Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.bunte Ansatz des Unterkleides bilden den einzigen Unterschied der weiblichen bunte Ansatz des Unterkleides bilden den einzigen Unterschied der weiblichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103607"/> <p xml:id="ID_1627" prev="#ID_1626" next="#ID_1628"> bunte Ansatz des Unterkleides bilden den einzigen Unterschied der weiblichen<lb/> Kleidung; den dazu gehörenden Brustschmuck, bestehend aus mehren runden<lb/> Silberblechen, bekommt man jetzt selten mehr zu sehen; er liegt wohlverwahrt<lb/> und in Masse bei den Krämern — im Versatz. Noch fehlt zur Vervollstän¬<lb/> digung des Umzugs ein selbstgewebter Leibgurt, die selbst dem Todten im<lb/> Sarge unumgänglich nothwendigen, wollenen Handschuhe und die den Moc-<lb/> casins ähnliche Fußbekleidung, welche diesen Völkern einen leichten, ei¬<lb/> genthümlich schwebenden Gang verleiht. — Kosten wir ferner die Nah¬<lb/> rungsmittel der Landleute? Wir mögen eS niemandem rathen, der nicht<lb/> den qualisicirten Gaumen und Magen besitzt, um das schwarze, mit Kleie,<lb/> ja Spreu vermischte Brot, die dünne saure Milch, den magern, ge¬<lb/> salzenen Strömling, einen kleineren Vetter des dürren schwedischen Herings<lb/> goutiren und verdauen zu können. Blos um Weihnachten herum schlachtet man<lb/> ein Schweinchen und bringt dadurch etwas Abwechslung in das ewige Einer¬<lb/> lei dieses uralten Speisezettels. Ueberhaupt lebt der Bauer dann fröhlich und<lb/> ohne Sorgen; denn es ist die Zeit, wo er hinreichende Nahrung und wenig<lb/> Arbeit hat. Wenn aber einmal die Vorräthe früher ausgehen als gewöhnlich,<lb/> dann behilft er sich im Frühjahre mit Suppen aus Wurzeln und Gräsern,<lb/> er schrotet Birkenmehl unter den Roggen und leidet die erbärmlichste Noth. An<lb/> Sparen ist bei ihm überhaupt, die oben erwähnten industriellen Districte aus¬<lb/> genommen, wenig zu denken, denn es herrscht bei der Mehrzahl eine Gleichgil-<lb/> tigkeit gegen Erwerb und Besitz, die schwerlich diese Völker einst im Zustande<lb/> der Freiheit niederdrückte. Die Ursachen dieser Erscheinung brauchen wir nicht<lb/> zu entwickeln. Die Zeit der Leibeigenschaft ist wol vorüber; aber die 40 Jahre<lb/> deS gegenwärtigen Robotverhältnisses haben sonnenklar bewiesen, daß der<lb/> materielle Wohlstand der Bauern nur durch freie Geldpacht und Erleichterung<lb/> der Grunbbesitzcrwerbung — wozu sich in der neueren Zeit auch endlich der<lb/> Adel auf Andringen der Regierung mit schwerem Herzen und vielem Wider¬<lb/> streben entschlossen hat — gehoben werden kann, und daß die jetzige Freiheit<lb/> mancher Vortheile der Leibeigenschaft entbehrend eigentlich blos darin besteht,<lb/> daß der Bauer das Recht hat, sich seinen Herrn zu wählen. Seine eignen<lb/> Felder bestellt er zuletzt und am schlechtesten; landwirthschaftliche Verbesserungen<lb/> haben bei ihm noch keinen Anklang gefunden und der Urahnen Sitte wird<lb/> auch hierin streng befolgt; besonders gehört hierher das nur Raubernten er¬<lb/> zielende, den Boden aufsaugende Abbrennen der Erde, das außerdem in der<lb/> schönsten Jahreszeit jeden Naturgenuß vergällt und den dortigen Gelehrten<lb/> vor Kopfzerbrechen über die Entstehung des Heerrauchs behütet. — Wie in<lb/> den bisher berührten Gebieten haben endlich auch beide Völker fest an ihren<lb/> Sprachen gehalten, und konnten dieselben um so leichter in ihrer Reinheit be¬<lb/> wahren, da nie der Versuch gemacht worden ist, ihnen eine andere zu octroyiren.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
bunte Ansatz des Unterkleides bilden den einzigen Unterschied der weiblichen
Kleidung; den dazu gehörenden Brustschmuck, bestehend aus mehren runden
Silberblechen, bekommt man jetzt selten mehr zu sehen; er liegt wohlverwahrt
und in Masse bei den Krämern — im Versatz. Noch fehlt zur Vervollstän¬
digung des Umzugs ein selbstgewebter Leibgurt, die selbst dem Todten im
Sarge unumgänglich nothwendigen, wollenen Handschuhe und die den Moc-
casins ähnliche Fußbekleidung, welche diesen Völkern einen leichten, ei¬
genthümlich schwebenden Gang verleiht. — Kosten wir ferner die Nah¬
rungsmittel der Landleute? Wir mögen eS niemandem rathen, der nicht
den qualisicirten Gaumen und Magen besitzt, um das schwarze, mit Kleie,
ja Spreu vermischte Brot, die dünne saure Milch, den magern, ge¬
salzenen Strömling, einen kleineren Vetter des dürren schwedischen Herings
goutiren und verdauen zu können. Blos um Weihnachten herum schlachtet man
ein Schweinchen und bringt dadurch etwas Abwechslung in das ewige Einer¬
lei dieses uralten Speisezettels. Ueberhaupt lebt der Bauer dann fröhlich und
ohne Sorgen; denn es ist die Zeit, wo er hinreichende Nahrung und wenig
Arbeit hat. Wenn aber einmal die Vorräthe früher ausgehen als gewöhnlich,
dann behilft er sich im Frühjahre mit Suppen aus Wurzeln und Gräsern,
er schrotet Birkenmehl unter den Roggen und leidet die erbärmlichste Noth. An
Sparen ist bei ihm überhaupt, die oben erwähnten industriellen Districte aus¬
genommen, wenig zu denken, denn es herrscht bei der Mehrzahl eine Gleichgil-
tigkeit gegen Erwerb und Besitz, die schwerlich diese Völker einst im Zustande
der Freiheit niederdrückte. Die Ursachen dieser Erscheinung brauchen wir nicht
zu entwickeln. Die Zeit der Leibeigenschaft ist wol vorüber; aber die 40 Jahre
deS gegenwärtigen Robotverhältnisses haben sonnenklar bewiesen, daß der
materielle Wohlstand der Bauern nur durch freie Geldpacht und Erleichterung
der Grunbbesitzcrwerbung — wozu sich in der neueren Zeit auch endlich der
Adel auf Andringen der Regierung mit schwerem Herzen und vielem Wider¬
streben entschlossen hat — gehoben werden kann, und daß die jetzige Freiheit
mancher Vortheile der Leibeigenschaft entbehrend eigentlich blos darin besteht,
daß der Bauer das Recht hat, sich seinen Herrn zu wählen. Seine eignen
Felder bestellt er zuletzt und am schlechtesten; landwirthschaftliche Verbesserungen
haben bei ihm noch keinen Anklang gefunden und der Urahnen Sitte wird
auch hierin streng befolgt; besonders gehört hierher das nur Raubernten er¬
zielende, den Boden aufsaugende Abbrennen der Erde, das außerdem in der
schönsten Jahreszeit jeden Naturgenuß vergällt und den dortigen Gelehrten
vor Kopfzerbrechen über die Entstehung des Heerrauchs behütet. — Wie in
den bisher berührten Gebieten haben endlich auch beide Völker fest an ihren
Sprachen gehalten, und konnten dieselben um so leichter in ihrer Reinheit be¬
wahren, da nie der Versuch gemacht worden ist, ihnen eine andere zu octroyiren.
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