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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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beitragen. Ueber die Entwicklungsfähigkeit des Christenthums an sich ist kein
Zweifel; noch neuerdings hat sich ja die katholische Kirche, die doch viel sta¬
biler ist als die protestantische, durch das neuentdeckte Dogma der unbefleckten
Empfängniß Mariens weiter entwickelt; aber trotz aller Entwicklung behält
das Christenthum immer noch die Lebenskraft, die von außen her aufgenomme¬
nen Elemente wieder auszuscheiden, wie das die neueste Theologie gezeigt hat.
Was die Wissenschaft und das innere Rechtsgefühl betrifft, so stellen wir uns
auf Lessings Seite, der sich mit der alten Kirche besser zu stellen wußte, als
mit der neuen. Die Gründe möge man in seinem Briefwechsel mit feinem
Bruder nachsehen.

Der zweite Punkt, den wir zu erörtern hatten, war die Stellung der
Gesellschaft zum Staat. Rupp vertritt die humboldtschen Jugendideen, die
dem Staat eine Function nach der andern entziehen wollten, die als die höchste
Aufgabe des Staats auffaßten, sich selbst überflüssig zu machen. Es ist das
die Theorie deS alten Liberalismus und der neuen Demokratie, die in dem
Staat nur die Regierungsmaschincrie sahen und gegen den schädlichen Einfluß
derselben die Parlamente, die Communalfreiheit, die Geschwornen :c, gewisser¬
maßen als ein Bollwerk erlangten. Erst allmälig kam man dahinter, daß
diese Bollwerke zugleich die Fundamente eines neuen Staats waren, und die¬
sen nationalen Staat, in den jeder Einzelne mit seiner vollen Lebenskraft auf¬
geht, in dem die Privattugenden zu öffentlichen werden und die nationale
Idee die Privatsittlichkeit durchdringt, diesen neuen Staat zu begründen, hal¬
ten wir vor der Hand für eine viel wichtigere Aufgabe, als die Auseinander¬
setzung jener Bildungsmomente durch individuelle Genossenschaften. Entgegen¬
gesetzt gegen den Materialismus unserer Zeit suchen auch wir den Himmel,
der den Blick über die gemeine Wirklichkeit der Dinge erhebt; aber wir finden
den Weg dahin nur, wenn wir die Erde so einrichten, daß das Licht des
Himmels seine Freude hat, sie zu bescheinen.


Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an eine sittliche Welt-
orvnung. Von Christian Karl Josias Bunsen. In sechs Büchern. Erster
Theil. Erstes und zweites Buch. Leipzig, Brockhaus. --
Die Religion im gemeinen Leben. Eine Predigt gehalten in Crathie Church
am 14. Oktober vor Ihrer Majestät der Königin von England und
Prinz Albert, von John Caird, Pfarrer in Errol. Mit einem Vorwort
von Christian Karl Josias Bunsen. Leipzig, Brockhaus. --

In der Zeit, als Rupp seine Rede über den christlichen Staat hielt, galt
Bunsen im Publicum als einer der Führer der religiösen Reaction, ja eS gab
sogar Stimmen, die ihn der Hinneigung zum Katholicismus bezüchtigten. Die
Ueberraschung war daher nicht gering, als er im Hippolyt eine Ansicht von


beitragen. Ueber die Entwicklungsfähigkeit des Christenthums an sich ist kein
Zweifel; noch neuerdings hat sich ja die katholische Kirche, die doch viel sta¬
biler ist als die protestantische, durch das neuentdeckte Dogma der unbefleckten
Empfängniß Mariens weiter entwickelt; aber trotz aller Entwicklung behält
das Christenthum immer noch die Lebenskraft, die von außen her aufgenomme¬
nen Elemente wieder auszuscheiden, wie das die neueste Theologie gezeigt hat.
Was die Wissenschaft und das innere Rechtsgefühl betrifft, so stellen wir uns
auf Lessings Seite, der sich mit der alten Kirche besser zu stellen wußte, als
mit der neuen. Die Gründe möge man in seinem Briefwechsel mit feinem
Bruder nachsehen.

Der zweite Punkt, den wir zu erörtern hatten, war die Stellung der
Gesellschaft zum Staat. Rupp vertritt die humboldtschen Jugendideen, die
dem Staat eine Function nach der andern entziehen wollten, die als die höchste
Aufgabe des Staats auffaßten, sich selbst überflüssig zu machen. Es ist das
die Theorie deS alten Liberalismus und der neuen Demokratie, die in dem
Staat nur die Regierungsmaschincrie sahen und gegen den schädlichen Einfluß
derselben die Parlamente, die Communalfreiheit, die Geschwornen :c, gewisser¬
maßen als ein Bollwerk erlangten. Erst allmälig kam man dahinter, daß
diese Bollwerke zugleich die Fundamente eines neuen Staats waren, und die¬
sen nationalen Staat, in den jeder Einzelne mit seiner vollen Lebenskraft auf¬
geht, in dem die Privattugenden zu öffentlichen werden und die nationale
Idee die Privatsittlichkeit durchdringt, diesen neuen Staat zu begründen, hal¬
ten wir vor der Hand für eine viel wichtigere Aufgabe, als die Auseinander¬
setzung jener Bildungsmomente durch individuelle Genossenschaften. Entgegen¬
gesetzt gegen den Materialismus unserer Zeit suchen auch wir den Himmel,
der den Blick über die gemeine Wirklichkeit der Dinge erhebt; aber wir finden
den Weg dahin nur, wenn wir die Erde so einrichten, daß das Licht des
Himmels seine Freude hat, sie zu bescheinen.


Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an eine sittliche Welt-
orvnung. Von Christian Karl Josias Bunsen. In sechs Büchern. Erster
Theil. Erstes und zweites Buch. Leipzig, Brockhaus. —
Die Religion im gemeinen Leben. Eine Predigt gehalten in Crathie Church
am 14. Oktober vor Ihrer Majestät der Königin von England und
Prinz Albert, von John Caird, Pfarrer in Errol. Mit einem Vorwort
von Christian Karl Josias Bunsen. Leipzig, Brockhaus. —

In der Zeit, als Rupp seine Rede über den christlichen Staat hielt, galt
Bunsen im Publicum als einer der Führer der religiösen Reaction, ja eS gab
sogar Stimmen, die ihn der Hinneigung zum Katholicismus bezüchtigten. Die
Ueberraschung war daher nicht gering, als er im Hippolyt eine Ansicht von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/78>, abgerufen am 22.12.2024.