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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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oder minder begründeten Hoffnung auf ihre nachherige Zustimmung, um die
progressistischen Schichten der Bevölkerung zu gewinnen.

So sehr die kurzsichtige, von persönlichen Anthipathien und heftigem Ehr¬
geiz geleitete Politik O'Donnels Tadel verdient, so kann man doch kaum ein
Etwas, wie Bewunderung, dem kühnen Manne versagen, der mit so geringen
Mitteln den Kampf gegen eine mächtige Partei unternahm, die sich auf einen
zahlreichen bewaffneten Anhang in der Nation stützte. Eine Erhebung der
Nationalmiliz von Madrid und ein furchtbarer Kampf mit ihr war mit Gewi߬
heit vorauszusehn. Eine Niederlage in der Hauptstadt war O'Donnels Unter¬
gang, aber ein Sieg in der Hauptstadt war noch kein sicherer Triumph für
ihn. Die Militärmacht, welche der Regierung im ganzen Lande zu Gebot
stand, betrug nur 70,000 Mann, und es konnte nicht bezweifelt werden, daß
Abfall sie schwächen werde. Verschiedene größere Städte standen unter der
Obhut esparteristischer Generale, und andre waren so schwach besetzt, daß einer
Volkserhebung nicht gewehrt werden konnte. O'Dommel mußte sich darauf ge¬
saßt machen, an nicht wenigen Stellen den Aufstand emporlodern und sich
verbreiten zu sehn. Doch in den drei Städten, die in den Revolutionen
Spaniens den Ausschlag zu geben Pflegen, hatte er begründete Hoffnung, sich
zu behaupten. In Madrid, wo er in Person befehligte, in Barcelona, wo
eine starke Garnison unter dem Befehl Zapateros stand, dem er unerbittliche
Verhaltungsbefehle geschickt und auf dessen unbeugsame Entschlossenheit er
zählen durste, in Valencia endlich, dessen Miliz infolge des Aprilaufstandeö
noch immer entwaffnet war, und wo unter einem schwachen und einflußloser
progressistischen Gencralcapitän der Brigadier Rios thatsächlich als zweiter
Befehlshaber das Kommando führte, ein Offizier, der sich in den Kämpfen
gegen die Carlisten hervorgethan hatte, und O'Dommel seine schnelle Beför¬
derung verdankte. Dies Mittel, vermöge der zweiten Befehlshaber progres-
sistische Gencralcapitäne unschädlich zu machen, war auch in andern Plätzen
mit Erfolg angewendet worden. Saragossa hingegen, nächst den drei vorher-
genannten Städten in politischer Beziehung die wichtigste Spaniens, befand
sich ganz in den Händen der Progressisten. Dort befehligte inmitten einer
dem Siegesherzog enthusiastisch ergebenen Bevölkerung ein gleichgestnnter
General, Falcon, die Truppen. Doch Saragossa hatte nicht Bedeutung genug,
um allein Spanien zum Aufstand fortzureißen. Immerhin blieb die nicht ge¬
ringe Gefahr, daß die Jnsurrection so vieler Orte sich ausbreitete, daß sie
die Kräfte der Regierung zersplitterte, die großen Centren der Bevölkerung
von allen Seiten umflutete und endlich in ihren Strudel hineinriß.

Die Gaceta brachte am Morgen des 1i. Juli nebst der Ernennung der
neuen Minister, von denen nur fünf in Madrid anwesend waren, die Pro-
clamation bey Cabinets an die Hauptstadt und die Verhängung des Be-


oder minder begründeten Hoffnung auf ihre nachherige Zustimmung, um die
progressistischen Schichten der Bevölkerung zu gewinnen.

So sehr die kurzsichtige, von persönlichen Anthipathien und heftigem Ehr¬
geiz geleitete Politik O'Donnels Tadel verdient, so kann man doch kaum ein
Etwas, wie Bewunderung, dem kühnen Manne versagen, der mit so geringen
Mitteln den Kampf gegen eine mächtige Partei unternahm, die sich auf einen
zahlreichen bewaffneten Anhang in der Nation stützte. Eine Erhebung der
Nationalmiliz von Madrid und ein furchtbarer Kampf mit ihr war mit Gewi߬
heit vorauszusehn. Eine Niederlage in der Hauptstadt war O'Donnels Unter¬
gang, aber ein Sieg in der Hauptstadt war noch kein sicherer Triumph für
ihn. Die Militärmacht, welche der Regierung im ganzen Lande zu Gebot
stand, betrug nur 70,000 Mann, und es konnte nicht bezweifelt werden, daß
Abfall sie schwächen werde. Verschiedene größere Städte standen unter der
Obhut esparteristischer Generale, und andre waren so schwach besetzt, daß einer
Volkserhebung nicht gewehrt werden konnte. O'Dommel mußte sich darauf ge¬
saßt machen, an nicht wenigen Stellen den Aufstand emporlodern und sich
verbreiten zu sehn. Doch in den drei Städten, die in den Revolutionen
Spaniens den Ausschlag zu geben Pflegen, hatte er begründete Hoffnung, sich
zu behaupten. In Madrid, wo er in Person befehligte, in Barcelona, wo
eine starke Garnison unter dem Befehl Zapateros stand, dem er unerbittliche
Verhaltungsbefehle geschickt und auf dessen unbeugsame Entschlossenheit er
zählen durste, in Valencia endlich, dessen Miliz infolge des Aprilaufstandeö
noch immer entwaffnet war, und wo unter einem schwachen und einflußloser
progressistischen Gencralcapitän der Brigadier Rios thatsächlich als zweiter
Befehlshaber das Kommando führte, ein Offizier, der sich in den Kämpfen
gegen die Carlisten hervorgethan hatte, und O'Dommel seine schnelle Beför¬
derung verdankte. Dies Mittel, vermöge der zweiten Befehlshaber progres-
sistische Gencralcapitäne unschädlich zu machen, war auch in andern Plätzen
mit Erfolg angewendet worden. Saragossa hingegen, nächst den drei vorher-
genannten Städten in politischer Beziehung die wichtigste Spaniens, befand
sich ganz in den Händen der Progressisten. Dort befehligte inmitten einer
dem Siegesherzog enthusiastisch ergebenen Bevölkerung ein gleichgestnnter
General, Falcon, die Truppen. Doch Saragossa hatte nicht Bedeutung genug,
um allein Spanien zum Aufstand fortzureißen. Immerhin blieb die nicht ge¬
ringe Gefahr, daß die Jnsurrection so vieler Orte sich ausbreitete, daß sie
die Kräfte der Regierung zersplitterte, die großen Centren der Bevölkerung
von allen Seiten umflutete und endlich in ihren Strudel hineinriß.

Die Gaceta brachte am Morgen des 1i. Juli nebst der Ernennung der
neuen Minister, von denen nur fünf in Madrid anwesend waren, die Pro-
clamation bey Cabinets an die Hauptstadt und die Verhängung des Be-


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[0054] oder minder begründeten Hoffnung auf ihre nachherige Zustimmung, um die progressistischen Schichten der Bevölkerung zu gewinnen. So sehr die kurzsichtige, von persönlichen Anthipathien und heftigem Ehr¬ geiz geleitete Politik O'Donnels Tadel verdient, so kann man doch kaum ein Etwas, wie Bewunderung, dem kühnen Manne versagen, der mit so geringen Mitteln den Kampf gegen eine mächtige Partei unternahm, die sich auf einen zahlreichen bewaffneten Anhang in der Nation stützte. Eine Erhebung der Nationalmiliz von Madrid und ein furchtbarer Kampf mit ihr war mit Gewi߬ heit vorauszusehn. Eine Niederlage in der Hauptstadt war O'Donnels Unter¬ gang, aber ein Sieg in der Hauptstadt war noch kein sicherer Triumph für ihn. Die Militärmacht, welche der Regierung im ganzen Lande zu Gebot stand, betrug nur 70,000 Mann, und es konnte nicht bezweifelt werden, daß Abfall sie schwächen werde. Verschiedene größere Städte standen unter der Obhut esparteristischer Generale, und andre waren so schwach besetzt, daß einer Volkserhebung nicht gewehrt werden konnte. O'Dommel mußte sich darauf ge¬ saßt machen, an nicht wenigen Stellen den Aufstand emporlodern und sich verbreiten zu sehn. Doch in den drei Städten, die in den Revolutionen Spaniens den Ausschlag zu geben Pflegen, hatte er begründete Hoffnung, sich zu behaupten. In Madrid, wo er in Person befehligte, in Barcelona, wo eine starke Garnison unter dem Befehl Zapateros stand, dem er unerbittliche Verhaltungsbefehle geschickt und auf dessen unbeugsame Entschlossenheit er zählen durste, in Valencia endlich, dessen Miliz infolge des Aprilaufstandeö noch immer entwaffnet war, und wo unter einem schwachen und einflußloser progressistischen Gencralcapitän der Brigadier Rios thatsächlich als zweiter Befehlshaber das Kommando führte, ein Offizier, der sich in den Kämpfen gegen die Carlisten hervorgethan hatte, und O'Dommel seine schnelle Beför¬ derung verdankte. Dies Mittel, vermöge der zweiten Befehlshaber progres- sistische Gencralcapitäne unschädlich zu machen, war auch in andern Plätzen mit Erfolg angewendet worden. Saragossa hingegen, nächst den drei vorher- genannten Städten in politischer Beziehung die wichtigste Spaniens, befand sich ganz in den Händen der Progressisten. Dort befehligte inmitten einer dem Siegesherzog enthusiastisch ergebenen Bevölkerung ein gleichgestnnter General, Falcon, die Truppen. Doch Saragossa hatte nicht Bedeutung genug, um allein Spanien zum Aufstand fortzureißen. Immerhin blieb die nicht ge¬ ringe Gefahr, daß die Jnsurrection so vieler Orte sich ausbreitete, daß sie die Kräfte der Regierung zersplitterte, die großen Centren der Bevölkerung von allen Seiten umflutete und endlich in ihren Strudel hineinriß. Die Gaceta brachte am Morgen des 1i. Juli nebst der Ernennung der neuen Minister, von denen nur fünf in Madrid anwesend waren, die Pro- clamation bey Cabinets an die Hauptstadt und die Verhängung des Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/54>, abgerufen am 23.07.2024.