Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.doppelt pikant war; eS gehörte zum guten Ton, einige alerandrimsche Gamins doppelt pikant war; eS gehörte zum guten Ton, einige alerandrimsche Gamins <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103807"/> <p xml:id="ID_419" prev="#ID_418" next="#ID_420"> doppelt pikant war; eS gehörte zum guten Ton, einige alerandrimsche Gamins<lb/> bei Tafel aufwarten zu lassen, deren Espieglerie und frühreife Verdorbenheit<lb/> allerliebst gefunden wurde. Sie hatten die Freiheit, nicht nur dem Hausherrn,<lb/> sondern auch den Gästen Sottisen zu sagen, und wurden zu impertinenten<lb/> Antworten förmlich dressirt. Nach Farbe, Race und Alter waren die Pagen<lb/> in Trupps abgetheilt, unter denen ja keiner durch einen stärkern Flaum am<lb/> Kinn, durch krauseres oder gelockteres Haar von den übrigen abstechen durfte.<lb/> Schöne Knaben, in zartem Alter an der Küste Ioniens oder in Griechenland<lb/> ausgewählt und theuer bezahlt (7000 Thaler waren für solche Kinder kein un¬<lb/> gewöhnlicher Preis), in den herrschaftlichen Pageninstituten sorgfältig erzogen,<lb/> schenkten den Gästen ein, gössen ihnen schneegekühltes Wasser auf die Hände<lb/> oder kostbare Wohlgerüche auf das Haar. Die Schönheit dieser kostbaren<lb/> Ganymede wurde so ängstlich behütet, daß sie zum Beispiel auf Reisen über<lb/> Land TeigmaSken vor dem Gesicht tragen mußten, um ihren Teint keiner Gefahr<lb/> auszusetzen; als Haupterforderniß ihrer Schönheit galt eine reiche Lockenfülle,<lb/> und es gehörte zu den Raffinements des damaligen Lurus, an ihren seiden¬<lb/> weichen Haaren die Hände zu trocknen. Mit der Zartheit und Formenfülle<lb/> dieser „Blüte der kleinasiatischen Provinzen" contrastirte die sehnige Schlank¬<lb/> heit afrikanischer Wüstensohne und der untersetzte Bau säbelbeiniger Neger.<lb/> Tänzerinnen aus Cadir führten üppige Tänze auf, Chöre von Knaben und<lb/> Mädchen sangen griechische Liebeslieder, begleitet und abgelöst von der concur¬<lb/> rirenden Hauskapelle. Und neben all dieser Fülle von Schönheit, Anmuth,<lb/> Eleganz und Virtuosität mußten sich auch unglückliche Cretins, Zwerge und<lb/> andere Mißgeburten, Niesen und Niesinnen, produciren, auch diese Geschöpfe,<lb/> so wie der ganze übrige Troß waren Sklaven des Hauses. Es scheint in<lb/> Rom einen eignen Markt für solche Naturwunder gegeben zu haben, wo Lieb¬<lb/> haber eine Auswahl von „wadenlosen, krummarmigen, dreiäugigen, spatzen-<lb/> köpfigen" Individuen und ähnlichen anmuthigen Erscheinungen zum Kauf aus¬<lb/> gestellt fanden. Als Preis für einen „echten" Cretin werden einmal dreizehn¬<lb/> hundert Thaler angegeben. Augusts Enkelin, die jüngere Julia, war so glücklich<lb/> einen kleinen Kerl> nur zwei Fuß und eine Hand hoch, zu besitzen, der ihr sehr<lb/> aus Herz gewachsen war; August selbst hatte einen Widerwillen gegen solche<lb/> Raritäten. Wie verbreitet aber diese scheußliche Liebhaberei in der Kaiserzeit<lb/> war> zeigen am deutlichsten die zahllosen Nippesfigürchen aus Bronze, die<lb/> alle möglichen Verkrüppelungen und Verkrümmungen der menschlichen Gestalt<lb/> darstellen. ES ist hier nicht der Ort, alle Arten von Schauspielen, Genüssen und<lb/> Ergötzlichkeiten aufzuzählen, die bei einem großen Gastmahl den Gästen dar¬<lb/> geboten wurden, darum sei nur kurz erwähnt, daß außer den angeführten noch<lb/> die mannigfaltigsten Amüsements das Mahl würzten, deren Natur sich nach<lb/> dem Geschmack und dem Bildungsgrade des Wirths richtete. ES wurden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
doppelt pikant war; eS gehörte zum guten Ton, einige alerandrimsche Gamins
bei Tafel aufwarten zu lassen, deren Espieglerie und frühreife Verdorbenheit
allerliebst gefunden wurde. Sie hatten die Freiheit, nicht nur dem Hausherrn,
sondern auch den Gästen Sottisen zu sagen, und wurden zu impertinenten
Antworten förmlich dressirt. Nach Farbe, Race und Alter waren die Pagen
in Trupps abgetheilt, unter denen ja keiner durch einen stärkern Flaum am
Kinn, durch krauseres oder gelockteres Haar von den übrigen abstechen durfte.
Schöne Knaben, in zartem Alter an der Küste Ioniens oder in Griechenland
ausgewählt und theuer bezahlt (7000 Thaler waren für solche Kinder kein un¬
gewöhnlicher Preis), in den herrschaftlichen Pageninstituten sorgfältig erzogen,
schenkten den Gästen ein, gössen ihnen schneegekühltes Wasser auf die Hände
oder kostbare Wohlgerüche auf das Haar. Die Schönheit dieser kostbaren
Ganymede wurde so ängstlich behütet, daß sie zum Beispiel auf Reisen über
Land TeigmaSken vor dem Gesicht tragen mußten, um ihren Teint keiner Gefahr
auszusetzen; als Haupterforderniß ihrer Schönheit galt eine reiche Lockenfülle,
und es gehörte zu den Raffinements des damaligen Lurus, an ihren seiden¬
weichen Haaren die Hände zu trocknen. Mit der Zartheit und Formenfülle
dieser „Blüte der kleinasiatischen Provinzen" contrastirte die sehnige Schlank¬
heit afrikanischer Wüstensohne und der untersetzte Bau säbelbeiniger Neger.
Tänzerinnen aus Cadir führten üppige Tänze auf, Chöre von Knaben und
Mädchen sangen griechische Liebeslieder, begleitet und abgelöst von der concur¬
rirenden Hauskapelle. Und neben all dieser Fülle von Schönheit, Anmuth,
Eleganz und Virtuosität mußten sich auch unglückliche Cretins, Zwerge und
andere Mißgeburten, Niesen und Niesinnen, produciren, auch diese Geschöpfe,
so wie der ganze übrige Troß waren Sklaven des Hauses. Es scheint in
Rom einen eignen Markt für solche Naturwunder gegeben zu haben, wo Lieb¬
haber eine Auswahl von „wadenlosen, krummarmigen, dreiäugigen, spatzen-
köpfigen" Individuen und ähnlichen anmuthigen Erscheinungen zum Kauf aus¬
gestellt fanden. Als Preis für einen „echten" Cretin werden einmal dreizehn¬
hundert Thaler angegeben. Augusts Enkelin, die jüngere Julia, war so glücklich
einen kleinen Kerl> nur zwei Fuß und eine Hand hoch, zu besitzen, der ihr sehr
aus Herz gewachsen war; August selbst hatte einen Widerwillen gegen solche
Raritäten. Wie verbreitet aber diese scheußliche Liebhaberei in der Kaiserzeit
war> zeigen am deutlichsten die zahllosen Nippesfigürchen aus Bronze, die
alle möglichen Verkrüppelungen und Verkrümmungen der menschlichen Gestalt
darstellen. ES ist hier nicht der Ort, alle Arten von Schauspielen, Genüssen und
Ergötzlichkeiten aufzuzählen, die bei einem großen Gastmahl den Gästen dar¬
geboten wurden, darum sei nur kurz erwähnt, daß außer den angeführten noch
die mannigfaltigsten Amüsements das Mahl würzten, deren Natur sich nach
dem Geschmack und dem Bildungsgrade des Wirths richtete. ES wurden
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