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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Frauen, deren fremdklingende Bezeichnung von treuherzigen Mönchen durch ein
sehr bekanntes, aber derbes Wort erklärt wird.

An solche fremde Gaukler schloß sich schnell ein zahlreicher deutscher Nach¬
wuchs. Auch die deutschen Stämme hatten seit uralter Zeit wandernde
Sänger gehabt, Träger der Neuigkeiten, Verbreiter von epischen Gesängen
und Liedern. Auch diese waren von Hof zu Hof gezogen, in den großen
Blockhäusern der Vornehmen hoch willkommen, geehrte Gäste, vertraute Boten,
welche oft von ihren Gastfreunden noch holderen Lohn zu erhalten wußten,
als goldene Armringe oder neue Gewänder. Sie hatten einst am Herdfeuer zur
Harfe von den abenteuerlichen Fahrten Donars nach der Niesenwelt und von
dem tragischen Untergang der Nibelungen, dann von Attilas Schlachten und den
Wundern der südlichen Länder gesungen. Dem neuen Christenthum aber wurde
der reiche Schatz der alten einheimischen Gesänge unheimlich. Karl der
Große sammelte noch mit großem Sinn die Heldenlieder der deutschen
Stämme, sein pfäffischer Sohn Ludwig haßte und verachtete sie schon.
Allerdings waren diese Gesänge so voll Heidenthum, daß die Kirche Ursache
halte, in Synodalbeschlüssen und bischöflichen Erlassen gegen sie zu eifern.
Mit ihnen kam auch das Sängergeschlecht, welches sie trug und verbreitete,
in die Ungnade der Kirche. Die Lieder hörten deshalb nicht auf, aber ihre
Sänger wurden niedriger, sie fielen endlich, wenigstens zum Theil, der Classe
jener fahrenden Leute zu und das Volk gewöhnte sich, das schönste Erbe seiner
Vergangenheit von den Lippen verachteter Spielleute zu hören.

Und noch andere Erbschaft aus dem deutschen Heidenthum ward den fahrenden
Leuten. Bis über die Zeit des Tacitus hinauf reiche" in Deutschland einfache
dramatische Umzüge an den großen Festtagen der deutschen Götter, schon damals
scheint die Laune, mit welcher der fromme Germane seine Götterwelt betrach¬
tete, den Umzügen komische Vermummungen zugesellt zu haben, so die
Gestalten von Kobolden, Niesen, den grauen Winter und den grünen Früh¬
ling, den Bär Donars und wahrscheinlich das weiße Zauberpferd Wuotans,
welche in der ältesten Form dramatischer Spiele, in der eines Wettkampfes
oder RechtstreiteS, gegeneinander agirten. Behend fügten die fahrenden
Gaukler diese deutschen Masken zu den grotesken römischen Figuren, welche
sie in das Land gebracht hatten. Und auf den Kirchhöfen der neuen Christen¬
gemeinden in Deutschland brüllte der Bär des trinklustigen Donar neben
dem Begleiter des römischen Weingottes, dem Satyr mit seinen Bocksfüßen
und Hörnern.

So germanisirte sich das fahrende Geschlecht bald vollständig und glitt
während des ganzen Mittelalters zwischen den abgegrenzten Kreisen und
Gauen des Volkes umher -- vor dem Gesetze heimathlos und rechtlos. Die
Kirche fuhr fort, das "fahrende Volk" durch wiederholte Decrete zu bearg-


Frauen, deren fremdklingende Bezeichnung von treuherzigen Mönchen durch ein
sehr bekanntes, aber derbes Wort erklärt wird.

An solche fremde Gaukler schloß sich schnell ein zahlreicher deutscher Nach¬
wuchs. Auch die deutschen Stämme hatten seit uralter Zeit wandernde
Sänger gehabt, Träger der Neuigkeiten, Verbreiter von epischen Gesängen
und Liedern. Auch diese waren von Hof zu Hof gezogen, in den großen
Blockhäusern der Vornehmen hoch willkommen, geehrte Gäste, vertraute Boten,
welche oft von ihren Gastfreunden noch holderen Lohn zu erhalten wußten,
als goldene Armringe oder neue Gewänder. Sie hatten einst am Herdfeuer zur
Harfe von den abenteuerlichen Fahrten Donars nach der Niesenwelt und von
dem tragischen Untergang der Nibelungen, dann von Attilas Schlachten und den
Wundern der südlichen Länder gesungen. Dem neuen Christenthum aber wurde
der reiche Schatz der alten einheimischen Gesänge unheimlich. Karl der
Große sammelte noch mit großem Sinn die Heldenlieder der deutschen
Stämme, sein pfäffischer Sohn Ludwig haßte und verachtete sie schon.
Allerdings waren diese Gesänge so voll Heidenthum, daß die Kirche Ursache
halte, in Synodalbeschlüssen und bischöflichen Erlassen gegen sie zu eifern.
Mit ihnen kam auch das Sängergeschlecht, welches sie trug und verbreitete,
in die Ungnade der Kirche. Die Lieder hörten deshalb nicht auf, aber ihre
Sänger wurden niedriger, sie fielen endlich, wenigstens zum Theil, der Classe
jener fahrenden Leute zu und das Volk gewöhnte sich, das schönste Erbe seiner
Vergangenheit von den Lippen verachteter Spielleute zu hören.

Und noch andere Erbschaft aus dem deutschen Heidenthum ward den fahrenden
Leuten. Bis über die Zeit des Tacitus hinauf reiche» in Deutschland einfache
dramatische Umzüge an den großen Festtagen der deutschen Götter, schon damals
scheint die Laune, mit welcher der fromme Germane seine Götterwelt betrach¬
tete, den Umzügen komische Vermummungen zugesellt zu haben, so die
Gestalten von Kobolden, Niesen, den grauen Winter und den grünen Früh¬
ling, den Bär Donars und wahrscheinlich das weiße Zauberpferd Wuotans,
welche in der ältesten Form dramatischer Spiele, in der eines Wettkampfes
oder RechtstreiteS, gegeneinander agirten. Behend fügten die fahrenden
Gaukler diese deutschen Masken zu den grotesken römischen Figuren, welche
sie in das Land gebracht hatten. Und auf den Kirchhöfen der neuen Christen¬
gemeinden in Deutschland brüllte der Bär des trinklustigen Donar neben
dem Begleiter des römischen Weingottes, dem Satyr mit seinen Bocksfüßen
und Hörnern.

So germanisirte sich das fahrende Geschlecht bald vollständig und glitt
während des ganzen Mittelalters zwischen den abgegrenzten Kreisen und
Gauen des Volkes umher — vor dem Gesetze heimathlos und rechtlos. Die
Kirche fuhr fort, das „fahrende Volk" durch wiederholte Decrete zu bearg-


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[0516] Frauen, deren fremdklingende Bezeichnung von treuherzigen Mönchen durch ein sehr bekanntes, aber derbes Wort erklärt wird. An solche fremde Gaukler schloß sich schnell ein zahlreicher deutscher Nach¬ wuchs. Auch die deutschen Stämme hatten seit uralter Zeit wandernde Sänger gehabt, Träger der Neuigkeiten, Verbreiter von epischen Gesängen und Liedern. Auch diese waren von Hof zu Hof gezogen, in den großen Blockhäusern der Vornehmen hoch willkommen, geehrte Gäste, vertraute Boten, welche oft von ihren Gastfreunden noch holderen Lohn zu erhalten wußten, als goldene Armringe oder neue Gewänder. Sie hatten einst am Herdfeuer zur Harfe von den abenteuerlichen Fahrten Donars nach der Niesenwelt und von dem tragischen Untergang der Nibelungen, dann von Attilas Schlachten und den Wundern der südlichen Länder gesungen. Dem neuen Christenthum aber wurde der reiche Schatz der alten einheimischen Gesänge unheimlich. Karl der Große sammelte noch mit großem Sinn die Heldenlieder der deutschen Stämme, sein pfäffischer Sohn Ludwig haßte und verachtete sie schon. Allerdings waren diese Gesänge so voll Heidenthum, daß die Kirche Ursache halte, in Synodalbeschlüssen und bischöflichen Erlassen gegen sie zu eifern. Mit ihnen kam auch das Sängergeschlecht, welches sie trug und verbreitete, in die Ungnade der Kirche. Die Lieder hörten deshalb nicht auf, aber ihre Sänger wurden niedriger, sie fielen endlich, wenigstens zum Theil, der Classe jener fahrenden Leute zu und das Volk gewöhnte sich, das schönste Erbe seiner Vergangenheit von den Lippen verachteter Spielleute zu hören. Und noch andere Erbschaft aus dem deutschen Heidenthum ward den fahrenden Leuten. Bis über die Zeit des Tacitus hinauf reiche» in Deutschland einfache dramatische Umzüge an den großen Festtagen der deutschen Götter, schon damals scheint die Laune, mit welcher der fromme Germane seine Götterwelt betrach¬ tete, den Umzügen komische Vermummungen zugesellt zu haben, so die Gestalten von Kobolden, Niesen, den grauen Winter und den grünen Früh¬ ling, den Bär Donars und wahrscheinlich das weiße Zauberpferd Wuotans, welche in der ältesten Form dramatischer Spiele, in der eines Wettkampfes oder RechtstreiteS, gegeneinander agirten. Behend fügten die fahrenden Gaukler diese deutschen Masken zu den grotesken römischen Figuren, welche sie in das Land gebracht hatten. Und auf den Kirchhöfen der neuen Christen¬ gemeinden in Deutschland brüllte der Bär des trinklustigen Donar neben dem Begleiter des römischen Weingottes, dem Satyr mit seinen Bocksfüßen und Hörnern. So germanisirte sich das fahrende Geschlecht bald vollständig und glitt während des ganzen Mittelalters zwischen den abgegrenzten Kreisen und Gauen des Volkes umher — vor dem Gesetze heimathlos und rechtlos. Die Kirche fuhr fort, das „fahrende Volk" durch wiederholte Decrete zu bearg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/516>, abgerufen am 23.07.2024.