Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.wo sie wirken können, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum Endlich vindicirt Mozart in der Oper der Musik, wo sie zum Ausdruck Man hat wol gesagt, daß ein Text um musikalisch zu sein nicht poetisch wo sie wirken können, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum Endlich vindicirt Mozart in der Oper der Musik, wo sie zum Ausdruck Man hat wol gesagt, daß ein Text um musikalisch zu sein nicht poetisch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103626"/> <p xml:id="ID_1680" prev="#ID_1679"> wo sie wirken können, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum<lb/> als die nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld,<lb/> die Metope, das Deckengewölbe, die Lünette sind' nicht frei gewählte Begren¬<lb/> zungen der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der<lb/> Bildhauer modificirt seinen Stil, um seine Gebilde mit dem Charakter der<lb/> Architektur in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst, wo ihm die Flä¬<lb/> chen großer Wände eine Selbstständigkeit geben, die ihn weit über die eigent¬<lb/> liche Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung<lb/> auf daS Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architektur mit<lb/> ihren strengen Gesetzen und festen Formen maßgebend; allein wer könnte den<lb/> Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen deS Parthenon, Rafael<lb/> in den Loggien des Vatican dem Architekten Unterthan, seine Freiheit und<lb/> Selbstständigkeit in künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben habe?<lb/> Das Verhältniß der Poesie und Musik in der Oper ist kein anderes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1681"> Endlich vindicirt Mozart in der Oper der Musik, wo sie zum Ausdruck<lb/> der Stimmung verwandt wird, entschieden die Herrschaft. Er beruft sich auf<lb/> das Factum, daß gute Musik die elendesten Terte vergessen lasse, — ein Fall,<lb/> wo das Umgekehrte Statt fand, dürfte kaum anzuführen sein —; es folgt aber<lb/> auch unwidersprechlich aus dem Wesen und der Natur der Musik. Schon<lb/> dadurch, daß sie unmittelbar, und mächtiger als jede andere Kunst, die Sinne<lb/> ergreift und ganz in Anspruch nimmt, macht sie den Eindruck, welchen die<lb/> poetische Darstellung durch die Sprache hervorbringen kann, für den Augen¬<lb/> blick zurücktreten; sie wirkt ferner durch den Sinn des Gehörs in einer, wie<lb/> es scheint, noch nicht aufgeklärten Weise unmittelbar auf die Phantasie und<lb/> das Gefühl mit einer erregenden Kraft ein, welche ebenfalls die der Poesie<lb/> momentan überflügelt. Das Moment aber, welches die musikalische Darstellung<lb/> von der Dichtkunst entlehnen muß, die Fähigkeit, eine scharf begrenzte Vor¬<lb/> stellung hervorzurufen, welche mit dem Gefühl, das die Musik erregt, eins wird<lb/> und demselben eine bestimmte Bedeutung gibt, welche die Musik nicht besitzt,<lb/> weil sie sich nicht in dieser Weise an den Verstand wendet, dieses Moment,<lb/> das in dem begleitenden Wort enthalten ist, kann hier, wie wichtig und<lb/> bedeutsam es auch ist, doch nur in zweiter Reihe stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1682" next="#ID_1683"> Man hat wol gesagt, daß ein Text um musikalisch zu sein nicht poetisch<lb/> sein, sondern nur gewisse äußere Formen des poetischen Vortrags haben dürfe.<lb/> Daß dies Paradoxon falsch sei, ist leicht einzusehen. Alle wesentlichen Be¬<lb/> dingungen des poetischen Vortrags sind auch die des musikalischen und ein<lb/> principieller Widerstreit derselben ist undenkbar. Aber die Mittel des Vortrags,<lb/> über welche der Dichter verfügt, sind mannigfach und verschiedenartig, und<lb/> nicht alle sind an jedem Ort wohl angebracht; wenn der Dichter seiner Kunst<lb/> Herr und sich dessen klar bewußt ist, was er erreichen will, so wird er auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
wo sie wirken können, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum
als die nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld,
die Metope, das Deckengewölbe, die Lünette sind' nicht frei gewählte Begren¬
zungen der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der
Bildhauer modificirt seinen Stil, um seine Gebilde mit dem Charakter der
Architektur in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst, wo ihm die Flä¬
chen großer Wände eine Selbstständigkeit geben, die ihn weit über die eigent¬
liche Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung
auf daS Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architektur mit
ihren strengen Gesetzen und festen Formen maßgebend; allein wer könnte den
Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen deS Parthenon, Rafael
in den Loggien des Vatican dem Architekten Unterthan, seine Freiheit und
Selbstständigkeit in künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben habe?
Das Verhältniß der Poesie und Musik in der Oper ist kein anderes.
Endlich vindicirt Mozart in der Oper der Musik, wo sie zum Ausdruck
der Stimmung verwandt wird, entschieden die Herrschaft. Er beruft sich auf
das Factum, daß gute Musik die elendesten Terte vergessen lasse, — ein Fall,
wo das Umgekehrte Statt fand, dürfte kaum anzuführen sein —; es folgt aber
auch unwidersprechlich aus dem Wesen und der Natur der Musik. Schon
dadurch, daß sie unmittelbar, und mächtiger als jede andere Kunst, die Sinne
ergreift und ganz in Anspruch nimmt, macht sie den Eindruck, welchen die
poetische Darstellung durch die Sprache hervorbringen kann, für den Augen¬
blick zurücktreten; sie wirkt ferner durch den Sinn des Gehörs in einer, wie
es scheint, noch nicht aufgeklärten Weise unmittelbar auf die Phantasie und
das Gefühl mit einer erregenden Kraft ein, welche ebenfalls die der Poesie
momentan überflügelt. Das Moment aber, welches die musikalische Darstellung
von der Dichtkunst entlehnen muß, die Fähigkeit, eine scharf begrenzte Vor¬
stellung hervorzurufen, welche mit dem Gefühl, das die Musik erregt, eins wird
und demselben eine bestimmte Bedeutung gibt, welche die Musik nicht besitzt,
weil sie sich nicht in dieser Weise an den Verstand wendet, dieses Moment,
das in dem begleitenden Wort enthalten ist, kann hier, wie wichtig und
bedeutsam es auch ist, doch nur in zweiter Reihe stehen.
Man hat wol gesagt, daß ein Text um musikalisch zu sein nicht poetisch
sein, sondern nur gewisse äußere Formen des poetischen Vortrags haben dürfe.
Daß dies Paradoxon falsch sei, ist leicht einzusehen. Alle wesentlichen Be¬
dingungen des poetischen Vortrags sind auch die des musikalischen und ein
principieller Widerstreit derselben ist undenkbar. Aber die Mittel des Vortrags,
über welche der Dichter verfügt, sind mannigfach und verschiedenartig, und
nicht alle sind an jedem Ort wohl angebracht; wenn der Dichter seiner Kunst
Herr und sich dessen klar bewußt ist, was er erreichen will, so wird er auch
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