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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Ausdruck dieser Periode, Frau von Stahl ist wenigstens von dieser Bildung
ausgegangen, und sie hat auch in ihren späteren Bestrebungen den Leitton
gebildet. Ein sehr bemerkenswerther Umschwung findet unter dem Direktorium
statt. Die Blutthaten der Jacobiner hatten alle Welt gegen die Revolution
und die philosophischen Ideen, die ihr zu Grunde lagen, empört; man ver¬
abscheute die Politik, die Moral, die Tugend, das Vaterland, kurz alles,
was an Robespierre und seine Guillotine erinnerte. Man trank in vollen
Zügen den Becher der sinnlichen Lust, den man sich in der Schreckenszeit hatte
versagen müssen. Man kleidete sich nach dem Borbild der Madame Tallien
und der Frau von Beauharnais in griechisches Costüm und suchte auch in den
Sitten dem Vorbild der Aspasia nachzueifern. An Medisance und an Intri¬
guen fehlte es auch damals nicht. Im Allgemeinen aber waren die Frauen
jener Zeit lebensfroh, unbefangen und gutmüthig, und die bekannte Schilde¬
rung Bl-rangers von einer Großmutter ist kulturhistorisch vollkommen richtig.


Aiuiiiui, vont! Avio2 le voviir teuere?
-- (Im, til teuere, <in'ü (tix-sept, ans,
I^maior ne 8" lit pui> uUemlre,
Li, M'it n'iMendit, pus longi.eini'Z.
tüomdien je rezrette u
Non bills si <Jo<in,
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Le le tempi. perlt u!

Freilich konnten nicht alle Frauen so glücklich sein. Mitunter verfehlte
die Leidenschaft ihr Ziel, und Ratio, Delphine und Valerie legen ein Zeugniß
dafür ab, daß man auch unter dem Konsulat unglücklich lieben konnte. Im
Allgemeinen aber nahm man eS nicht so genau; wenn Lindor ausblieb, hielt
man sich an Cherubin und suchte sich das Leben so angenehm als möglich ein¬
zurichten. Man zog den jungen Husarenvberst vor, der an den Pyramiden
gefochten, aber der reich gewordene Lieferant hatte auch seine Vorzüge. Es
waren das die beide'" Classen, die damals fast ausschließlich die Aufmerk¬
samkeit auf sich zogen.

Nun kam die Restauration. Die Obersten der Kaiserzeit wurden alt und
invalid, der Soldat in Friedenszeiten erregte verhältnißmäßig nur ein geringes
Interesse, große Umwälzungen des Vermögens wurden seltener, dagegen zog
der alte Adel mit seinen Wappen und Stammbäumen wieder ein, er erzählte
von seinen Ahnen, die in den Kreuzzügen gefochten, die Beichtväter spielten
wieder eine große Rolle, und es gehörte zum guten Ton, in die Kirche zu
gehen. Ganz abgesehen von den äußern Vortheilen, die damit verknüpft waren:
wenn ein so geistvoller Mann, wie der Vicomte Chateaubriand, ein Mann,
der das Leben auch nach andern Seiten sehr gut verstand, nach Jerusalem


Ausdruck dieser Periode, Frau von Stahl ist wenigstens von dieser Bildung
ausgegangen, und sie hat auch in ihren späteren Bestrebungen den Leitton
gebildet. Ein sehr bemerkenswerther Umschwung findet unter dem Direktorium
statt. Die Blutthaten der Jacobiner hatten alle Welt gegen die Revolution
und die philosophischen Ideen, die ihr zu Grunde lagen, empört; man ver¬
abscheute die Politik, die Moral, die Tugend, das Vaterland, kurz alles,
was an Robespierre und seine Guillotine erinnerte. Man trank in vollen
Zügen den Becher der sinnlichen Lust, den man sich in der Schreckenszeit hatte
versagen müssen. Man kleidete sich nach dem Borbild der Madame Tallien
und der Frau von Beauharnais in griechisches Costüm und suchte auch in den
Sitten dem Vorbild der Aspasia nachzueifern. An Medisance und an Intri¬
guen fehlte es auch damals nicht. Im Allgemeinen aber waren die Frauen
jener Zeit lebensfroh, unbefangen und gutmüthig, und die bekannte Schilde¬
rung Bl-rangers von einer Großmutter ist kulturhistorisch vollkommen richtig.


Aiuiiiui, vont! Avio2 le voviir teuere?
— (Im, til teuere, <in'ü (tix-sept, ans,
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Li, M'it n'iMendit, pus longi.eini'Z.
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Le le tempi. perlt u!

Freilich konnten nicht alle Frauen so glücklich sein. Mitunter verfehlte
die Leidenschaft ihr Ziel, und Ratio, Delphine und Valerie legen ein Zeugniß
dafür ab, daß man auch unter dem Konsulat unglücklich lieben konnte. Im
Allgemeinen aber nahm man eS nicht so genau; wenn Lindor ausblieb, hielt
man sich an Cherubin und suchte sich das Leben so angenehm als möglich ein¬
zurichten. Man zog den jungen Husarenvberst vor, der an den Pyramiden
gefochten, aber der reich gewordene Lieferant hatte auch seine Vorzüge. Es
waren das die beide'» Classen, die damals fast ausschließlich die Aufmerk¬
samkeit auf sich zogen.

Nun kam die Restauration. Die Obersten der Kaiserzeit wurden alt und
invalid, der Soldat in Friedenszeiten erregte verhältnißmäßig nur ein geringes
Interesse, große Umwälzungen des Vermögens wurden seltener, dagegen zog
der alte Adel mit seinen Wappen und Stammbäumen wieder ein, er erzählte
von seinen Ahnen, die in den Kreuzzügen gefochten, die Beichtväter spielten
wieder eine große Rolle, und es gehörte zum guten Ton, in die Kirche zu
gehen. Ganz abgesehen von den äußern Vortheilen, die damit verknüpft waren:
wenn ein so geistvoller Mann, wie der Vicomte Chateaubriand, ein Mann,
der das Leben auch nach andern Seiten sehr gut verstand, nach Jerusalem


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[0104] Ausdruck dieser Periode, Frau von Stahl ist wenigstens von dieser Bildung ausgegangen, und sie hat auch in ihren späteren Bestrebungen den Leitton gebildet. Ein sehr bemerkenswerther Umschwung findet unter dem Direktorium statt. Die Blutthaten der Jacobiner hatten alle Welt gegen die Revolution und die philosophischen Ideen, die ihr zu Grunde lagen, empört; man ver¬ abscheute die Politik, die Moral, die Tugend, das Vaterland, kurz alles, was an Robespierre und seine Guillotine erinnerte. Man trank in vollen Zügen den Becher der sinnlichen Lust, den man sich in der Schreckenszeit hatte versagen müssen. Man kleidete sich nach dem Borbild der Madame Tallien und der Frau von Beauharnais in griechisches Costüm und suchte auch in den Sitten dem Vorbild der Aspasia nachzueifern. An Medisance und an Intri¬ guen fehlte es auch damals nicht. Im Allgemeinen aber waren die Frauen jener Zeit lebensfroh, unbefangen und gutmüthig, und die bekannte Schilde¬ rung Bl-rangers von einer Großmutter ist kulturhistorisch vollkommen richtig. Aiuiiiui, vont! Avio2 le voviir teuere? — (Im, til teuere, <in'ü (tix-sept, ans, I^maior ne 8» lit pui> uUemlre, Li, M'it n'iMendit, pus longi.eini'Z. tüomdien je rezrette u Non bills si <Jo<in, ' Ul» jumbe inen t'-nec, Le le tempi. perlt u! Freilich konnten nicht alle Frauen so glücklich sein. Mitunter verfehlte die Leidenschaft ihr Ziel, und Ratio, Delphine und Valerie legen ein Zeugniß dafür ab, daß man auch unter dem Konsulat unglücklich lieben konnte. Im Allgemeinen aber nahm man eS nicht so genau; wenn Lindor ausblieb, hielt man sich an Cherubin und suchte sich das Leben so angenehm als möglich ein¬ zurichten. Man zog den jungen Husarenvberst vor, der an den Pyramiden gefochten, aber der reich gewordene Lieferant hatte auch seine Vorzüge. Es waren das die beide'» Classen, die damals fast ausschließlich die Aufmerk¬ samkeit auf sich zogen. Nun kam die Restauration. Die Obersten der Kaiserzeit wurden alt und invalid, der Soldat in Friedenszeiten erregte verhältnißmäßig nur ein geringes Interesse, große Umwälzungen des Vermögens wurden seltener, dagegen zog der alte Adel mit seinen Wappen und Stammbäumen wieder ein, er erzählte von seinen Ahnen, die in den Kreuzzügen gefochten, die Beichtväter spielten wieder eine große Rolle, und es gehörte zum guten Ton, in die Kirche zu gehen. Ganz abgesehen von den äußern Vortheilen, die damit verknüpft waren: wenn ein so geistvoller Mann, wie der Vicomte Chateaubriand, ein Mann, der das Leben auch nach andern Seiten sehr gut verstand, nach Jerusalem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/104>, abgerufen am 28.07.2024.