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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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folgen kann. Die Gesinnung an sich macht weder den Dichter noch den
Politiker; an dieser unglückseligen Verblendung haben wir lange Jahre zu
tragen gehabt.

In gewissem Sinn ist eS von Prutz sehr ehrenwerth, daß die krankhafte
Eitelkeit der damaligen Genies ihn wenig oder gar nicht ergriffen hat. Er
verhielt sich gegen seine Arbeiten immer kritisch, und als er einmal nach der
Aufführung eines seiner Dramen in Berlin hervorgerufen wurde, erklärte er
selbst, er wisse sehr wohl, daß dieser Beifall nicht dem innern Verdienst deS
Stücks, sondern den darin ausgesprochenen Gesinnungen gelte. Die Bemer¬
kung an sich war richtig, aber nicht so die Nutzanwendung, denn über ein
Publicum, welches ein Theaterstück nach den politischen Stichwörtern beur¬
theilt, soll man sich nicht freuen, sondern betrüben. Prutz ging sogar noch
weiter, er glaubte auch mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten im Dienst der
Zeit stehn zu müssen. Hier konnte ihn ein sehr einfaches Beispiel seiner eig¬
nen Erfahrung belehren, daß die Gesinnung selbst für politische Streitfragen
nicht ausreicht. Nie hat ein Publicist eine bessere Sache verfochten, als
Prutz in seinem Pamphlet gegen Rüge über die Vaterlandsliebe; aber nie
ist auch eine gute Sache so ungeschickt vertheidigt worden. Prutz glaubte die
Sache durch den vollen wuchtigen Ausdruck der Gesinnung zu erledigen, der
Ausgang zeigte aber, daß auch bei der einfachsten Frage die dialektische Ge¬
wandtheit nicht zu entbehren ist. Prutz hätte durchweg an seinen Arbeiten
mehr Freude gehabt, wenn er sich überall an die Sache gehalten hatte. Ge¬
legentliche Seitenblicke beweisen nichts und entscheiden nichts.

Nun kam die Stunde, wo die ehemalige Jugend ihre Gesinnung erproben
sollte. In ihrem frühern Uebermuth hatte sie gemeint, mit ihren Ideen sogar
die feindlichen Batterien aus dem Felde zu schlagen; jetzt wurde es ihr noch
leichter gemacht, sie fand gar keine Batterien vor, sie konnte zerstören und
aufbauen nach Belieben. ES ist sehr charakteristisch für Prutz oder vielmehr
für die ganze lyrische Dichtung, die er vertrat, daß er sich 1848 und 1849
keiner Partei anschloß. Er hat damals einige Gedichte veröffentlicht, die er
diesmal, und zwar mit vollem Recht, unterdrückte, denn sie sprachen nichts
Anderes aus, als das Mißbehagen einer guten Gesinnung, die in Abstractio-
nen stehen geblieben war, daß die Dinge nicht nach Wunsch gehen wollten.
Die Geschichte jener traurigen Jahre hat uns schlagend davon überführt, daß
man mit der bloßen Gesinnung keinen Staat aufbaut, daß die bloßen Ideen
ein unbrauchbares Kriegsmaterial sind, kurz daß man sich die Sache im philo¬
sophischen Uebermuth viel zu leicht vorgestellt hatte. Von der souveränen Lyrik
ist eS freilich consequent, wenn sie infolge dessen die Hände in den Schoß
legt, über die Zerstörung ihrer Illusionen seufzt und damit indirect jenen klu¬
gen Leuten Recht gibt, die sie früher so sehr verspottete, als sie ihr bemerklich


folgen kann. Die Gesinnung an sich macht weder den Dichter noch den
Politiker; an dieser unglückseligen Verblendung haben wir lange Jahre zu
tragen gehabt.

In gewissem Sinn ist eS von Prutz sehr ehrenwerth, daß die krankhafte
Eitelkeit der damaligen Genies ihn wenig oder gar nicht ergriffen hat. Er
verhielt sich gegen seine Arbeiten immer kritisch, und als er einmal nach der
Aufführung eines seiner Dramen in Berlin hervorgerufen wurde, erklärte er
selbst, er wisse sehr wohl, daß dieser Beifall nicht dem innern Verdienst deS
Stücks, sondern den darin ausgesprochenen Gesinnungen gelte. Die Bemer¬
kung an sich war richtig, aber nicht so die Nutzanwendung, denn über ein
Publicum, welches ein Theaterstück nach den politischen Stichwörtern beur¬
theilt, soll man sich nicht freuen, sondern betrüben. Prutz ging sogar noch
weiter, er glaubte auch mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten im Dienst der
Zeit stehn zu müssen. Hier konnte ihn ein sehr einfaches Beispiel seiner eig¬
nen Erfahrung belehren, daß die Gesinnung selbst für politische Streitfragen
nicht ausreicht. Nie hat ein Publicist eine bessere Sache verfochten, als
Prutz in seinem Pamphlet gegen Rüge über die Vaterlandsliebe; aber nie
ist auch eine gute Sache so ungeschickt vertheidigt worden. Prutz glaubte die
Sache durch den vollen wuchtigen Ausdruck der Gesinnung zu erledigen, der
Ausgang zeigte aber, daß auch bei der einfachsten Frage die dialektische Ge¬
wandtheit nicht zu entbehren ist. Prutz hätte durchweg an seinen Arbeiten
mehr Freude gehabt, wenn er sich überall an die Sache gehalten hatte. Ge¬
legentliche Seitenblicke beweisen nichts und entscheiden nichts.

Nun kam die Stunde, wo die ehemalige Jugend ihre Gesinnung erproben
sollte. In ihrem frühern Uebermuth hatte sie gemeint, mit ihren Ideen sogar
die feindlichen Batterien aus dem Felde zu schlagen; jetzt wurde es ihr noch
leichter gemacht, sie fand gar keine Batterien vor, sie konnte zerstören und
aufbauen nach Belieben. ES ist sehr charakteristisch für Prutz oder vielmehr
für die ganze lyrische Dichtung, die er vertrat, daß er sich 1848 und 1849
keiner Partei anschloß. Er hat damals einige Gedichte veröffentlicht, die er
diesmal, und zwar mit vollem Recht, unterdrückte, denn sie sprachen nichts
Anderes aus, als das Mißbehagen einer guten Gesinnung, die in Abstractio-
nen stehen geblieben war, daß die Dinge nicht nach Wunsch gehen wollten.
Die Geschichte jener traurigen Jahre hat uns schlagend davon überführt, daß
man mit der bloßen Gesinnung keinen Staat aufbaut, daß die bloßen Ideen
ein unbrauchbares Kriegsmaterial sind, kurz daß man sich die Sache im philo¬
sophischen Uebermuth viel zu leicht vorgestellt hatte. Von der souveränen Lyrik
ist eS freilich consequent, wenn sie infolge dessen die Hände in den Schoß
legt, über die Zerstörung ihrer Illusionen seufzt und damit indirect jenen klu¬
gen Leuten Recht gibt, die sie früher so sehr verspottete, als sie ihr bemerklich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/13>, abgerufen am 01.09.2024.