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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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nichts, über die Bälle des Bürgerstandes und über die aristokratischen Salons,
über die Revolution und den neuen Schnitt der Manschetten, über ein pikan¬
tes Bonmot der Herzogin von So oder So und über die Politik Guizots,
über das feine Benehmen des Fürsten Metternich und über die Romane von
Paul deKock; alle diese Spielereien sind so ernsthaft behandelt, als stecke dahin¬
ter eine große Wichtigkeit. Balzac hat es in vielen seiner Romane nicht an¬
ders gemacht. Es war das der materialistische Zug der Literatur im Allge¬
meinen. Als Frau von Girardin später unter dem Titel I^etres Mri8lenru?5
diese Plaudereien mit ihrem Namen unterzeichnete, war man doch einigermaßen
betroffen, denn für eine Frau kamen wunderliche Dinge darin vor. Bei allein
Esprit mangelte ihr der richtige Takt, und daS schöne Wort, welches Goethe
im Tasso von dem Einfluß der Frauen auf die Sitte sagt, würve auf sie keine
Anwendung finden. In früheren Zeiten war der Salon (!e enoncee) ver
Mittelpunkt des französischen Geistes, in welchem die Traditionen des guten
Geschmacks gegen den Wechsel der populären Launen und Stimmungen auf¬
recht gehalten wurden. In dieser Welt entwickelte sich eine feine, geistreiche,
eindringende Kritik, die in den meisten Punkten daS Nichtige traf; eine Ver¬
bindung von Ernst und Anmuth in der Form, von Strenge und Urbanität,
die auf die Literatur sehr günstig einwirkte. Aber diese Einwirkung war an
die aristokratische Erclusivität der Salons geknüpft. Der Journalismus ist
eine demokratische Macht; er überträgt den Richterspruch an alle Welt, und
die Unbefangenheit der Epigramme und EompUmente, der Bonmots und der
M^disanee hört auf, sobald man das ganze Publicum zu Tisch einladet. Die
geistreichen Frauen des -17. und -18. Jahrhunderts hätten mit ihren Briefen
und Memoiren für die Nachwelt keinen Werth, wenn sie dieselben sofort zum
Druck bestimmt, also nach dem Geschmack der Masse zugeschnitten hätten. Die
Menge sucht im Feuilleton keinen künstlerischen Genuv, sie freut sich nicht an
den kleinen zierlichen Spielereien der guten Gesellschaft, sie sucht vor allen
Dingen nach dem Scandal; und an diesem hat es Frau von Girardin nicht
fehlen lassen. Für den allgemeinen Geschmack gibt es nichts Nachtheiligeres,
als diese Neigung des Feuilletons, unbedeutende Dinge mit ungebührlicher
Wichtigkeit zu besprechen, den Esprit auf Kosten des Gegenstandes zur Gel¬
tung zu bringen: dieser unglückselige Dilettantismus des Lebens und deS
Gedankens.

Die Resultate ihrer journalistischen Beschäftigung hat Frau von Girardin
Ipäter in einigen Lustspielen ausgebeutet, von denen ^'vcvle clef ^ournalistöi,
(>8i0) und l.act^ tartulle (-1852) einen großen Erfolg davongetragen daven.
Das letztere Stück ist in diesen Blättern ausführlich besprochen. Ohne Zweifel
einhält es viel Pikantes, und man erkennt in der Schriftstellerin die Dame
von Welt heraus; aber der Ton ist für ein leichtes Spiel zu steif, für eine


nichts, über die Bälle des Bürgerstandes und über die aristokratischen Salons,
über die Revolution und den neuen Schnitt der Manschetten, über ein pikan¬
tes Bonmot der Herzogin von So oder So und über die Politik Guizots,
über das feine Benehmen des Fürsten Metternich und über die Romane von
Paul deKock; alle diese Spielereien sind so ernsthaft behandelt, als stecke dahin¬
ter eine große Wichtigkeit. Balzac hat es in vielen seiner Romane nicht an¬
ders gemacht. Es war das der materialistische Zug der Literatur im Allge¬
meinen. Als Frau von Girardin später unter dem Titel I^etres Mri8lenru?5
diese Plaudereien mit ihrem Namen unterzeichnete, war man doch einigermaßen
betroffen, denn für eine Frau kamen wunderliche Dinge darin vor. Bei allein
Esprit mangelte ihr der richtige Takt, und daS schöne Wort, welches Goethe
im Tasso von dem Einfluß der Frauen auf die Sitte sagt, würve auf sie keine
Anwendung finden. In früheren Zeiten war der Salon (!e enoncee) ver
Mittelpunkt des französischen Geistes, in welchem die Traditionen des guten
Geschmacks gegen den Wechsel der populären Launen und Stimmungen auf¬
recht gehalten wurden. In dieser Welt entwickelte sich eine feine, geistreiche,
eindringende Kritik, die in den meisten Punkten daS Nichtige traf; eine Ver¬
bindung von Ernst und Anmuth in der Form, von Strenge und Urbanität,
die auf die Literatur sehr günstig einwirkte. Aber diese Einwirkung war an
die aristokratische Erclusivität der Salons geknüpft. Der Journalismus ist
eine demokratische Macht; er überträgt den Richterspruch an alle Welt, und
die Unbefangenheit der Epigramme und EompUmente, der Bonmots und der
M^disanee hört auf, sobald man das ganze Publicum zu Tisch einladet. Die
geistreichen Frauen des -17. und -18. Jahrhunderts hätten mit ihren Briefen
und Memoiren für die Nachwelt keinen Werth, wenn sie dieselben sofort zum
Druck bestimmt, also nach dem Geschmack der Masse zugeschnitten hätten. Die
Menge sucht im Feuilleton keinen künstlerischen Genuv, sie freut sich nicht an
den kleinen zierlichen Spielereien der guten Gesellschaft, sie sucht vor allen
Dingen nach dem Scandal; und an diesem hat es Frau von Girardin nicht
fehlen lassen. Für den allgemeinen Geschmack gibt es nichts Nachtheiligeres,
als diese Neigung des Feuilletons, unbedeutende Dinge mit ungebührlicher
Wichtigkeit zu besprechen, den Esprit auf Kosten des Gegenstandes zur Gel¬
tung zu bringen: dieser unglückselige Dilettantismus des Lebens und deS
Gedankens.

Die Resultate ihrer journalistischen Beschäftigung hat Frau von Girardin
Ipäter in einigen Lustspielen ausgebeutet, von denen ^'vcvle clef ^ournalistöi,
(>8i0) und l.act^ tartulle (-1852) einen großen Erfolg davongetragen daven.
Das letztere Stück ist in diesen Blättern ausführlich besprochen. Ohne Zweifel
einhält es viel Pikantes, und man erkennt in der Schriftstellerin die Dame
von Welt heraus; aber der Ton ist für ein leichtes Spiel zu steif, für eine


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[0111] nichts, über die Bälle des Bürgerstandes und über die aristokratischen Salons, über die Revolution und den neuen Schnitt der Manschetten, über ein pikan¬ tes Bonmot der Herzogin von So oder So und über die Politik Guizots, über das feine Benehmen des Fürsten Metternich und über die Romane von Paul deKock; alle diese Spielereien sind so ernsthaft behandelt, als stecke dahin¬ ter eine große Wichtigkeit. Balzac hat es in vielen seiner Romane nicht an¬ ders gemacht. Es war das der materialistische Zug der Literatur im Allge¬ meinen. Als Frau von Girardin später unter dem Titel I^etres Mri8lenru?5 diese Plaudereien mit ihrem Namen unterzeichnete, war man doch einigermaßen betroffen, denn für eine Frau kamen wunderliche Dinge darin vor. Bei allein Esprit mangelte ihr der richtige Takt, und daS schöne Wort, welches Goethe im Tasso von dem Einfluß der Frauen auf die Sitte sagt, würve auf sie keine Anwendung finden. In früheren Zeiten war der Salon (!e enoncee) ver Mittelpunkt des französischen Geistes, in welchem die Traditionen des guten Geschmacks gegen den Wechsel der populären Launen und Stimmungen auf¬ recht gehalten wurden. In dieser Welt entwickelte sich eine feine, geistreiche, eindringende Kritik, die in den meisten Punkten daS Nichtige traf; eine Ver¬ bindung von Ernst und Anmuth in der Form, von Strenge und Urbanität, die auf die Literatur sehr günstig einwirkte. Aber diese Einwirkung war an die aristokratische Erclusivität der Salons geknüpft. Der Journalismus ist eine demokratische Macht; er überträgt den Richterspruch an alle Welt, und die Unbefangenheit der Epigramme und EompUmente, der Bonmots und der M^disanee hört auf, sobald man das ganze Publicum zu Tisch einladet. Die geistreichen Frauen des -17. und -18. Jahrhunderts hätten mit ihren Briefen und Memoiren für die Nachwelt keinen Werth, wenn sie dieselben sofort zum Druck bestimmt, also nach dem Geschmack der Masse zugeschnitten hätten. Die Menge sucht im Feuilleton keinen künstlerischen Genuv, sie freut sich nicht an den kleinen zierlichen Spielereien der guten Gesellschaft, sie sucht vor allen Dingen nach dem Scandal; und an diesem hat es Frau von Girardin nicht fehlen lassen. Für den allgemeinen Geschmack gibt es nichts Nachtheiligeres, als diese Neigung des Feuilletons, unbedeutende Dinge mit ungebührlicher Wichtigkeit zu besprechen, den Esprit auf Kosten des Gegenstandes zur Gel¬ tung zu bringen: dieser unglückselige Dilettantismus des Lebens und deS Gedankens. Die Resultate ihrer journalistischen Beschäftigung hat Frau von Girardin Ipäter in einigen Lustspielen ausgebeutet, von denen ^'vcvle clef ^ournalistöi, (>8i0) und l.act^ tartulle (-1852) einen großen Erfolg davongetragen daven. Das letztere Stück ist in diesen Blättern ausführlich besprochen. Ohne Zweifel einhält es viel Pikantes, und man erkennt in der Schriftstellerin die Dame von Welt heraus; aber der Ton ist für ein leichtes Spiel zu steif, für eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/111>, abgerufen am 28.07.2024.