Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Pilgerte und um der schmerzenreichen Mutter Gottes willen heilige Thränen
vergoß, warum sollten die Marquisen und Comtessen der Salons Anstand
nehmen, sich für eine Religion zu erwärmen, die vermittelst der Kreuzzüge die
alten Wappen wieder in Erinnerung brachte. Noch durchgreifender wirkte La¬
martine mit seinen Gedichten. Den Amoretten des Direktoriums wuchsen
lange christliche Flügel, das strotzende Roth ihrer Wangen verwandelte sich in
ein interessantes Blaß, der Blick, der früher so dreist ins Leben geschaut,
wandte sich schwermüthig zum Himmel, und nur mit stillen Seufzern nahte
man sich diesem Reich der Seraphim. Es ist das die goldene Zeit der Dich¬
terinnen, und sür jedes unbegriffene Weib, für jede ätherische schöne Seele,
die uns in Deutschland lästig gefallen ist, kann man in Frankreich zehn auf¬
stellen. Die Naivetät dieser stillen Seelen hörte auf, als sich das Bürger-
thum in der Julirevolution wieder der Herrschaft bemächtigte; der Glaube
wich dem Zweifel, die engelhafte Verklärung dem Weltschmerz. Lelia hatte
vergebens gestrebt, sich dem Seelenbräutigam hinzugeben, sie fragt bei Pul-
cheria um Rath, und nun ertönt von allen Seiten das Feldgeschrei der Eman¬
cipation des Weibes. Philosophen und Dichter wetteifern in der Verkündung
des neuen Evangeliums, und um ohne weitere Vorbereitungen Hand ans
Werk zu legen, treten die Damen, die sich früher im Salon gegen die Menge
abgeschlossen, aus den Markt, sie werden Journalisten und stehen an dreister
Zuversicht keinem Mann nach. Wie sich unter dem neuen Kaiserreich die
Sache wenden wird, müssen wir noch abwarten.

Als interessante Beispiele dieser Culturentwicklung heben wir heute zwei
Schriftstellerinnen hervor, Mutter und Tochter, die nicht blos in der Literatur,
sondern auch im Leben eine hervorragende Rolle gespielt haben, wenn sie auch
in Deutschland weniger bekannt geworden sind: Sophie Gav und ihre Tochter
Frau von Girardin.

Sophie de Lavalette wurde in Paris geboren. Im Hause ihres
Vaters, eines reichen Finanzbeamten, so wie im Hause des Bankier Liottier,
an den sie früh vermählt wurde, lernte sie das Leben und Treiben des Direk¬
toriums in seiner reichsten Fülle kennen. Eine schöne Frau, vereinigte sie alle
Modetalente jener Zeit, sie sang, componirte und machte Verse. Die geist¬
vollsten Männer jener Zeit waren ihre Lehrer und Anbeter. Nirgend finden
wir daher eine so deutliche und getreue Abbildung jener Zeit, als in ihren
Romanen.

Den ersten derselben, I^aure ä'KstkU, schrieb sie 1802, eben Witwe ge¬
worden, um ihre Familie zu unterstützen. Die Composttion des Werks ist
nicht vorzüglich, aber es zeichnet sich durch einen lebhaften, klaren Stil aus,
und eS wimmelt von Porträts, unter denen namentlich Frau von Stael und
Frau von Genlis hervortreten. Die leichte, aber gutmüthige, Moral des


Grenzbvte" II. -I8ö7. 13

Pilgerte und um der schmerzenreichen Mutter Gottes willen heilige Thränen
vergoß, warum sollten die Marquisen und Comtessen der Salons Anstand
nehmen, sich für eine Religion zu erwärmen, die vermittelst der Kreuzzüge die
alten Wappen wieder in Erinnerung brachte. Noch durchgreifender wirkte La¬
martine mit seinen Gedichten. Den Amoretten des Direktoriums wuchsen
lange christliche Flügel, das strotzende Roth ihrer Wangen verwandelte sich in
ein interessantes Blaß, der Blick, der früher so dreist ins Leben geschaut,
wandte sich schwermüthig zum Himmel, und nur mit stillen Seufzern nahte
man sich diesem Reich der Seraphim. Es ist das die goldene Zeit der Dich¬
terinnen, und sür jedes unbegriffene Weib, für jede ätherische schöne Seele,
die uns in Deutschland lästig gefallen ist, kann man in Frankreich zehn auf¬
stellen. Die Naivetät dieser stillen Seelen hörte auf, als sich das Bürger-
thum in der Julirevolution wieder der Herrschaft bemächtigte; der Glaube
wich dem Zweifel, die engelhafte Verklärung dem Weltschmerz. Lelia hatte
vergebens gestrebt, sich dem Seelenbräutigam hinzugeben, sie fragt bei Pul-
cheria um Rath, und nun ertönt von allen Seiten das Feldgeschrei der Eman¬
cipation des Weibes. Philosophen und Dichter wetteifern in der Verkündung
des neuen Evangeliums, und um ohne weitere Vorbereitungen Hand ans
Werk zu legen, treten die Damen, die sich früher im Salon gegen die Menge
abgeschlossen, aus den Markt, sie werden Journalisten und stehen an dreister
Zuversicht keinem Mann nach. Wie sich unter dem neuen Kaiserreich die
Sache wenden wird, müssen wir noch abwarten.

Als interessante Beispiele dieser Culturentwicklung heben wir heute zwei
Schriftstellerinnen hervor, Mutter und Tochter, die nicht blos in der Literatur,
sondern auch im Leben eine hervorragende Rolle gespielt haben, wenn sie auch
in Deutschland weniger bekannt geworden sind: Sophie Gav und ihre Tochter
Frau von Girardin.

Sophie de Lavalette wurde in Paris geboren. Im Hause ihres
Vaters, eines reichen Finanzbeamten, so wie im Hause des Bankier Liottier,
an den sie früh vermählt wurde, lernte sie das Leben und Treiben des Direk¬
toriums in seiner reichsten Fülle kennen. Eine schöne Frau, vereinigte sie alle
Modetalente jener Zeit, sie sang, componirte und machte Verse. Die geist¬
vollsten Männer jener Zeit waren ihre Lehrer und Anbeter. Nirgend finden
wir daher eine so deutliche und getreue Abbildung jener Zeit, als in ihren
Romanen.

Den ersten derselben, I^aure ä'KstkU, schrieb sie 1802, eben Witwe ge¬
worden, um ihre Familie zu unterstützen. Die Composttion des Werks ist
nicht vorzüglich, aber es zeichnet sich durch einen lebhaften, klaren Stil aus,
und eS wimmelt von Porträts, unter denen namentlich Frau von Stael und
Frau von Genlis hervortreten. Die leichte, aber gutmüthige, Moral des


Grenzbvte» II. -I8ö7. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103772"/>
          <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> Pilgerte und um der schmerzenreichen Mutter Gottes willen heilige Thränen<lb/>
vergoß, warum sollten die Marquisen und Comtessen der Salons Anstand<lb/>
nehmen, sich für eine Religion zu erwärmen, die vermittelst der Kreuzzüge die<lb/>
alten Wappen wieder in Erinnerung brachte. Noch durchgreifender wirkte La¬<lb/>
martine mit seinen Gedichten. Den Amoretten des Direktoriums wuchsen<lb/>
lange christliche Flügel, das strotzende Roth ihrer Wangen verwandelte sich in<lb/>
ein interessantes Blaß, der Blick, der früher so dreist ins Leben geschaut,<lb/>
wandte sich schwermüthig zum Himmel, und nur mit stillen Seufzern nahte<lb/>
man sich diesem Reich der Seraphim. Es ist das die goldene Zeit der Dich¬<lb/>
terinnen, und sür jedes unbegriffene Weib, für jede ätherische schöne Seele,<lb/>
die uns in Deutschland lästig gefallen ist, kann man in Frankreich zehn auf¬<lb/>
stellen. Die Naivetät dieser stillen Seelen hörte auf, als sich das Bürger-<lb/>
thum in der Julirevolution wieder der Herrschaft bemächtigte; der Glaube<lb/>
wich dem Zweifel, die engelhafte Verklärung dem Weltschmerz. Lelia hatte<lb/>
vergebens gestrebt, sich dem Seelenbräutigam hinzugeben, sie fragt bei Pul-<lb/>
cheria um Rath, und nun ertönt von allen Seiten das Feldgeschrei der Eman¬<lb/>
cipation des Weibes. Philosophen und Dichter wetteifern in der Verkündung<lb/>
des neuen Evangeliums, und um ohne weitere Vorbereitungen Hand ans<lb/>
Werk zu legen, treten die Damen, die sich früher im Salon gegen die Menge<lb/>
abgeschlossen, aus den Markt, sie werden Journalisten und stehen an dreister<lb/>
Zuversicht keinem Mann nach. Wie sich unter dem neuen Kaiserreich die<lb/>
Sache wenden wird, müssen wir noch abwarten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Als interessante Beispiele dieser Culturentwicklung heben wir heute zwei<lb/>
Schriftstellerinnen hervor, Mutter und Tochter, die nicht blos in der Literatur,<lb/>
sondern auch im Leben eine hervorragende Rolle gespielt haben, wenn sie auch<lb/>
in Deutschland weniger bekannt geworden sind: Sophie Gav und ihre Tochter<lb/>
Frau von Girardin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> Sophie de Lavalette wurde in Paris geboren.  Im Hause ihres<lb/>
Vaters, eines reichen Finanzbeamten, so wie im Hause des Bankier Liottier,<lb/>
an den sie früh vermählt wurde, lernte sie das Leben und Treiben des Direk¬<lb/>
toriums in seiner reichsten Fülle kennen. Eine schöne Frau, vereinigte sie alle<lb/>
Modetalente jener Zeit, sie sang, componirte und machte Verse. Die geist¬<lb/>
vollsten Männer jener Zeit waren ihre Lehrer und Anbeter. Nirgend finden<lb/>
wir daher eine so deutliche und getreue Abbildung jener Zeit, als in ihren<lb/>
Romanen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313" next="#ID_314"> Den ersten derselben, I^aure ä'KstkU, schrieb sie 1802, eben Witwe ge¬<lb/>
worden, um ihre Familie zu unterstützen. Die Composttion des Werks ist<lb/>
nicht vorzüglich, aber es zeichnet sich durch einen lebhaften, klaren Stil aus,<lb/>
und eS wimmelt von Porträts, unter denen namentlich Frau von Stael und<lb/>
Frau von Genlis hervortreten. Die leichte, aber gutmüthige, Moral des</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvte» II. -I8ö7. 13</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] Pilgerte und um der schmerzenreichen Mutter Gottes willen heilige Thränen vergoß, warum sollten die Marquisen und Comtessen der Salons Anstand nehmen, sich für eine Religion zu erwärmen, die vermittelst der Kreuzzüge die alten Wappen wieder in Erinnerung brachte. Noch durchgreifender wirkte La¬ martine mit seinen Gedichten. Den Amoretten des Direktoriums wuchsen lange christliche Flügel, das strotzende Roth ihrer Wangen verwandelte sich in ein interessantes Blaß, der Blick, der früher so dreist ins Leben geschaut, wandte sich schwermüthig zum Himmel, und nur mit stillen Seufzern nahte man sich diesem Reich der Seraphim. Es ist das die goldene Zeit der Dich¬ terinnen, und sür jedes unbegriffene Weib, für jede ätherische schöne Seele, die uns in Deutschland lästig gefallen ist, kann man in Frankreich zehn auf¬ stellen. Die Naivetät dieser stillen Seelen hörte auf, als sich das Bürger- thum in der Julirevolution wieder der Herrschaft bemächtigte; der Glaube wich dem Zweifel, die engelhafte Verklärung dem Weltschmerz. Lelia hatte vergebens gestrebt, sich dem Seelenbräutigam hinzugeben, sie fragt bei Pul- cheria um Rath, und nun ertönt von allen Seiten das Feldgeschrei der Eman¬ cipation des Weibes. Philosophen und Dichter wetteifern in der Verkündung des neuen Evangeliums, und um ohne weitere Vorbereitungen Hand ans Werk zu legen, treten die Damen, die sich früher im Salon gegen die Menge abgeschlossen, aus den Markt, sie werden Journalisten und stehen an dreister Zuversicht keinem Mann nach. Wie sich unter dem neuen Kaiserreich die Sache wenden wird, müssen wir noch abwarten. Als interessante Beispiele dieser Culturentwicklung heben wir heute zwei Schriftstellerinnen hervor, Mutter und Tochter, die nicht blos in der Literatur, sondern auch im Leben eine hervorragende Rolle gespielt haben, wenn sie auch in Deutschland weniger bekannt geworden sind: Sophie Gav und ihre Tochter Frau von Girardin. Sophie de Lavalette wurde in Paris geboren. Im Hause ihres Vaters, eines reichen Finanzbeamten, so wie im Hause des Bankier Liottier, an den sie früh vermählt wurde, lernte sie das Leben und Treiben des Direk¬ toriums in seiner reichsten Fülle kennen. Eine schöne Frau, vereinigte sie alle Modetalente jener Zeit, sie sang, componirte und machte Verse. Die geist¬ vollsten Männer jener Zeit waren ihre Lehrer und Anbeter. Nirgend finden wir daher eine so deutliche und getreue Abbildung jener Zeit, als in ihren Romanen. Den ersten derselben, I^aure ä'KstkU, schrieb sie 1802, eben Witwe ge¬ worden, um ihre Familie zu unterstützen. Die Composttion des Werks ist nicht vorzüglich, aber es zeichnet sich durch einen lebhaften, klaren Stil aus, und eS wimmelt von Porträts, unter denen namentlich Frau von Stael und Frau von Genlis hervortreten. Die leichte, aber gutmüthige, Moral des Grenzbvte» II. -I8ö7. 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/105>, abgerufen am 28.07.2024.