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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Daß in der Fassung durch das Wort deS Dichters ebenfalls ein wesent¬
liches Moment für die Gestaltung der musikalischen Idee liegt, daß der tref¬
fende Ausdruck, der Klang und Rhythmus der Sprache auf den Componisten
mächtigen Einfluß ausüben, ist klar, allein der Keim für die musikalische
Schöpfung liegt nicht hierin, sondern tiefer, in denselben Momenten, aus
welchen die Schöpfung des Dichters entspringt. Damit die dichterische Ge¬
staltung in der Ausführung des Einzelnen ihrem Zweck entspreche -- denn
die Dichtung einer Oper hat den bestimmten Zweck, dem musikalischen Ausdruck
eine entsprechende Grundlage und Stütze zu geben, ist daher nicht absolut
selbstständig wie das Drama und muß ihre eigenthümlichen Normen anerkennen
und zur Geltung bringen -- verlangte Mozart das Zusammenwirken des
Musikers und des Dichters. Der Musiker müsse selbst "etwas anzugeben" im
Stande sein, dem Dichter seine Intentionen und die im Wesen seiner Kunst
begründeten Bedingungen, auf welchen ihre Verwirklichung beruht, in der
Weise klar und lebendig zu machen wissen, daß er ihn seinerseits zur Pro-
duction anrege; der Poet solle "gescheidt", fähig und gebildet genug sein, um
auf die Intentionen des Musikers einzugehen, und Dichter genug, um auch
unter diesem Einfluß selbstständig poetisch thätig zu sein. Auch hier hat
Mozart das Nichtige gesehen, ein Zusammenwirken dieser Art ist die sicherste
Bürgschaft für eine wahrhaft befriedigende Oper; leider hat er auch darin
Recht, daß ein solches Zusammenwirken ein "wahrer Phönix" sei.

Freilich wird ein solches Zusammenwirken bis auf einen gewissen Grad
durch die Nothwendigkeit in den meisten Fällen herbeigeführt, es reducirt sich
aber in der Regel auf ein unwilliges Zugeständniß von der einen oder andern
Seite. Dasselbe Bedürfniß hat in neuerer Zeit wiederholt Componisten zu
dem Versuch veranlaßt, sich ihre Opcrnterte selbst zu machen. Bei einiger
Theaterpraris und mäßiger Bildung ist das nicht so gar schwer in einer Zeit,
wo die Sprache für den Dichter denkt und dichtet. Aber es liegt in der
Natur des Menschen und der Kunst, daß auf diesem Wege das höchste Ziel
nicht erreicht werden kann. E. T. A. Hoffmann, von dem man es viel¬
leicht am ehesten hätte erwarten können, hat sich nie zu seinen Opern den
Text selbst gedichtet, und läßt in den Serapionsbrüdern den Componisten
Theodor sich darüber aussprechen, weshalb eS unmöglich sei, "daß irgend einer
allein ein Werk schaffe, gleich vortrefflich in Wort und Ton."

Es sei gestattet, hier an eine ähnliche Verbindung der bildenden Künste zu
erinnern. Die Architektur bedarf für ihre höchsten Leistungen deS Schmuckes, wel¬
chen Sculptur und Malerei ihr bieten; daß bei einem solchen Zusammenwirken
auf einen Zweck hin jede Kunst der andern nachgeben und entgegenkommen
müsse, ist nie jemand zweifelhaft gewesen. Die architektonische Anlage muß
darauf berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte zu schaffen,


Daß in der Fassung durch das Wort deS Dichters ebenfalls ein wesent¬
liches Moment für die Gestaltung der musikalischen Idee liegt, daß der tref¬
fende Ausdruck, der Klang und Rhythmus der Sprache auf den Componisten
mächtigen Einfluß ausüben, ist klar, allein der Keim für die musikalische
Schöpfung liegt nicht hierin, sondern tiefer, in denselben Momenten, aus
welchen die Schöpfung des Dichters entspringt. Damit die dichterische Ge¬
staltung in der Ausführung des Einzelnen ihrem Zweck entspreche — denn
die Dichtung einer Oper hat den bestimmten Zweck, dem musikalischen Ausdruck
eine entsprechende Grundlage und Stütze zu geben, ist daher nicht absolut
selbstständig wie das Drama und muß ihre eigenthümlichen Normen anerkennen
und zur Geltung bringen — verlangte Mozart das Zusammenwirken des
Musikers und des Dichters. Der Musiker müsse selbst „etwas anzugeben" im
Stande sein, dem Dichter seine Intentionen und die im Wesen seiner Kunst
begründeten Bedingungen, auf welchen ihre Verwirklichung beruht, in der
Weise klar und lebendig zu machen wissen, daß er ihn seinerseits zur Pro-
duction anrege; der Poet solle „gescheidt", fähig und gebildet genug sein, um
auf die Intentionen des Musikers einzugehen, und Dichter genug, um auch
unter diesem Einfluß selbstständig poetisch thätig zu sein. Auch hier hat
Mozart das Nichtige gesehen, ein Zusammenwirken dieser Art ist die sicherste
Bürgschaft für eine wahrhaft befriedigende Oper; leider hat er auch darin
Recht, daß ein solches Zusammenwirken ein „wahrer Phönix" sei.

Freilich wird ein solches Zusammenwirken bis auf einen gewissen Grad
durch die Nothwendigkeit in den meisten Fällen herbeigeführt, es reducirt sich
aber in der Regel auf ein unwilliges Zugeständniß von der einen oder andern
Seite. Dasselbe Bedürfniß hat in neuerer Zeit wiederholt Componisten zu
dem Versuch veranlaßt, sich ihre Opcrnterte selbst zu machen. Bei einiger
Theaterpraris und mäßiger Bildung ist das nicht so gar schwer in einer Zeit,
wo die Sprache für den Dichter denkt und dichtet. Aber es liegt in der
Natur des Menschen und der Kunst, daß auf diesem Wege das höchste Ziel
nicht erreicht werden kann. E. T. A. Hoffmann, von dem man es viel¬
leicht am ehesten hätte erwarten können, hat sich nie zu seinen Opern den
Text selbst gedichtet, und läßt in den Serapionsbrüdern den Componisten
Theodor sich darüber aussprechen, weshalb eS unmöglich sei, „daß irgend einer
allein ein Werk schaffe, gleich vortrefflich in Wort und Ton."

Es sei gestattet, hier an eine ähnliche Verbindung der bildenden Künste zu
erinnern. Die Architektur bedarf für ihre höchsten Leistungen deS Schmuckes, wel¬
chen Sculptur und Malerei ihr bieten; daß bei einem solchen Zusammenwirken
auf einen Zweck hin jede Kunst der andern nachgeben und entgegenkommen
müsse, ist nie jemand zweifelhaft gewesen. Die architektonische Anlage muß
darauf berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte zu schaffen,


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[0492] Daß in der Fassung durch das Wort deS Dichters ebenfalls ein wesent¬ liches Moment für die Gestaltung der musikalischen Idee liegt, daß der tref¬ fende Ausdruck, der Klang und Rhythmus der Sprache auf den Componisten mächtigen Einfluß ausüben, ist klar, allein der Keim für die musikalische Schöpfung liegt nicht hierin, sondern tiefer, in denselben Momenten, aus welchen die Schöpfung des Dichters entspringt. Damit die dichterische Ge¬ staltung in der Ausführung des Einzelnen ihrem Zweck entspreche — denn die Dichtung einer Oper hat den bestimmten Zweck, dem musikalischen Ausdruck eine entsprechende Grundlage und Stütze zu geben, ist daher nicht absolut selbstständig wie das Drama und muß ihre eigenthümlichen Normen anerkennen und zur Geltung bringen — verlangte Mozart das Zusammenwirken des Musikers und des Dichters. Der Musiker müsse selbst „etwas anzugeben" im Stande sein, dem Dichter seine Intentionen und die im Wesen seiner Kunst begründeten Bedingungen, auf welchen ihre Verwirklichung beruht, in der Weise klar und lebendig zu machen wissen, daß er ihn seinerseits zur Pro- duction anrege; der Poet solle „gescheidt", fähig und gebildet genug sein, um auf die Intentionen des Musikers einzugehen, und Dichter genug, um auch unter diesem Einfluß selbstständig poetisch thätig zu sein. Auch hier hat Mozart das Nichtige gesehen, ein Zusammenwirken dieser Art ist die sicherste Bürgschaft für eine wahrhaft befriedigende Oper; leider hat er auch darin Recht, daß ein solches Zusammenwirken ein „wahrer Phönix" sei. Freilich wird ein solches Zusammenwirken bis auf einen gewissen Grad durch die Nothwendigkeit in den meisten Fällen herbeigeführt, es reducirt sich aber in der Regel auf ein unwilliges Zugeständniß von der einen oder andern Seite. Dasselbe Bedürfniß hat in neuerer Zeit wiederholt Componisten zu dem Versuch veranlaßt, sich ihre Opcrnterte selbst zu machen. Bei einiger Theaterpraris und mäßiger Bildung ist das nicht so gar schwer in einer Zeit, wo die Sprache für den Dichter denkt und dichtet. Aber es liegt in der Natur des Menschen und der Kunst, daß auf diesem Wege das höchste Ziel nicht erreicht werden kann. E. T. A. Hoffmann, von dem man es viel¬ leicht am ehesten hätte erwarten können, hat sich nie zu seinen Opern den Text selbst gedichtet, und läßt in den Serapionsbrüdern den Componisten Theodor sich darüber aussprechen, weshalb eS unmöglich sei, „daß irgend einer allein ein Werk schaffe, gleich vortrefflich in Wort und Ton." Es sei gestattet, hier an eine ähnliche Verbindung der bildenden Künste zu erinnern. Die Architektur bedarf für ihre höchsten Leistungen deS Schmuckes, wel¬ chen Sculptur und Malerei ihr bieten; daß bei einem solchen Zusammenwirken auf einen Zweck hin jede Kunst der andern nachgeben und entgegenkommen müsse, ist nie jemand zweifelhaft gewesen. Die architektonische Anlage muß darauf berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte zu schaffen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/492>, abgerufen am 23.07.2024.