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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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wol gar vor, wie man die Backen beim Kauen und die Beine beim Gehen
zu bewegen habe. '

Doch bei weitem am größten war das Departement der Tafel und Küche.
In der "guten alten Zeit" (über die sich die damaligen Schriftsteller, besonders
Senera und der ältere Plinius, in unermeßlichen DeclaMationen ergehn) mie¬
thete man sich einen Koch vom Speisemarkt/ wenn man ein Essen geben wollte.
Aber schon am Anfange des zweiten Jahrhunderts vor Christus war der Koch,
früher der wohlfeilste Sklav, sehr im Preise gestiegen/ und man fing an als
Kunst zu schätzen, was bisher nur als Dienst gegolten hatte. Schon in Marius'
Zeit wurde der Koch zu höherem Preise gekauft als der Gutsverwalter. DaS
Kücheuversonal wurde mit der Zeit immer umfangreicher, in der Kaiserzeit gab
eS in großen Häusern dirigirende Küchenchefs, Obcrköche, Unterköche, Kuchen¬
bäcker, Cönditoren, von denen jeder in einer andern Specialität Virtuos war,
von den Ofenheizern und andern culinarischer Parias ganz zu schweigen.
Sieht man unsre Küchen, sagt Seneca, und all die Köche zwischen so vielen
Feuern hin und herrennen, so scheint es unglaublich, daß all dieser Lärm wegen
eines einzigen Magens gemacht wird. Damals war es Mode, die Speisen
aus tragbaren Herden zu bereiten Und anrichten zu lassen, damit sie auch nicht
das Geringste von ihrer Hitze einbüßten. Andere Sklaven walteten in den
Vorrathskammern und Weinkellern, in denen die Fässer nach Ländern und
Consuln d. h. Jahrgängen geordnet waren. Ein großes Mittagessen brachte
eine gewaltige Bewegung hervor. Arrangement, Decoration und Beleuchtung
des Speisesaals besorgte ein besonders dazu angestellter Sklav, unter dessen
Leitung andre die SpeisesophaS herrichteten und die Schenktische schmückten,
während die "Einladesklaven" in der ganzen Stadt umherwanderten. Der
Vorschneider war zu seinem Beruf systematisch gebildet; eS gab Lehrer dieser
Kunst, in deren Schulen die Anfänger sich mit stumpfen Messern an hölzernen
Phantomen von Wild und Geflügel übten, und die Virtuosen verrichteten das
Geschäft pes Tranchirens mit dem Messer tändelnd in rhythmischen Bewegungen,
deren Stil sich nach der Natur des Bratens richtete ; es war ein großer Un¬
terschied, ob sie einen Hasen oder ein Huhn zerlegten, vermuthlich geschah das
erstere anclante, das zweite alle-Kikttv. Es gab auch Vorkoster, besonders am
Hof, aber sei es Zufall oder weil die Mode abkam, seit dem Anfang der Kai¬
serzeit werden sie nicht mehr erwähnt. Uebrigens war es Sitte, bei solchen
Mahlzeiten das aufwartende Personal während der Tafel zu wechseln und be¬
sonders mit einer Möglichst großen Anzahl junger schöner Pagen von verschiedenen
Nationen zu Paradiren, sie sollten nicht blos die Gäste bedienen, sondern ihnen
auch zur Augenweide und Unterhaltung gereichen. Der überreizte Geschmack
der höhern Gesellschaft fand einen ganz besondern Hautgout in dem Witze der
Alexandriner, der durch seine beißenden Pointen wie seine freche Obscönität


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wol gar vor, wie man die Backen beim Kauen und die Beine beim Gehen
zu bewegen habe. '

Doch bei weitem am größten war das Departement der Tafel und Küche.
In der „guten alten Zeit" (über die sich die damaligen Schriftsteller, besonders
Senera und der ältere Plinius, in unermeßlichen DeclaMationen ergehn) mie¬
thete man sich einen Koch vom Speisemarkt/ wenn man ein Essen geben wollte.
Aber schon am Anfange des zweiten Jahrhunderts vor Christus war der Koch,
früher der wohlfeilste Sklav, sehr im Preise gestiegen/ und man fing an als
Kunst zu schätzen, was bisher nur als Dienst gegolten hatte. Schon in Marius'
Zeit wurde der Koch zu höherem Preise gekauft als der Gutsverwalter. DaS
Kücheuversonal wurde mit der Zeit immer umfangreicher, in der Kaiserzeit gab
eS in großen Häusern dirigirende Küchenchefs, Obcrköche, Unterköche, Kuchen¬
bäcker, Cönditoren, von denen jeder in einer andern Specialität Virtuos war,
von den Ofenheizern und andern culinarischer Parias ganz zu schweigen.
Sieht man unsre Küchen, sagt Seneca, und all die Köche zwischen so vielen
Feuern hin und herrennen, so scheint es unglaublich, daß all dieser Lärm wegen
eines einzigen Magens gemacht wird. Damals war es Mode, die Speisen
aus tragbaren Herden zu bereiten Und anrichten zu lassen, damit sie auch nicht
das Geringste von ihrer Hitze einbüßten. Andere Sklaven walteten in den
Vorrathskammern und Weinkellern, in denen die Fässer nach Ländern und
Consuln d. h. Jahrgängen geordnet waren. Ein großes Mittagessen brachte
eine gewaltige Bewegung hervor. Arrangement, Decoration und Beleuchtung
des Speisesaals besorgte ein besonders dazu angestellter Sklav, unter dessen
Leitung andre die SpeisesophaS herrichteten und die Schenktische schmückten,
während die „Einladesklaven" in der ganzen Stadt umherwanderten. Der
Vorschneider war zu seinem Beruf systematisch gebildet; eS gab Lehrer dieser
Kunst, in deren Schulen die Anfänger sich mit stumpfen Messern an hölzernen
Phantomen von Wild und Geflügel übten, und die Virtuosen verrichteten das
Geschäft pes Tranchirens mit dem Messer tändelnd in rhythmischen Bewegungen,
deren Stil sich nach der Natur des Bratens richtete ; es war ein großer Un¬
terschied, ob sie einen Hasen oder ein Huhn zerlegten, vermuthlich geschah das
erstere anclante, das zweite alle-Kikttv. Es gab auch Vorkoster, besonders am
Hof, aber sei es Zufall oder weil die Mode abkam, seit dem Anfang der Kai¬
serzeit werden sie nicht mehr erwähnt. Uebrigens war es Sitte, bei solchen
Mahlzeiten das aufwartende Personal während der Tafel zu wechseln und be¬
sonders mit einer Möglichst großen Anzahl junger schöner Pagen von verschiedenen
Nationen zu Paradiren, sie sollten nicht blos die Gäste bedienen, sondern ihnen
auch zur Augenweide und Unterhaltung gereichen. Der überreizte Geschmack
der höhern Gesellschaft fand einen ganz besondern Hautgout in dem Witze der
Alexandriner, der durch seine beißenden Pointen wie seine freche Obscönität


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/139>, abgerufen am 01.09.2024.