Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.die Selbstsucht als übergesetzliche (und also außergesetzliche) dynastische Herr¬ Es ist gut, daß grade von dieser Seite eine ernste Warnung an alle ^ Im Allgemeinen pflichten wir auch dem Tadel gegen den gemeinen Ra¬ die Selbstsucht als übergesetzliche (und also außergesetzliche) dynastische Herr¬ Es ist gut, daß grade von dieser Seite eine ernste Warnung an alle ^ Im Allgemeinen pflichten wir auch dem Tadel gegen den gemeinen Ra¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103213"/> <p xml:id="ID_236" prev="#ID_235"> die Selbstsucht als übergesetzliche (und also außergesetzliche) dynastische Herr¬<lb/> schaft arbeitet für die Anarchie. Zwischen beiden Dämonen droht die Mensch¬<lb/> heit unterzugehn, und mit ihr die Bildung vieler Jahrtausende. Dort übt<lb/> man roheste Gewaltthätigkeit im Lande der Freiheit, und predigt Sklaverei,<lb/> die Bibel in der einen Hand, und das Mordmesser in der andern. Hier ver¬<lb/> kündet man Aberglauben und Pnestergewalt im Namen des Evangeliums:<lb/> ermahnt zum alten Glauben mit der Polizei zur Unterstützung und mit Kerker<lb/> im Hintergrunde. Innere Schäden sollen geheilt werden durch verstärkte<lb/> Aeußerlichkeit des Kirchlichen. Unduldsamkeit heißt Siegel deS christliche»<lb/> Staates, ja Verfolgung ein Zeugniß für den Ernst protestantischer Gesinnung.<lb/> Das Ungerechte wird nicht allein in Formeln gebracht, sondern diese Formeln<lb/> werden vergöttert. Die große Masse der denkenden Menschen sieht diesem<lb/> allem zu, scheinbar gebannt durch den Zauber der Lust als des Lebens Ziel<lb/> und Preis und durch die Sucht nach Genuß ohne Arbeit, oder sür kurze Zeit<lb/> niedergedrückt durch den Unmuth der Verzweiflung. Aber dumpfe Stimmen<lb/> aus Tiefen und Abgründen, und die hellen Stimmen aus des Himmels Höhen,<lb/> rufen Fürsten und Völkern zu: „Lasset euch warnen! Gerechtigkeit übt, nicht<lb/> verachtet die Gottheit!"</p><lb/> <p xml:id="ID_237"> Es ist gut, daß grade von dieser Seite eine ernste Warnung an alle<lb/> Classen des Volks ergeht, weil wir im Allgemeinen zu sehr auf unsere gegen¬<lb/> wärtige Civilisation vertrauen, zu wenig an die Zukunft denken. Denn per¬<lb/> sönlich fallen uns die Uebergriffe der neulutherischen Kirchlichkeit wenig zur<lb/> Last, weil von der Ausübung eines äußern Zwanges nirgend die Rede ist;<lb/> aber wenn man daran denkt, daß mit der Zeit alle Lehrstellen mit Zöglingen<lb/> Vilmars und Kliefoths besetzt werden können, so darf man in Bezug auf die<lb/> nächste Generation wol einige Besorgniß hegen. Der Inhalt des vorliegen¬<lb/> den Buchs, die Entwicklung des Gottesbewußtseins in der jüdischen Geschichte,<lb/> würde, wenn wir den streng historischen Maßstab anlegten, manchem Bedenken<lb/> Raum geben; aber bei dem vorwiegend erbaulichen Zweck der Schrift ist der<lb/> gute Einfluß aus die Bildung der öffentlichen Meinung in denjenigen Kreisen, die<lb/> sich bisher um die religiösen Streitigkeiten wenig gekümmert haben, überwiegend.</p><lb/> <p xml:id="ID_238" next="#ID_239"> ^ Im Allgemeinen pflichten wir auch dem Tadel gegen den gemeinen Ra¬<lb/> tionalismus deS vorigen Jahrhunderts bei, „welcher in der Offenbarung wie<lb/> in der ganzen Geschichte nichts als äußerliche Thatsachen sieht, gleichsam als<lb/> gäbe es eine höhere Offenbarung der Vernunft als in der Geschichte." Der<lb/> unhistorische Sinn und die unwissenschaftliche Auslegung jener wohlmeinenden<lb/> Religionslehrer, welche die Sinnesart des 18. Jahrhunderts in den drei ersten<lb/> Jahrhunderten wiederfinden wollten, ist allerdings durch die spätere Bildung<lb/> überwunden; aber in einer Beziehung möchten wir den Namen des Rationa¬<lb/> lismus doch wieder zu Ehren bringen, um nicht durch die zufälligen Aeußer-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
die Selbstsucht als übergesetzliche (und also außergesetzliche) dynastische Herr¬
schaft arbeitet für die Anarchie. Zwischen beiden Dämonen droht die Mensch¬
heit unterzugehn, und mit ihr die Bildung vieler Jahrtausende. Dort übt
man roheste Gewaltthätigkeit im Lande der Freiheit, und predigt Sklaverei,
die Bibel in der einen Hand, und das Mordmesser in der andern. Hier ver¬
kündet man Aberglauben und Pnestergewalt im Namen des Evangeliums:
ermahnt zum alten Glauben mit der Polizei zur Unterstützung und mit Kerker
im Hintergrunde. Innere Schäden sollen geheilt werden durch verstärkte
Aeußerlichkeit des Kirchlichen. Unduldsamkeit heißt Siegel deS christliche»
Staates, ja Verfolgung ein Zeugniß für den Ernst protestantischer Gesinnung.
Das Ungerechte wird nicht allein in Formeln gebracht, sondern diese Formeln
werden vergöttert. Die große Masse der denkenden Menschen sieht diesem
allem zu, scheinbar gebannt durch den Zauber der Lust als des Lebens Ziel
und Preis und durch die Sucht nach Genuß ohne Arbeit, oder sür kurze Zeit
niedergedrückt durch den Unmuth der Verzweiflung. Aber dumpfe Stimmen
aus Tiefen und Abgründen, und die hellen Stimmen aus des Himmels Höhen,
rufen Fürsten und Völkern zu: „Lasset euch warnen! Gerechtigkeit übt, nicht
verachtet die Gottheit!"
Es ist gut, daß grade von dieser Seite eine ernste Warnung an alle
Classen des Volks ergeht, weil wir im Allgemeinen zu sehr auf unsere gegen¬
wärtige Civilisation vertrauen, zu wenig an die Zukunft denken. Denn per¬
sönlich fallen uns die Uebergriffe der neulutherischen Kirchlichkeit wenig zur
Last, weil von der Ausübung eines äußern Zwanges nirgend die Rede ist;
aber wenn man daran denkt, daß mit der Zeit alle Lehrstellen mit Zöglingen
Vilmars und Kliefoths besetzt werden können, so darf man in Bezug auf die
nächste Generation wol einige Besorgniß hegen. Der Inhalt des vorliegen¬
den Buchs, die Entwicklung des Gottesbewußtseins in der jüdischen Geschichte,
würde, wenn wir den streng historischen Maßstab anlegten, manchem Bedenken
Raum geben; aber bei dem vorwiegend erbaulichen Zweck der Schrift ist der
gute Einfluß aus die Bildung der öffentlichen Meinung in denjenigen Kreisen, die
sich bisher um die religiösen Streitigkeiten wenig gekümmert haben, überwiegend.
^ Im Allgemeinen pflichten wir auch dem Tadel gegen den gemeinen Ra¬
tionalismus deS vorigen Jahrhunderts bei, „welcher in der Offenbarung wie
in der ganzen Geschichte nichts als äußerliche Thatsachen sieht, gleichsam als
gäbe es eine höhere Offenbarung der Vernunft als in der Geschichte." Der
unhistorische Sinn und die unwissenschaftliche Auslegung jener wohlmeinenden
Religionslehrer, welche die Sinnesart des 18. Jahrhunderts in den drei ersten
Jahrhunderten wiederfinden wollten, ist allerdings durch die spätere Bildung
überwunden; aber in einer Beziehung möchten wir den Namen des Rationa¬
lismus doch wieder zu Ehren bringen, um nicht durch die zufälligen Aeußer-
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