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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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aus; in beiden ist vielmehr der Geist des griechisch-römischen Alterthums wie¬
der in seiner reinen Form zum Durchbruch gekommen. In Luther empörte
sich der christliche Geist gegen dieses Reich der Gottlosen; und während in
der frühern Zeit die produktive Kirche nur in der Geistlichkeit bestanden hatte,
verlangte man jetzt, der Laienstand sollte aufgehoben sein, und jeder Christ
sollte sich an der Entwicklung des Christenthums betheiligen, was auch wenig¬
stens in Deutschland anderthalb Jahrhunderte hindurch der Fall gewesen ist.
Freilich mischten sich in die Reformation auch andere nicht christliche Elemente,
und so hat z. B. die Stellung der beiden Humanisten Erasmus und Hütten
zur Reformation etwas sehr Lehrreiches. Der erstere, dem die Bildung die
Hauptsache war, konnte sich einer Lehre nicht anschließen, die Nicht die seinige
war, und man hat im höchsten Grade unrecht gehandelt, ihm daS zum Vor¬
wurf zu machen. Hütten, der germanische Ritter, betheiligte sich daran, weil
er eS als einen Kampf gegen die Pfaffen überhaupt auffaßte. Wir führen
das nur als ein einzelnes Beispiel an, wir übernehmen es aber, bei jedem
großen historischen Ereigniß diese drei Bildungselemente, die sich nie völlig
durchdrungen haben, ganz genau voneinander zu scheiden.

Die Hauptsache für uns bei diesen Bemerkungen ist nicht die theoretische,
sondern die praktische Nutzanwendung. Rupp behauptet, daß, wenn man das
Christenthum als entwicklungsunfcchig annimmt, man zu der Barbarei zurück¬
kehren müsse, weil das Christenthum die einzige Bildungsquelle der modernen
Zeit gewesen sei. Da ihn aber jedes Gymnasium eines Bessern überführen
kann, da die Moral des Cäsar, des Cornelius Nepos, des Cicero den Kna¬
ben neben der sehr verschiedenen Moral des Evangeliums eingeflößt wird, so
fällt damit auch seine Schlußfolgerung zusammen, und wir wiederholen noch
einmal den Grundsatz, den wir schon früher aufgestellt haben: den heutigen
Theologen gegenüber von Tholuck bis zu Vilmar herunter, der den Teufel
und seine Großmutter wieder zu Ehren bringt, befinden wir uns auf dem
Standpunkt der Laien des Mittelalters; wir überlassen die dogmatischen Strei¬
tigkeiten unsern Geistlichen, da wir bei den meisten Fragen, die dort verhan¬
delt werden, ganz außerhalb aller Parteien stehn. Wir sind Christen, wie
die Hohenstaufen Christen waren, fühlen uns aber nicht verpflichtet, tiefer
in die kirchlichen Mysterien einzudringen, wir wissen historisch, daß viele von
den christlichen Lehren in der Bildung einen großen Und unverlierbaren Fort^
schritt vermittelt haben, wir stehen mit Luther gegen Macchiavell, aber i"
vielen Beziehungen mit Erasmus gegen Luther. Unsere Aufgabe, unsern Be¬
ruf hat Kant in seiner Schrift über die Religion innerhalb der bloßen Ver¬
nunft mit hinreichender Schärfe festgestellt. Wir müssen zwar den Conflict
beklagen, der zwischen unsern verschiedenen BildungSmomenten stattfindet, aber
wir können ihn insofern nicht aufheben, als wir zur Entwicklung der Kirche


aus; in beiden ist vielmehr der Geist des griechisch-römischen Alterthums wie¬
der in seiner reinen Form zum Durchbruch gekommen. In Luther empörte
sich der christliche Geist gegen dieses Reich der Gottlosen; und während in
der frühern Zeit die produktive Kirche nur in der Geistlichkeit bestanden hatte,
verlangte man jetzt, der Laienstand sollte aufgehoben sein, und jeder Christ
sollte sich an der Entwicklung des Christenthums betheiligen, was auch wenig¬
stens in Deutschland anderthalb Jahrhunderte hindurch der Fall gewesen ist.
Freilich mischten sich in die Reformation auch andere nicht christliche Elemente,
und so hat z. B. die Stellung der beiden Humanisten Erasmus und Hütten
zur Reformation etwas sehr Lehrreiches. Der erstere, dem die Bildung die
Hauptsache war, konnte sich einer Lehre nicht anschließen, die Nicht die seinige
war, und man hat im höchsten Grade unrecht gehandelt, ihm daS zum Vor¬
wurf zu machen. Hütten, der germanische Ritter, betheiligte sich daran, weil
er eS als einen Kampf gegen die Pfaffen überhaupt auffaßte. Wir führen
das nur als ein einzelnes Beispiel an, wir übernehmen es aber, bei jedem
großen historischen Ereigniß diese drei Bildungselemente, die sich nie völlig
durchdrungen haben, ganz genau voneinander zu scheiden.

Die Hauptsache für uns bei diesen Bemerkungen ist nicht die theoretische,
sondern die praktische Nutzanwendung. Rupp behauptet, daß, wenn man das
Christenthum als entwicklungsunfcchig annimmt, man zu der Barbarei zurück¬
kehren müsse, weil das Christenthum die einzige Bildungsquelle der modernen
Zeit gewesen sei. Da ihn aber jedes Gymnasium eines Bessern überführen
kann, da die Moral des Cäsar, des Cornelius Nepos, des Cicero den Kna¬
ben neben der sehr verschiedenen Moral des Evangeliums eingeflößt wird, so
fällt damit auch seine Schlußfolgerung zusammen, und wir wiederholen noch
einmal den Grundsatz, den wir schon früher aufgestellt haben: den heutigen
Theologen gegenüber von Tholuck bis zu Vilmar herunter, der den Teufel
und seine Großmutter wieder zu Ehren bringt, befinden wir uns auf dem
Standpunkt der Laien des Mittelalters; wir überlassen die dogmatischen Strei¬
tigkeiten unsern Geistlichen, da wir bei den meisten Fragen, die dort verhan¬
delt werden, ganz außerhalb aller Parteien stehn. Wir sind Christen, wie
die Hohenstaufen Christen waren, fühlen uns aber nicht verpflichtet, tiefer
in die kirchlichen Mysterien einzudringen, wir wissen historisch, daß viele von
den christlichen Lehren in der Bildung einen großen Und unverlierbaren Fort^
schritt vermittelt haben, wir stehen mit Luther gegen Macchiavell, aber i»
vielen Beziehungen mit Erasmus gegen Luther. Unsere Aufgabe, unsern Be¬
ruf hat Kant in seiner Schrift über die Religion innerhalb der bloßen Ver¬
nunft mit hinreichender Schärfe festgestellt. Wir müssen zwar den Conflict
beklagen, der zwischen unsern verschiedenen BildungSmomenten stattfindet, aber
wir können ihn insofern nicht aufheben, als wir zur Entwicklung der Kirche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/77>, abgerufen am 22.12.2024.