Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.freilich die seltene Eigenschaft hat, Horaz und Shakespeare in der Ursprache zu Madame Gay ist später noch sehr productiv gewesen. Unter ihren Roma¬ Wenn die Mutter die freien Sitten des Direktoriums und der Kaiserzeit freilich die seltene Eigenschaft hat, Horaz und Shakespeare in der Ursprache zu Madame Gay ist später noch sehr productiv gewesen. Unter ihren Roma¬ Wenn die Mutter die freien Sitten des Direktoriums und der Kaiserzeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103774"/> <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317"> freilich die seltene Eigenschaft hat, Horaz und Shakespeare in der Ursprache zu<lb/> lesen und sich für Corinna« zu begeistern, der aber der Verfasserin Gelegenheit<lb/> gibt, die seltsamen Zustände ihrer Jugend nach allen Seiten hin in der<lb/> reichsten Fülle zu schildern. Das Buch hat in seiner Art das Interesse eines<lb/> Gil Blas und ist am meisten geeignet, uns in die sittlichen Beziehungen im<lb/> Anfang dieses Jahrhunderts einzuweihen.</p><lb/> <p xml:id="ID_319"> Madame Gay ist später noch sehr productiv gewesen. Unter ihren Roma¬<lb/> nen sind zu nennen: I.e riwqueur amoureux (1830), Un maria^e «vus I'em-<lb/> I'ire (1832), s^a «Zu^l>es86 6e ttiuleauroux (183-i), Loe-nos ein ,j«mi>iz uxe (-1833),<lb/> pkvslolo^le cku ricliLulL (-1833), Souvenir et'une ol-fille kenne (-1833) u. s. w.<lb/> Darunter sind auch mehre historische Romane. Ferner eine ganze Reihe von<lb/> Komödien, z. B. l.e marquig 6s comma8. Das anmuthigste ihrer Werke<lb/> aber ist ein Gedicht über das Glück alt zu sein, und es charakterisirt sie auch<lb/> am meisten. In der Gesellschaft spielte sie eine hervorragende Rolle. Sie<lb/> war bis in ihr spätestes Alter unermüdlich. Die geistreichen Unterhaltungen in<lb/> ihrem Salon dauerten mitunter bis gegen Morgen. Sie liebte die jugendliche<lb/> Fröhlichkeit und den «zsprlt, am meisten, je weniger er Rücksichten nahm. Sie<lb/> galt noch in den dreißiger Jahren für eine schöne Frau, und ihre Töchter,<lb/> die Frau von Girardin und die Gräfin O'Dommel, die gefeierten Schönheiten<lb/> ihrer Zeit, gaben ihr nur noch eine neue Folie. Sie starb 1852 in Brüssel,<lb/> wohin sie ihren Schwiegersohn begleitet hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_320" next="#ID_321"> Wenn die Mutter die freien Sitten des Direktoriums und der Kaiserzeit<lb/> als ihre eigentliche Bildungsatmosphäre beibehalten hat, so, sehen wir in der<lb/> berühmteren Tochter den Einfluß LamartineS, freilich gemäßigt durch die häus¬<lb/> liche Erziehung, deren Reminiscenzen mit den Gewohnheiten der Gegenwart in<lb/> beständigem Kampf lagen. Die Frauen der Restaurationszeit haben Empfin¬<lb/> dungen und Ideen, sie seufzen und tragen das Bild eines unbekannten Dich¬<lb/> ters im Herzen. Etwas Mysticismus und etwas Nervenschwäche darf ihnen<lb/> nicht fehlen. Das dreiste Wesen der frühern Zeit, wo die Militärs den Ton<lb/> angaben, würde ihnen Grauen erregen. Die echte Muse muß einen geheimen<lb/> Kummer im Herzen tragen. Dies war das Bild, das Delphine Gay<lb/> (geb. zu Aachen) vorschwebte, als sie in ihrem 16. Jahr zuerst in die<lb/> Gesellschaft eingeführt wurde; ihr Naturell hätte sie auf einen ganz entgegen¬<lb/> gesetzten Weg leiten sollen. Mit ihrem heitern Gemüth, ihrer weltlichen Ge¬<lb/> sinnung, ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihrer natürlichen Grazie wäre<lb/> sie ganz dazu gemacht gewesen, heitere, elegante, etwas spöttische und kokette<lb/> Madrigale im Geschmack der altfranzösischen Schule zu ersinnen, oder auch das<lb/> Geplauder im Salon zu leiten und sür den guten Leumund ihrer Freunde und<lb/> Bekannten zu sorgen. Sie hätte der Sprache wieder die alte Gewandtheit<lb/> und jenen leichtfertigen Gang gegeben, der im Pomp der Revolution und deS</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
freilich die seltene Eigenschaft hat, Horaz und Shakespeare in der Ursprache zu
lesen und sich für Corinna« zu begeistern, der aber der Verfasserin Gelegenheit
gibt, die seltsamen Zustände ihrer Jugend nach allen Seiten hin in der
reichsten Fülle zu schildern. Das Buch hat in seiner Art das Interesse eines
Gil Blas und ist am meisten geeignet, uns in die sittlichen Beziehungen im
Anfang dieses Jahrhunderts einzuweihen.
Madame Gay ist später noch sehr productiv gewesen. Unter ihren Roma¬
nen sind zu nennen: I.e riwqueur amoureux (1830), Un maria^e «vus I'em-
I'ire (1832), s^a «Zu^l>es86 6e ttiuleauroux (183-i), Loe-nos ein ,j«mi>iz uxe (-1833),
pkvslolo^le cku ricliLulL (-1833), Souvenir et'une ol-fille kenne (-1833) u. s. w.
Darunter sind auch mehre historische Romane. Ferner eine ganze Reihe von
Komödien, z. B. l.e marquig 6s comma8. Das anmuthigste ihrer Werke
aber ist ein Gedicht über das Glück alt zu sein, und es charakterisirt sie auch
am meisten. In der Gesellschaft spielte sie eine hervorragende Rolle. Sie
war bis in ihr spätestes Alter unermüdlich. Die geistreichen Unterhaltungen in
ihrem Salon dauerten mitunter bis gegen Morgen. Sie liebte die jugendliche
Fröhlichkeit und den «zsprlt, am meisten, je weniger er Rücksichten nahm. Sie
galt noch in den dreißiger Jahren für eine schöne Frau, und ihre Töchter,
die Frau von Girardin und die Gräfin O'Dommel, die gefeierten Schönheiten
ihrer Zeit, gaben ihr nur noch eine neue Folie. Sie starb 1852 in Brüssel,
wohin sie ihren Schwiegersohn begleitet hatte.
Wenn die Mutter die freien Sitten des Direktoriums und der Kaiserzeit
als ihre eigentliche Bildungsatmosphäre beibehalten hat, so, sehen wir in der
berühmteren Tochter den Einfluß LamartineS, freilich gemäßigt durch die häus¬
liche Erziehung, deren Reminiscenzen mit den Gewohnheiten der Gegenwart in
beständigem Kampf lagen. Die Frauen der Restaurationszeit haben Empfin¬
dungen und Ideen, sie seufzen und tragen das Bild eines unbekannten Dich¬
ters im Herzen. Etwas Mysticismus und etwas Nervenschwäche darf ihnen
nicht fehlen. Das dreiste Wesen der frühern Zeit, wo die Militärs den Ton
angaben, würde ihnen Grauen erregen. Die echte Muse muß einen geheimen
Kummer im Herzen tragen. Dies war das Bild, das Delphine Gay
(geb. zu Aachen) vorschwebte, als sie in ihrem 16. Jahr zuerst in die
Gesellschaft eingeführt wurde; ihr Naturell hätte sie auf einen ganz entgegen¬
gesetzten Weg leiten sollen. Mit ihrem heitern Gemüth, ihrer weltlichen Ge¬
sinnung, ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihrer natürlichen Grazie wäre
sie ganz dazu gemacht gewesen, heitere, elegante, etwas spöttische und kokette
Madrigale im Geschmack der altfranzösischen Schule zu ersinnen, oder auch das
Geplauder im Salon zu leiten und sür den guten Leumund ihrer Freunde und
Bekannten zu sorgen. Sie hätte der Sprache wieder die alte Gewandtheit
und jenen leichtfertigen Gang gegeben, der im Pomp der Revolution und deS
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