und Scenen ans Lust- und Trauerspielen aufgeführt,
Poesie und Prosa vorgelesen, Thierstimmen nachgeahmt, Seiltänzerkunststücke
gemacht, alles in der Regel von Sklaven des Hauses.

Auch der Dienst außerhalb deS Hauses war sehr umfangreich; kein an¬
gesehener oder reicher Mann zeigte sich in Rom öffentlich ganz ohne Gefolg.
Bei dem Gewühle und Getreide der Straßen war es keine bloße Convenienz,
sondern in der That eine große Annehmlichkeit, von Dienern umgeben zu sein,
die Raum schafften und im Nothfall die Ellbogen gebrauchten. Der Gebrauch
der Wagen innerhalb der Stadt war durch die Sitte ganz verpönt, und fand
mit andern orientalischen Sitten erst im dritten Jahrhundert in Rom Eingang.
Frauen bedienten sich der Sänfte, doch nicht selten auch Männer. Zum Tragen
der Sänften mußte man sechs oder acht "richtige Kerle" haben, Deutsche oder
Kleinastaten waren vorzugsweise als Träger beliebt, die man in scharlachrothe
Livreen kleidete. Wie jede Mode ins Lächerliche ausartete, so wurde eS zuletzt
Sitte, sich von vorangehenden Sklaven aufmerksam machen zu lassen, wann
irgend eine Unebenheit oder ein Anstoß auf dem Wege zu vermeiden war;
jedes Mal wenn der Weg eine Anhöhe hinaus oder einen Abhang hinabführte
(in Rom ein ziemlich häufiger Fall), mußte dies vorher stgnalisirt werden. Ein
Grieche, der Rom um die Mitte des zweiten Jahrhunderts besuchte, berichtet
diese Mode mit Erstaunen und Widerwillen. "Sie lassen sich erinnern, daß
ste gehn, und wie Blinde behandeln." Dies erinnert an die Frage: "Sitze
ich schon?" und an die Sitte, wenn man von einem Geringern begrüßt wurde,
ihn nur stumm anzublicken und jemanden aus dem Gefolge danken zu lassen.
Die Tendenz, der wir noch öfter begegnen werden, sich auch der kleinsten
Mühe so viel irgend möglich durch andre überheben zu lassen, zeigt sich hier
in ihren lächerlichsten Ertravaganzen. Der große Troß, mit dem sich die Vor¬
nehmen umgaben, konnte übrigens begreiflicherweise für andre sehr unbequem
werden, namentlich wird über die Beeinträchtigung geklagt, die man in öffent¬
lichen Bädern durch diese Sklavenscharen zu erdulden hatte. Noch viel größer
war der Train auf der Reise, zum Theil auch deshalb, weil man bei dem
Mangel an Wirthshäusern, die gesteigerten Ansprüchen genügten, alles Noth¬
wendige mit sich führen mußte. Was aber alles zu dem. Nothwendigen ge¬
rechnet wurde, mag man sich vorstellen, wenn man hört, daß auch kostbares
Tafelgeschirr, das wegen seiner Zerbrechlichkeit nicht in Wagen mitgeführt
werden konnte, von Läufern getragen werden mußte. Ein solcher Reisezug,
aus einer langen Reihe von Wagen bestehend, von Vorreitern aus der Ber¬
ber" angeführt, muß das Aussehn einer Karavane gehabt haben. Seneca
beschreibt eine Reise, die er, wie es scheint, aus Caprice, mit studirter Einfach¬
heit machte, bei welcher (man denke!) die sämmtlichen Sklaven, die ihn beglei¬
teten, auf einem einzigen Wagen Platz hatten! Freilich konnte er nicht umhin


Pantomimen, Farcen und Scenen ans Lust- und Trauerspielen aufgeführt,
Poesie und Prosa vorgelesen, Thierstimmen nachgeahmt, Seiltänzerkunststücke
gemacht, alles in der Regel von Sklaven des Hauses.

Auch der Dienst außerhalb deS Hauses war sehr umfangreich; kein an¬
gesehener oder reicher Mann zeigte sich in Rom öffentlich ganz ohne Gefolg.
Bei dem Gewühle und Getreide der Straßen war es keine bloße Convenienz,
sondern in der That eine große Annehmlichkeit, von Dienern umgeben zu sein,
die Raum schafften und im Nothfall die Ellbogen gebrauchten. Der Gebrauch
der Wagen innerhalb der Stadt war durch die Sitte ganz verpönt, und fand
mit andern orientalischen Sitten erst im dritten Jahrhundert in Rom Eingang.
Frauen bedienten sich der Sänfte, doch nicht selten auch Männer. Zum Tragen
der Sänften mußte man sechs oder acht „richtige Kerle" haben, Deutsche oder
Kleinastaten waren vorzugsweise als Träger beliebt, die man in scharlachrothe
Livreen kleidete. Wie jede Mode ins Lächerliche ausartete, so wurde eS zuletzt
Sitte, sich von vorangehenden Sklaven aufmerksam machen zu lassen, wann
irgend eine Unebenheit oder ein Anstoß auf dem Wege zu vermeiden war;
jedes Mal wenn der Weg eine Anhöhe hinaus oder einen Abhang hinabführte
(in Rom ein ziemlich häufiger Fall), mußte dies vorher stgnalisirt werden. Ein
Grieche, der Rom um die Mitte des zweiten Jahrhunderts besuchte, berichtet
diese Mode mit Erstaunen und Widerwillen. „Sie lassen sich erinnern, daß
ste gehn, und wie Blinde behandeln." Dies erinnert an die Frage: „Sitze
ich schon?" und an die Sitte, wenn man von einem Geringern begrüßt wurde,
ihn nur stumm anzublicken und jemanden aus dem Gefolge danken zu lassen.
Die Tendenz, der wir noch öfter begegnen werden, sich auch der kleinsten
Mühe so viel irgend möglich durch andre überheben zu lassen, zeigt sich hier
in ihren lächerlichsten Ertravaganzen. Der große Troß, mit dem sich die Vor¬
nehmen umgaben, konnte übrigens begreiflicherweise für andre sehr unbequem
werden, namentlich wird über die Beeinträchtigung geklagt, die man in öffent¬
lichen Bädern durch diese Sklavenscharen zu erdulden hatte. Noch viel größer
war der Train auf der Reise, zum Theil auch deshalb, weil man bei dem
Mangel an Wirthshäusern, die gesteigerten Ansprüchen genügten, alles Noth¬
wendige mit sich führen mußte. Was aber alles zu dem. Nothwendigen ge¬
rechnet wurde, mag man sich vorstellen, wenn man hört, daß auch kostbares
Tafelgeschirr, das wegen seiner Zerbrechlichkeit nicht in Wagen mitgeführt
werden konnte, von Läufern getragen werden mußte. Ein solcher Reisezug,
aus einer langen Reihe von Wagen bestehend, von Vorreitern aus der Ber¬
ber« angeführt, muß das Aussehn einer Karavane gehabt haben. Seneca
beschreibt eine Reise, die er, wie es scheint, aus Caprice, mit studirter Einfach¬
heit machte, bei welcher (man denke!) die sämmtlichen Sklaven, die ihn beglei¬
teten, auf einem einzigen Wagen Platz hatten! Freilich konnte er nicht umhin


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[0141] Pantomimen, Farcen und Scenen ans Lust- und Trauerspielen aufgeführt, Poesie und Prosa vorgelesen, Thierstimmen nachgeahmt, Seiltänzerkunststücke gemacht, alles in der Regel von Sklaven des Hauses. Auch der Dienst außerhalb deS Hauses war sehr umfangreich; kein an¬ gesehener oder reicher Mann zeigte sich in Rom öffentlich ganz ohne Gefolg. Bei dem Gewühle und Getreide der Straßen war es keine bloße Convenienz, sondern in der That eine große Annehmlichkeit, von Dienern umgeben zu sein, die Raum schafften und im Nothfall die Ellbogen gebrauchten. Der Gebrauch der Wagen innerhalb der Stadt war durch die Sitte ganz verpönt, und fand mit andern orientalischen Sitten erst im dritten Jahrhundert in Rom Eingang. Frauen bedienten sich der Sänfte, doch nicht selten auch Männer. Zum Tragen der Sänften mußte man sechs oder acht „richtige Kerle" haben, Deutsche oder Kleinastaten waren vorzugsweise als Träger beliebt, die man in scharlachrothe Livreen kleidete. Wie jede Mode ins Lächerliche ausartete, so wurde eS zuletzt Sitte, sich von vorangehenden Sklaven aufmerksam machen zu lassen, wann irgend eine Unebenheit oder ein Anstoß auf dem Wege zu vermeiden war; jedes Mal wenn der Weg eine Anhöhe hinaus oder einen Abhang hinabführte (in Rom ein ziemlich häufiger Fall), mußte dies vorher stgnalisirt werden. Ein Grieche, der Rom um die Mitte des zweiten Jahrhunderts besuchte, berichtet diese Mode mit Erstaunen und Widerwillen. „Sie lassen sich erinnern, daß ste gehn, und wie Blinde behandeln." Dies erinnert an die Frage: „Sitze ich schon?" und an die Sitte, wenn man von einem Geringern begrüßt wurde, ihn nur stumm anzublicken und jemanden aus dem Gefolge danken zu lassen. Die Tendenz, der wir noch öfter begegnen werden, sich auch der kleinsten Mühe so viel irgend möglich durch andre überheben zu lassen, zeigt sich hier in ihren lächerlichsten Ertravaganzen. Der große Troß, mit dem sich die Vor¬ nehmen umgaben, konnte übrigens begreiflicherweise für andre sehr unbequem werden, namentlich wird über die Beeinträchtigung geklagt, die man in öffent¬ lichen Bädern durch diese Sklavenscharen zu erdulden hatte. Noch viel größer war der Train auf der Reise, zum Theil auch deshalb, weil man bei dem Mangel an Wirthshäusern, die gesteigerten Ansprüchen genügten, alles Noth¬ wendige mit sich führen mußte. Was aber alles zu dem. Nothwendigen ge¬ rechnet wurde, mag man sich vorstellen, wenn man hört, daß auch kostbares Tafelgeschirr, das wegen seiner Zerbrechlichkeit nicht in Wagen mitgeführt werden konnte, von Läufern getragen werden mußte. Ein solcher Reisezug, aus einer langen Reihe von Wagen bestehend, von Vorreitern aus der Ber¬ ber« angeführt, muß das Aussehn einer Karavane gehabt haben. Seneca beschreibt eine Reise, die er, wie es scheint, aus Caprice, mit studirter Einfach¬ heit machte, bei welcher (man denke!) die sämmtlichen Sklaven, die ihn beglei¬ teten, auf einem einzigen Wagen Platz hatten! Freilich konnte er nicht umhin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/141>, abgerufen am 01.09.2024.