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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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bei der Bewerbung um die Rietschel zugefallene Aufgabe gesehen, wie scharf
die Ansichten über Toga und Ministerfrack sich schieden. Der Kampf wird
voraussichtlich jetzt, wo das kolossale Doppelmodell in Dresden ausgestellt "se,
von neuem beginnen. Es mögen hier einige Bemerkungen über dasselbe
niedergelegt werden.

Die Stellung beider Statuen ist folgende. Dem gegenüberstehenden
Beschauer zur Linken: Goethe. Er trägt den Ministerfrack -- nach Komg
Ludwigs Ausdruck: den Degenrock - versteht sich ohne Degen und ohne
Orden, kurze Beinkleider, Schnallenschuhe, und was sonst den courfähigen
Anzug vollendet. Er blickt gerade aus. etwas nach rechts gewandt; die Rechte
hält gebogenen Arms den Lorbeerkranz, wie im Begriff, ihn dem Freunde zu
nähern; die Linke kommt auf Schillers rechter Schulter zum Vorschein. wie
das Bedürfniß eines zutraulichen Zusammenhangs ausdrückend. In gleicher
Größe neben ihm steht Schiller. Der weit offne Nock reicht bis an die
Wade herab. Jabot und Weste sind ohne Spiegelcensur angethan, die Westen¬
knöpfe haben wol gar falsche Knopflöcher gesunden. Auch er trägt Kniehosen
und Schnallenschuhe. Die niederhangende Linke hält eine Rolle Papier. Die
Rechte strebt dem ihm gebotenen Lorbeerkranze entgegen, weniger um ihn zu
ergreifen, als um das geistige Band zwischen ihm und seinem Darreicher auch
körperlich darzuthun, während der mehr von dem Freunde abgewendete Kopf
in seinem Emporblicken erkennen läßt, wie der durch den Lorbeer angeregte
Gedankenflug die geistige Bedeutung des Moments erfaßt, und den Stoff
schon halb aus den Augen verlor.¬

Schillers Haltung ist bewegter als diejenige Goethes; er ruht nur vor
übergehend aus dem rechten Fuß und ist wie im Ausschreiten begriffen. Bei
Goethe bietet die rechte Seite auch den Ruhepunkt, doch hat er schon festen
Stand gewonnen. Der eine ist noch im vollen, aufreibenden Streben, der
andere fußt bereits auf sicher eroberten Gebiete. Den einen ziehts unwider¬
stehlich empor und seine Adlernase gemahnt an "das Wittern geistiger Morgen¬
luft;" der andere ist sich des engern Zusammenhangs mit der Erscheinung,
mit dem sinnlich Greifbaren bewußt und findet daS Gold, dem er geistig
nachstrebt, nicht an den Rändern goldgesäumter Wolken.

Der Altersunterschied von zehn Jahren ist festgehalten; Schiller mag im
Alter von vierzig Jahren gedacht werden, Goethe als Fünfziger.

Was die Zeichnung, die Schönheit der Linien betrifft, so ist. von der
Vorderseite aus, die angestrebte Einheit vollkommen erreicht; von der Seile
betrachtet geht diese Einheit, nicht zum Nachtheil des Gesammteindrucks, in
Mannigfaltigkeit über. Die Rückseite dagegen ist von dem Künstler, wie er
eS schon durch die Aufstellung des Modells hart an der Wand andeutet, von
vornherein aufgegeben worden. Der lange Rock des jüngern Dichters konnte


bei der Bewerbung um die Rietschel zugefallene Aufgabe gesehen, wie scharf
die Ansichten über Toga und Ministerfrack sich schieden. Der Kampf wird
voraussichtlich jetzt, wo das kolossale Doppelmodell in Dresden ausgestellt «se,
von neuem beginnen. Es mögen hier einige Bemerkungen über dasselbe
niedergelegt werden.

Die Stellung beider Statuen ist folgende. Dem gegenüberstehenden
Beschauer zur Linken: Goethe. Er trägt den Ministerfrack — nach Komg
Ludwigs Ausdruck: den Degenrock - versteht sich ohne Degen und ohne
Orden, kurze Beinkleider, Schnallenschuhe, und was sonst den courfähigen
Anzug vollendet. Er blickt gerade aus. etwas nach rechts gewandt; die Rechte
hält gebogenen Arms den Lorbeerkranz, wie im Begriff, ihn dem Freunde zu
nähern; die Linke kommt auf Schillers rechter Schulter zum Vorschein. wie
das Bedürfniß eines zutraulichen Zusammenhangs ausdrückend. In gleicher
Größe neben ihm steht Schiller. Der weit offne Nock reicht bis an die
Wade herab. Jabot und Weste sind ohne Spiegelcensur angethan, die Westen¬
knöpfe haben wol gar falsche Knopflöcher gesunden. Auch er trägt Kniehosen
und Schnallenschuhe. Die niederhangende Linke hält eine Rolle Papier. Die
Rechte strebt dem ihm gebotenen Lorbeerkranze entgegen, weniger um ihn zu
ergreifen, als um das geistige Band zwischen ihm und seinem Darreicher auch
körperlich darzuthun, während der mehr von dem Freunde abgewendete Kopf
in seinem Emporblicken erkennen läßt, wie der durch den Lorbeer angeregte
Gedankenflug die geistige Bedeutung des Moments erfaßt, und den Stoff
schon halb aus den Augen verlor.¬

Schillers Haltung ist bewegter als diejenige Goethes; er ruht nur vor
übergehend aus dem rechten Fuß und ist wie im Ausschreiten begriffen. Bei
Goethe bietet die rechte Seite auch den Ruhepunkt, doch hat er schon festen
Stand gewonnen. Der eine ist noch im vollen, aufreibenden Streben, der
andere fußt bereits auf sicher eroberten Gebiete. Den einen ziehts unwider¬
stehlich empor und seine Adlernase gemahnt an „das Wittern geistiger Morgen¬
luft;" der andere ist sich des engern Zusammenhangs mit der Erscheinung,
mit dem sinnlich Greifbaren bewußt und findet daS Gold, dem er geistig
nachstrebt, nicht an den Rändern goldgesäumter Wolken.

Der Altersunterschied von zehn Jahren ist festgehalten; Schiller mag im
Alter von vierzig Jahren gedacht werden, Goethe als Fünfziger.

Was die Zeichnung, die Schönheit der Linien betrifft, so ist. von der
Vorderseite aus, die angestrebte Einheit vollkommen erreicht; von der Seile
betrachtet geht diese Einheit, nicht zum Nachtheil des Gesammteindrucks, in
Mannigfaltigkeit über. Die Rückseite dagegen ist von dem Künstler, wie er
eS schon durch die Aufstellung des Modells hart an der Wand andeutet, von
vornherein aufgegeben worden. Der lange Rock des jüngern Dichters konnte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/69>, abgerufen am 23.07.2024.